Ostern:Bürgerrecht im Himmel

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Das Mysterium der Auferstehung erscheint vielen Menschen als suspekt. Doch gerade in den Zeiten von Schönheits-Chirurgie und Jugendwahn lohnt es sich, darüber nachzudenken. Über den richtigen Umgang mit einem schwierigen Fest.

Heribert Prantl

Den Erfolg von Weihnachten hat Ostern nie gehabt. Die Auferstehung ist ein Ereignis, das, verglichen mit der Geburt im Stall, zwar viel spektakulärer ist, aber nie fassbar und nie richtig volkstümlich wurde.

Ein Jesus-Darsteller stellt in Wuppertal den Leidensweg Christi nach. (Foto: Foto: ddp)

Dieser Unterschied ist kein Wunder: Geburt ist, wie der Tod, eine alltägliche Menschheitserfahrung. Auferstehung bewegt sich außerhalb jedes Erfahrungshorizonts. Es ist das wunderlichste aller Wunder.

Im Mittelalter haben sich die so genannten Osterspiele kräftig und deftig, aber vergeblich bemüht, die Auferstehung Jesu von den Toten populär zu machen. In den Kirchen wurde Theater gespielt, was das Zeug hielt; dabei soll im Jahr 1480 der Altar der St.-Nikolai-Kirche in Wismar so in Mitleidenschaft gezogen worden sein, dass der Bischof ihn für entweiht erklärte.

Weil das leere Grab die religiöse Bühne nicht so recht füllte, wurde nämlich seinerzeit der sparsame Text des Oster-Evangeliums mit heiligem Schnickschnack dramaturgisch angereichert. Da gab es einen Wettlauf der Apostel Johannes und Petrus zum Grab; da gab es (etwa im Redentiner Osterspiel) auch ein Höllenfahrt-Spektakel, in welchem es zum Showdown zwischen Luzifer und dem auferstandenen Christus kam: Der befreite die gerechten Seelen aus der Vorhölle, die dort, angeführt von Adam und Eva, auf ihre Erlösung warteten.

Das Ganze war ein Höllenspektakel auch im Wortsinn, das für die Entwicklungsgeschichte des deutschen Dramas zwar eine gewisse Bedeutung, aber zur gläubigen Erkenntnis langfristig offenbar wenig beigetragen hat. Die Osterspiele sind denn auch irgendwann eingeschlafen; nur die Passionsspiele, die Spiele vom Leiden und Sterben des Herrn Jesus, sind geblieben. Das Mysterium Auferstehung blieb blass - trotz seiner unerhörten Bedeutung für den christlichen, zumal den katholischen Glauben.

Wunder wie im Drehbuch

Die Auferstehung: Ein Mensch, der tot ist, beginnt nach drei Tagen wieder zu leben, und zwar auf sonderbare Weise, in einer irgendwie höheren Daseinsform. Jesus geht nämlich, so die Schrift, durch Türen und Wände, ist aber offenbar gleichwohl ein Mensch aus Fleisch und Blut; er isst und trinkt, man kann ihn auch anfassen und die Wunden berühren, an denen er gestorben war; er erscheint vielen Personen gleichzeitig, und verschwindet immer wieder auf geheimnisvolle Weise.

Weil das alles andere als ein klarer Zustand ist, nennt man ihn verklärt. Für Nichtchristen klingt das alles wie ein Filmdrehbuch nach einem Roman von Edgar Allan Poe. Für Christen ist dieses Wunder das Fundament ihres Glaubens, die Antwort auf die Frage: "Was darf ich hoffen?" Darauf basiert ihr Glaube an ein Leben über das Grab hinaus, an die Unsterblichkeit der Seele und an die eigene leibliche Auferstehung am jüngsten Tag.

Doch das Mysterium der Auferstehung erscheint offenbar vielen Menschen eher als suspekt denn als Quelle für einen Glauben. Umfragen zufolge glauben zwar viele, dass Jesus Wunder gewirkt hat (82 Prozent), und immerhin noch mehr als die Hälfte, dass er Tote zum Leben erweckt hat (52 Prozent). Aber an die leibliche Auferstehung Jesu glauben nur noch wenig mehr als ein Drittel (39 Prozent), deutlich weniger, als beispielsweise die Himmelfahrt Jesu akzeptieren (51 Prozent).

