Mehrere hunderttausend Frauen in Deutschland arbeiten als Prostituierte, weit mehr als die Hälfte kommt aus dem Ausland, Schätzungen zufolge bis zu 80 Prozent. Genaue Zahlen weiß niemand.
Nach langen Auseinandersetzungen hat sich die große Koalition in dieser Woche auf ein neues Gesetz zum Schutz von Prostituierten geeinigt. So wird es zwar eine Kondompflicht geben, aber keine Heraufsetzung des Mindestalters. Vorgeschrieben wird ferner eine regelmäßige medizinische Beratung. Parallel begann in Frankreich ein großer Zuhälter-Prozess gegen den ehemaligen Politiker Dominique Strauss-Kahn. Zwangsprostitution, die Rechte der Frauen und die Macht der Bordellbesitzer stehen wieder im Fokus. Doch bei der Frage, wie der Schutz der Frauen im Rotlichtmilieu verbessert werden kann, herrscht große Ratlosigkeit - und viel Streit.
Ordensschwester Lea Ackermann, 78, verfolgt die Entwicklung überaus kritisch. Sie leitet seit 30 Jahren die Hilfsorganisation Solwodi ("Solidarity with women in distress"/"Solidarität mit Frauen in Not"). Von den neuen Regelungen in Deutschland ist sie enttäuscht. Sie bezweifelt, dass es Prostituierten damit tatsächlich besser gehen wird: "Kondompflicht, wie schön - aber wer soll das überprüfen? Keine Heraufsetzung des Mindestalters auf 21 Jahre? Das finde ich ganz schrecklich, weil junge Mädchen gar nicht abschätzen können, in was sie da hineingeraten", sagt Ackermann.
Rot-Grün hat nicht die Prostituierten gestärkt, sondern das Rotlichtmilieu
Frankreich sei mit seiner Gesetzgebung wesentlich weiter als Deutschland, so die Ordensschwester. Im Nachbarland ist Zuhälterei verboten; ein Gesetz, dem zufolge Freier für gekauften Sex bestraft werden können, ist in Arbeit. "In Frankreich war Prostitution nie in der Gesellschaft akzeptiert. Zuhälter durften Frauen nicht abkassieren. Wenn da ein Verdacht aufkam, mussten diese Männer beweisen, wovon sie leben", so die Solwodi-Gründerin. In Deutschland jedoch heiße es immer: Wir können Prostitution schon irgendwie regeln.
Das Gesetz, das von der früheren rot-grünen Regierung 2001 beschlossen wurde und nun geändert werden soll, stelle Prostitution als Beruf wie jeden anderen hin. Man habe den Tatbestand der Sittenwidrigkeit abgeschafft und die Prostitution damit salonfähig gemacht. Das Gesetz habe aber nicht die Prostituierten gestärkt, sondern die Geschäftemacher im Rotlichtmilieu.
Ackermanns Organisation beobachtet, dass die Bordellbetreiber dank des neuen Gesetzes ganz legal mehr Großbordelle und sogenannte Wellnessparadiese bauen. "Die Frauen, die da tätig sind, haben aber nicht mehr Rechte bekommen. Ein Bordellbetreiber hat außerdem ein eingeschränktes Weisungsrecht - als Arbeitgeber. Was aber bedeutet "eingeschränkt"?", fragt die Ordensschwester.
Ihr Beispiel: Die Polizei beobachtete in Augsburg über drei Jahre hinweg ein Großbordell, schließlich erfolgte die Razzia. In dem Raum, in dem sich die Frauen den Kunden zeigten, herrschte absolutes Textilverbot. Sie durften noch nicht einmal ein Handtuch in der Hand halten, wurden rund um die Uhr überwacht. Als die Frauen befragt wurden, gaben sie an, freiwillig da zu sein.
Dass das Ganze keinerlei strafrechtliche Konsequenzen hatte, zeige das Dilemma. Denn das Landgericht verwies auf das Weisungsrecht des Bordellbetreibers. "Dass es nicht menschenwürdig war, wie die Frauen behandelt wurden, dass sie sich nicht einmal bekleiden durften, spielte keine Rolle", so Ackermann. Ein weiteres Problem sind die Baugesetze: Sie machten es Städten schwer, den Bau von Bordellen zu verbieten.
In Schweden können Freier bestraft werden, wenn sie für Sex bezahlen. Der Erfolg dieses Gesetzes ist umstritten. Ackermann findet, dass dieses Sexkaufverbot trotzdem gut funktioniert: "Es hat die Diskussion ausgelöst, ob man dort in einer Gesellschaft leben möchte, in der Mann und Frau gleichwertig sind. Da kann doch die eine Hälfte nicht die andere kaufen!" Ihr Szenario: "Stellen Sie sich vor, ein Freier wird erwischt und bekommt einen Strafzettel nach Hause. Dieser brave Familienvater erhält vielleicht dort seine erste Lektion und dann eine Geldstrafe. Die ist zwar nicht hoch, etwa so wie beim Falschparken. Der Akzent liegt eben nicht so sehr auf Bestrafung, sondern auf dem Blickwinkel - und das ist das Gute."
Dass bei der Bestrafung von Zuhältern ebenfalls viel im Argen liegt, zeigt die Hilfsorganisation an diesem Beispiel auf: Im vergangenen Jahr brachte die Polizei ein 15-jähriges Mädchen zu Solwodi. Sie stammte aus einem osteuropäischen Kinderheim, war von dort mit zwölf Jahren nach Deutschland gebracht und von zwei Männern drei Jahre lang zur Prostitution gezwungen worden - als "tabuloser Teenie" wurde sie angeboten. Im August kam es zum Prozess. Die Täter wurden zu einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt. Ackermann empört sich: "Ungeheuerlich. Das Mädchen ist fast durchgedreht vor Angst, als es erfuhr, das die Männer wieder frei sind. Wir müssen sie jetzt verstecken."