Niederlande:Festnahme nach 20 Jahren

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In der Brunssummerheide nahe Aachen erinnert eine Stele an Nicky Verstappen. Hier war die Leiche des damals Elfjährigen gefunden worden. (Foto: MARCEL VAN HOORN/AFP)

Im August 1998 wurde der elfjährige Junge Nicky Verstappen sexuell missbraucht und ermordet. Zweieinhalb Monate wurde damals nach dem Mörder gefahndet. Wie es der Polizei gelang, den Fall doch noch zu klären.

Von Thomas Kirchner

Zweieinhalb Monate wurde nach dem Mörder von Nicky Verstappen gefahndet, und die ganzen Niederlande suchten mit. Das heißt, eigentlich dauerte die Suche noch viel länger. Denn schon im August 1998 war der elfjährige Nicky Verstappen im deutsch-niederländischen Grenzgebiet sexuell missbraucht und ermordet worden. Das Kind war aus einem Sommercamp im Naturschutzgebiet Brunssummerheide an der deutschen Grenze verschwunden. Einen Tag später wurde seine Leiche gefunden. Und nun endlich auch der mutmaßliche Täter, der 55 Jahre alte Jos B., den die spanische Polizei am Sonntagnachmittag in einem abgelegenen Ort in der Nähe von Barcelona festnahm. Moderne Polizeimethoden halfen, ebenso wichtig war aber wohl der Hinweis eines Zeugen, der den Mann in den vergangenen Tagen auf einem Foto in den Medien erkannt hatte.

Die niederländische Polizei hatte erst am Mittwoch erklärt, in dem Fall einen Verdächtigen ermittelt zu haben und nach B. zu fahnden. Am Montag lobte sie die Zusammenarbeit mit den spanischen Kollegen. Diese erklärten, B. sei in einer bergigen Gegend nahe Castellterçol, 50 Kilometer von Barcelona entfernt, auf einem Hügel festgenommen worden, "als er zum Holzhacken hinaus ging". "Groß angelegte" Ermittlungen auf der Basis von DNA-Spuren hätten zu einem abgelegenen Landhaus in dem katalanischen Dorf geführt.

Am Montag wurde der Festgenommene zu einem Gericht in Granollers bei Barcelona gebracht, wie aus spanischen Justizkreisen verlautete. Dort wurde er per Videoschaltung von Richtern des zuständigen nationalen Gerichts in Madrid angehört. Der Verdächtige werde in wenigen Tagen in die Niederlande ausgeliefert, erklärte ein Richter anschließend.

Die Polizei sicherte DNA-Spuren des Täters in seiner Blockhütte

Mithilfe von Spuren an der Leiche und modernen Technologien konnte erst 2008 ein DNA-Profil des Täters erstellt werden. Zunächst kam die Polizei dadurch nicht weiter. Im Februar dieses Jahres gaben 16 000 Männer, die in der Gegend um den Tatort lebten, freiwillig eine DNA-Probe ab, doch auch diese Aktion führte nicht zu einem Verdächtigen. B. war nicht unter den Freiwilligen, er hatte aber 1998 als Zeuge in dem Mordfall ausgesagt. Die Polizei schöpfte allmählich Verdacht.

Fortschritte gab es im April, als B. von seiner Familie als vermisst gemeldet wurde. Laut deren Angaben war er nicht wieder aufgetaucht, nachdem er nach eigener Aussage zu einem Spaziergang in den Vogesen aufgebrochen war - in dem ostfranzösischen Gebirge besitzt er eine Blockhütte. Dort sicherte die Polizei DNA-Spuren des Mannes, der früher bei den Pfadfindern gearbeitet hatte und als Survival-Experte gilt. Ein Abgleich mit dem DNA-Profil des mutmaßlichen Täters ergab einen Treffer. Am 12. Juni wurde B. europaweit zur Fahndung ausgeschrieben.

Die Polizei suchte B. vorwiegend in europäischen Ländern mit großen, dichten Wäldern wie Frankreich, Spanien oder Tschechien. Er hatte sich an seinem Computer über entsprechende Orte informiert. Bei seiner Festnahme soll er Angelzeug, ein Buch über essbare Pflanzen, Trockennahrung und diverse Batterien dabei gehabt haben. Er trug Stiefel und Bergkleidung. In niederländischen Medien war spekuliert worden, dass selbst ein Mann, dessen Hobby das Überleben in der Wildnis ist, angesichts moderner Ermittlungsmethoden kaum noch auf Dauer unentdeckt bleiben könne. Zumindest gelte dies für die ersten Wochen nach einem Fahndungsaufruf.

Die Familie des getöteten Jungen nahm die Festnahme mit Erleichterung auf. "Wir haben ihn", schrieb der Sprecher der Familie, der auf Kriminalitätsfälle spezialisierte Journalist Peter R. de Vries, auf Twitter. "Es wird Gerechtigkeit geben." Laut niederländischen Medien war B. schon 1985 wegen eines Missbrauchsfalls in Berührung mit der Justiz gekommen. Er hatte zwei Zehnjährige missbraucht, woraufhin er zwei Jahre Haft auf Bewährung erhielt. Nach der Ermordung Verstappens war er in der Nähe des Tatorts auf einem Fahrrad gesehen worden. In den Medien wird nun gefragt, warum B. zwar Zeuge in dem Fall war, aber nicht schon früher als Verdächtiger galt.

© SZ vom 28.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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