Organisierte Kriminalität:Leise, geräuschlos, effizient

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Große Verbrechenskonzerne wie die kalabrische Ndrangheta breiten sich aus. Sie verbinden sich mit der normalen Wirtschaft - und zeigen unternehmerische Weitsicht.

Hans Leyendecker

Die Schüsse von Duisburg weckten die Erinnerung an eine Gefahr, die zumindest seit dem Massenmord von New York im Schatten öffentlicher Wahrnehmung liegt: Große Verbrechenskonzerne wie die kalabrische 'Ndrangheta breiten sich ölfleckartig aus und haben auch in Deutschland Filialen.

Die Windschutzscheibe eines der beiden Autos, in dem die Italiener erschossen wurden. (Foto: Foto: AP)

Manchmal konkurrieren sie mit Gangs aus dem zerfallenen Ostblock oder aus Asien oder Afrika um Marktanteile, und die Platzhirsche der deutschen Banden halten dagegen. Meist aber bevorzugen sie Absprachen und bemühen sich, geräuschlos neue Märkte zu erobern oder ihre alten Märkte zu verwalten.

Diese Industrie des Verbrechens wird von Experten organisierte Kriminalität (OK) genannt. Welchen Schaden diese Kriminalität anrichtet, ist aber ebenso unklar wie das genaue Ausmaß der internationalen Verflechtung. "Wie unterirdisches Pilzgeflecht durchzieht es unsere Gesellschaft. Verbindungslinien werden nur sporadisch sichtbar", heißt es in einer im April dieses Jahres erschienenen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) über "Verhütung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität". Nach Angaben von Europol sind in der Europäischen Union etwa 4000 organisierte kriminelle Gruppen aktiv.

Gewinn in zweistelliger Milliardenhöhe

Es gibt Schätzungen, denen zufolge Kriminelle jährlich weltweit 1300 Milliarden Dollar erwirtschaften. Das Büro für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen mutmaßt, dass zwei bis drei Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts auf Aktivitäten organisierter Kriminalität zurückzuführen sind. Eine ähnliche Schätzung machte der Internationale Währungsfonds. Bei solchen Zahlen wird häufig übertrieben, aber wahrscheinlich ist schon, dass in deutschen Statistiken seltsamerweise gewaltig untertrieben wird.

Das Bundeskriminalamt (BKA) schätzt in seinem "Bundeslagebild OK 2005'" den Jahresgewinn der kriminellen Organisationen auf nur rund 842 Millionen Euro. Eine Projizierung der UN-Zahlen und der Angaben des Währungsfonds auf deutsche Verhältnisse ergäbe hingegen einen Gewinn in zweistelliger Milliardenhöhe.

"Das Bundeslagebild ist keine Bilanz", sagt Josef Geißdörfer, Kriminaldirektor beim Bayerischen Landeskriminalamt, der sich seit 1985 um die Bekämpfung der organisierten Kriminalität bemüht. "Die tatsächliche Verbreitung der OK sowie der von ihr angerichtete direkte und indirekte Schaden sind wesentlich höher als statistisch ausgewiesen", schreiben auch die FES-Autoren in ihrer Studie.

Andere Prioritäten

Aus den Statistiken wird klar, dass seit 2001 die Zahl der Beamten im Bereich der OK-Bekämpfung stark rückläufig ist. Im Jahr 2000 waren es noch mehr als 3000, im Jahr 2004 waren es etwa fünfhundert Beamte weniger. Insbesondere beim BKA (aber auch bei den Landeskriminalämtern) wurden nach den Anschlägen vom 11. September viele OK-Beamte abgezogen und in den Bereich des Staatsschutzes versetzt.

"Es gab andere Prioritäten", sagt Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Die OK rückte auch in der publizistischen Betrachtung des Phänomens weiter ins Abseits. Rechtsextremismus und Internet-Kriminaltiät machten mehr Schlagzeilen.

Dass archaisch anmutende Racheakte und Familienfehden wie in Duisburg über Zustand und Befindlichkeit der organisierten Kriminalität wenig aussagen, ist unter Experten unumstritten. Die mutmaßlichen Fehdemorde von Duisburg seien "unorganisierte, dumme Kriminalität", sagt Wolfgang Hetzer, Berater der europäischen Antibetrugsbehörde Olaf und einer der engagiertesten Deuter der rasanten Entwicklung des internationalen Verbrechens.

"Die besonders gefährlichen Vertreter der OK" griffen zu "kaufmännischen Kalkulationen". Sie würden mit unternehmerischer Weitsicht erkennen, wo die höchsten Gewinnspannen und die geringsten Risiken liegen. Die "richtige OK ist leise, geräuschlos, effizient'', bestätigt Freiberg.

Drogen-, Menschenhandel, Produktpiraterie, Eigentums-, Umwelt-, Fälschungskriminalität und Waffenhandel sind nur einige der von OK-Gruppen infizierten oder beherrschten Bereiche. Wie stark es der OK gelungen ist, sich osmoseartig mit Teilen des normalen Wirtschaftslebens zu verbinden, ist unklar.

Siemens-Manager - ehrenwerte Herren der organisierten Kriminalität

Die OECD schätzt, dass jährlich etwa 1500 Milliarden Dollar schmutziges Geld gewaschen werden und Teil des Finanzkreislaufs sind. Dass im Süden Italiens, in Ländern des früheren Ostblocks oder in asiatischen oder afrikanischen Staaten Verbrechenskonzerne zumindest auf einen Teil des Wirtschaftslebens Einfluss nehmen, steht fest. Sie haben sich im Immobiliengeschäft und in der Finanzwirtschaft engagiert, ihnen gehören Fabriken, Speditionen, sogar Krankenhäuser, und wenn die Mafia-Organisation Camorra mit dem Müll in Neapel nicht zurechtkommt, wird er nach Deutschland expediert.

Aber wie weit ist die organisierte Kriminalität in Deutschland vorgedrungen? Dass hierzulande ansässige OK-Gruppen ihr Geld in Firmen investieren und manche Unternehmen sogar ganz besitzen, ist belegt. Dass die OK massiv versucht, Einfluss auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz und Wirtschaft zu nehmen, behauptete beispielsweise der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU).

Was und wer darf als OK bezeichnet werden? Laut Wolfgang Hetzer sind die wesentlichen Merkmale der OK: arbeitsteiliges Vorgehen, mindestens drei Beteiligte, Verwendung gewerblicher oder geschäftsmäßiger Strukturen. Danach müssten auch ganz besonders ehrenwerte Herren zur organisierten Kriminalität gehören: die Siemens-Manager im Korruptionsskandal.

© SZ vom 17.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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