NRW:Loveparade-Prozess droht sich zu verzögern

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Verteidigung erhebt Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft und ehemaligen Innenminister.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Massive Vorwürfe der Verteidigung gegen die Staatsanwaltschaft sowie den früheren NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) drohen den Strafprozess zur Aufarbeitung der Duisburger Loveparade von 2010 zu blockieren. Die Anwältin Katharina Kolbe, die einen von sechs angeklagten Beamten der Stadt Duisburg vertritt, hielt den Ermittlern vor, sie hätten die Tragödie "einseitig-tendenziös" untersucht und nur die Verantwortung der Stadtverwaltung und des Veranstalters "Lopavent" belegen wollen. Ein Versagen der Polizei am 24. Juli 2010, als 21 Menschen starben und 652 verletzt wurden, sei "vom ersten Tag an" ausgeklammert worden. Die Staatsanwaltschaft habe versucht, "die Polizei von jeder Schuld reinzuwaschen". Ein anderer Anwalt beantragte sogar, das gesamte Verfahren sofort einzustellen.

Anwältin Kolbe verwies auf Erklärungen des Duisburger SPD-Politikers Ralf Jäger, der neun Tage vor der Loveparade zum Innenminister Nordrhein-Westfalens ernannt worden war. Jäger hatte sich unmittelbar nach dem Unglück schützend vor die Ordnungshüter gestellt: "Die Polizei hat keine Fehler gemacht!" Damit, so Kolbe, habe der Minister die Ermittlungen beeinflusst und die Versäumnisse der Polizei "zu vertuschen" versucht. Tatsächlich hatten auch zahlreiche Opfer bemängelt, die Beamten hätten 2010 völlig unkoordiniert agiert und mit unsinnigen Polizeiketten das Gedränge am Unfallort nur verschlimmert. Jägers Aussagen waren auch vom Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags zur Kölner Silvesternacht kritisiert worden. Der Ausschuss hatte unter anderem geprüft, ob die Übergriffe am 31. Dezember 2015 hätten verhindert werden können, falls die Polizei Lehren aus der Loveparade gezogen hätte. Jäger hätte damals die Ermittlungen "nicht in eine falsche Richtung lenken" dürfen, hieß es im Abschlussbericht des Ausschusses, seine Aussagen hätten von Ermittlern "auch als Weisung verstanden werden" können.

Die Verteidigung verlangt nun, den Bericht des Untersuchungsausschusses sowie 33 Aktenordner, die zur Loveparade noch immer im Innenministerium lagern, als Beweismittel zuzulassen. Zudem fordern die Anwälte, den Prozess bis März auszusetzen: Erst dann will der Wuppertaler Verkehrsplaner Jürgen Gerlach den zweiten Teil eines Gutachtens vorlegen.

Anwälte der Opfer werteten die Einwände als Versuche, den Prozess zu verzögern. Das Duisburger Gericht muss bis spätestens Juli 2020 ein Urteil gegen die zehn Angeklagten sprechen, andernfalls droht die Verjährung. Der Düsseldorfer Opfer-Anwalt Julius Reiter sagte der SZ, Versäumnisse der Ermittler gegenüber der Polizei würden niemanden entlasten: "Es sitzen zu wenige Angeklagte vor Gericht - aber nicht die falschen."

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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