Auch der durchschnittliche Christenmensch tut sich ganz offensichtlich ein wenig schwer mit dem österlichen Geheimnis und der Hoffnung, die davon ausgehen soll: So gern er an Ostern "Hallelujah" singt, so ungern lässt er sich auf die Konsequenzen ein und so sehr druckst er herum bei der Frage, wie er sich denn sein eigenes Leben über das Grab hinaus vorstellt.

Und es beschleicht ihn beim Wort Unsterblichkeit ein seltsam misstrauisches Gefühl von Langeweile und Unerfülltheit, das sich mit seinem postmortalen Status verbindet. Die selige Fröhlichkeit, die sich mit der gläubigen Gewissheit eines "Bürgerrechts im Himmel" (Paulus) eigentlich einstellen müsste, ist auch bei bekennenden Christen selten anzutreffen.

Mysterium oder nur Mythos?

Ostern ist wohl so etwas wie das schwarze Loch der christlichen Religion: Alle Geschehnisse dort (so die Astrophysik) sind für einen Beobachter prinzipiell unerfahrbar; über das, was abgelaufen sein soll, sind keine überprüfbaren Aussagen möglich.

Der Glaube an das Unerklärbare, an die Auferstehung also, befreie aber von Angst, verkünden die Theologen - weil ein solcher Glaube den Horizont der Zeit in die Ewigkeit öffne. Angstbefreiung? Das war und ist freilich höchst selten das Kennzeichen der Religionen, weil deren Anführer, Priester, Imame aus der jeweiligen Glaubensgemeinschaft oft eine moralische Zwangsanstalt gemacht haben (und noch immer machen).

Viele von ihnen nutzen die Angst gern, um die Knechtschaft des Geistes dogmatisch zu verwalten. So funktioniert der Fundamentalismus - und plagt die politische Gegenwart. Für die Moderne und Postmoderne ist das Jenseitige ohnehin keine Kategorie mehr.

Antworten des Glaubens

So ist das Oster-Mysterium zu einem sehr verblassten Mythos geworden. Dafür aber wurde der Glaube an leibliche Auferstehung auf bemerkenswerte Weise profanisiert. Seitdem immer mehr Menschen immer älter werden, das Altern aber gleichzeitig als peinlicher Vorgang betrachtet und das hohe Alter zu einer verleugneten Lebensphase wird, seitdem gilt es als chic und geboten, sich seine immerwährende irdische Auferstehung selber zu basteln - mit Anti-Aging-Programmen, Kosmetik und den Mitteln der Schönheits-Chirurgie.

Beim Wort Transfiguration denkt man heute eher an die Segnungen der plastischen Chirurgie als an die des christlichen Osterfestes. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn mit der Leugnung des Alters nicht auch die Leugnung seines Wertes einherginge.

Alte Leute gelten, durch ihre bloße Existenz, als Infragestellung dessen, was heute für normal gehalten wird: Leistung, Fitness, Produktion und Produktivität. Es wird viel von Integration geredet; wichtig ist auch die Integration des Alters in die Gesellschaft. Es geht um die Wieder-Auferstehung des Alters als Wert. Die Ehrung der Alten und der Respekt vor Kindern gehören zusammen.

Eine alternde Gesellschaft steht vor dem Problem, aus dem Alter Weisheit zu gewinnen. Was tun mit der Freiheit des Alters? Was tun mit den Erfahrungen eines langen Lebens? Wie führt man ein Leben, das nicht mehr geprägt ist durch biologische Zwecke? Und wie lernt man, Abschied zu nehmen? Eugen Drewermann hat jüngst in einem Buch über "Die zehn Gebote" gemeint, dass die Kultur, welche die Lebenszeit verlängert hat, nun auch "zum Archiv der Antworten" für solche Fragen werden müsse.

Er meint, wie alle Theologen, die Religion - und damit der österliche Glaube an die Unvergänglichkeit - biete einen ganz wichtigen Teil dieser Antworten. Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Ostern ist nämlich nicht nur ein Fest des Glaubens, sondern auch ein Fest des Denkens.

© SZ vom 15.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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