Ost-Nostalgie:Demokratische Replik

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Eine Mitarbeiterin des Radebeuler Museums entstaubt ein großformatiges Wandwappen der Deutschen Demokratischen Republik. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Die "größe museale Dauerausstellung zum Leben in der DDR" steht vor dem Aus. Zu Besuch bei Hans-Joachim Stephan, der sich einst aus Westfalen aufmachte, um den sozialistischen Zeitgeist zu retten.

Von Cornelius Pollmer, Radebeul

Die DDR, das muss man so sagen, ist mal wieder pleite und eine Mitschuld daran trägt laut Hans-Joachim Stephan das kapitalistische Ausland. Stephan ist Gründer und Chef der DDR, "Zeitreise" heißt seine Ausstellung in Radebeul bei Dresden und dieser Titel passt auch ganz gut zu dem kastigen Gebäude, in dem das Museum auf vier Etagen nur mietend zu Gast ist. Sein kleines Büro hat sich Hans-Joachim Stephan im zweiten Stock eingerichtet, er sitzt nun in den Kreuzwinden von Drinnen-Ventilator und Sommertags-Draußen und spricht von den Forderungen einer "spanischen Milliardärsfamilie", welcher der Plattenbau gehört. Er spricht von dieser Familie wie Gerhard Schröder einst von diesem "Professor aus Heidelberg" sprach, und so wenig die Süffisanz Schröder am Ende half, so wenig wird sie Stephan helfen. Hans-Joachim Stephan weiß das, nur hat er gerade nicht viel mehr zum Festhalten als das Empfinden moralischer Überlegenheit. Die Gesamtsituation spricht nämlich ziemlich eindeutig gegen Stephan und gegen sein Lebensprojekt.

Vor zehn Jahren hat Hans-Joachim Stephan das Museum eröffnet, 2009 führte er es in die schwarzen Zahlen, auch in den Jahren danach war die DDR profitabel. Die "Zeitreise" erreichte mit 3500 Quadratmetern Ausstellungsfläche schnell einen jener Superlative, die für das Interesse von Laufkundschaft bis Busreisegruppe offenbar lebensnotwendig sind. Stephan bietet also die "größte museale Dauerausstellung zum Leben in der DDR". Und Leben, das bedeutete unerhörterweise sogar im Arbeiter- und Bauern- und Unrechtsstaat für die meisten: arbeiten, wohnen, reisen.

Irgendwann habe man ihm das Thema "Dunkeldeutschland" aufgedrückt, meint Stephan

Bis zu 60 000 Besucher erreicht er damit im Jahr, um die 25 Weihnachtsfeiern - das genügte, um die Kosten für das Gebäude und fünf Mitarbeiter zu erwirtschaften. "Dann kam die Phase, in der wir das Thema Dunkeldeutschland wieder draufgedrückt bekommen haben", sagt Stephan. Im vergangenen Jahr sei der diffuse Eindruck entstanden, man könne sich nicht mehr nach Dresden bewegen. Und dieser diffuse Eindruck hatte in den Büchern von Stephan sehr konkrete Folgen: ein Drittel weniger Besucher, 80 Prozent weniger Weihnachtsfeiern.

Pegida, die umfangreiche und zum Teil pauschalisierende Berichterstattung darüber, der Gegenprotest: Lag's wirklich nur daran? Hans-Joachim Stephan antwortet indirekt, aber deutlich, er berichtet vom Kleinerzgebirge in Oederan und vom Saurierpark in Kleinwelka, auch dort seien die Besucherzahlen ziemlich plötzlich eingebrochen. Und weil das Unglück gerne in Gesellschaft kommt, schlug 2015 auch noch die Einführung des Mindestlohns in seine Bücher ein und eben die ziemlich klare Ansage dieser spanischen Milliardärsfamilie, dass man bei der Miete nicht ganz so viel Spielraum sehe.

Für sich genommen wäre das schon eine üppig ausgestattete Geschichte, aber der Weltgeist hat noch eine ganz besondere Volte hinzugefügt. Ausgerechnet der stadtbekannte Nachtclub- und Rotlichtkönig hat der DDR Rettung angeboten. In den Zeitungen war in den vergangenen Wochen zu lesen, der Dresdner Generalunternehmer Wolle Förster würde Stephan nur zu gerne günstigen Mietraum in seinem Gewerbegebiet an der Autobahn anbieten. Förster betreibt mehrere Sushi- und Strip-Lokale, ein DDR-Museum würde dieses Imperium auf natürlich wahnsinnige Weise schlüssig ergänzen. Andererseits ist es so, dass ja auch jemand den Umzug in dieses Gewerbegebiet bezahlen muss. Stephan sagt, er werde mangels Mitteln dieser jemand ganz bestimmt nicht sein können.

Für sich genommen wäre das nun aber wirklich eine üppig ausgestattete Geschichte, aber Hans-Joachim Stephan hat selbst auf theoretischen Ebenen noch Bitter-Ironisches als Garnitur anzubieten. Wie von der spanischen Milliardärsfamilie spricht er auch von den staatlichen Museen, er hält sie für "zwangstouristische Einrichtungen", gut gepolstert vom üppigen Steuersäckel. Sein Museum aber sei "politisch verlassen", niemand würde sich für die "Zeitreise" starkmachen, weil Erzählungen von der DDR nur in der Evergrey-Variante des bis ins Detail grundbösen Unrechtsstaats gefördert und anerkannt würden. Die praktischen Folgen für Stephan liegen nun darin, dass Spenden an sein Museum nicht abgesetzt werden können, dass Fördergelder schlicht nicht fließen, und dass also ausgerechnet ein Museum über die sozialistische DDR am Markt bestehen muss, wenn es nicht untergehen will. Wird es untergehen?

"Ich arbeite wie in der DDR, ich muss mir etwas einfallen lassen", sagt Stephan. Er prüfe natürlich jedes Angebot, das ihn erreiche, und es gebe zudem die Idee, die DDR vom Markt zu nehmen und in eine Stiftung zu überführen, sie gewissermaßen zu Volkseigentum zu machen. Dagegen allerdings spricht nicht nur die Zeit - bis zum frühen Herbst muss eine Lösung gefunden sein.

Etwa 25 größere private Ausstellungen zur DDR gibt es bundesweit, das ist Statistik. Für Hans-Joachim Stephan wäre ein Aus der "Zeitreise" dramatisch, das ist persönliche Realität. "Ich bin angefasst", sagt er, und das ist vermutlich noch die diskrete Variante seiner Zustandsbeschreibung. Ein Aus des Museums würde für Stephan einen Bruch in der Erwerbsbiografie bedeuten, im Alter von 61 Jahren, viel mehr noch aber schmerzte ihn das abrupte Ende einer Reise, die 1989 schon in den Tagen nach dem Mauerfall begann.

Er wollte wissen, was es im Osten außer Schießbefehl und Stasi noch so gab

Während der halbe Osten sich zum Schnupperkurs in den Westen aufmachte, fuhr der Westfale Stephan gegen den Strom nach Görlitz. Er hatte an den pauschalen Feindbeschreibungen im Westfernsehen gezweifelt, er wollte wissen, was es in der DDR außer Schießbefehl und Stasi noch so gab. Der Mauerfall korrigierte sein Weltbild, aber während der Wessi Stephan sein Interesse an sachlicher Darstellung von Alltagskultur wachsen sah, öffneten die Ossis ihre Fenster und warfen den ganzen alten Krempel weg.

Nun stehen sie wieder bei Stephan im Haus und bohren für ihre Kinder und Enkel Gucklöcher in die Vergangenheit. Uniformen und Schulbücher, Wohnzimmerdesign und Campingausrüstung, Radiogeräte und Polizeiautos. Es geht in der "Zeitreise" von Hans-Joachim Stephan etwas ramschig zu, und doch fällt es schwer, sich den zweiten und finalen Tod der DDR vorzustellen, den eine Entrümpelung ihres Nachlasses hier bedeuten würde. Denn wo Stephan zuweilen eine Glorifizierung unterstellt wird, beschäftigt ihn vor allem die Frage: Wie haben Menschen in der DDR gelebt? Akten und Vitrinen allein, findet er, können darauf keine Antwort geben.

© SZ vom 02.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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