New Orleans versinkt in den Fluten:Untergang in Dixieland

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Hilflos müssen Bewohner und Helfer zusehen, wie das Wasser in die Südstaatenmetropole strömt, nun fürchtet man auch noch eine Gewaltexplosion.

Reymer Klüver

Washington, 31. August - Den Allmächtigen, sagt der Bürgermeister nur, den Allmächtigen hat niemand im Griff. Ray Nagin, das Stadtoberhaupt von New Orleans, ist ein recht nüchterner, besonnener Mann. Auch jetzt, mitten in der Katastrophe, müht er sich, sachlich und ruhig zu bleiben. Doch nun, da er mit ansehen muss, wie seine Stadt untergeht, fehlen ihm die Worte. Worte, die das Ausmaß der Katastrophe kenntlich machen könnten, die über die Menschen gekommen ist.

80 Prozent von Nw (Foto: Foto: SZ-Grafik)

Es ist wohl tatsächlich eine Prüfung biblischen Ausmaßes, die der Hurrikan "Katrina" über die Stadt New Orleans gebracht hat und überhaupt über die Küsten der Staaten Louisiana, Mississippi und Alabama entlang des Golfs von Mexiko, über die Städte Gulfport, Mobile und Biloxi und die vielen kleinen Küstengemeinden, von denen oft nichts als ein einziger Schutthaufen zurückgeblieben ist.

Und als alle in New Orleans am Montagabend schon hofften, die Prüfung sei vorüber, kam sie erst mit voller Macht über die Stadt. Die alte, die swingende Metropole des Südens, the Big Easy hat sich New Orleans selbst genannt. Nun liegt nur noch dunkle Öde und Traurigkeit über der versunkenen Stadt.

Am Morgen nach dem Sturm wurde das Ausmaß des Desasters erst ganz deutlich. Zwei Deiche sind gebrochen, halten dem Druck der Wassermassen nicht mehr stand. Der Lake Pontchartrain, im Norden gelegen, ergießt sich in die Straßen der Stadt. Die Canal Street, sonst eine betriebsame Einkaufsstraße, hat sich in einen Kanal verwandelt.

Mehr als 80 Prozent des gesamten Stadtgebietes sind inzwischen überflutet. Und das Wasser steigt weiter. Schont bahnt es sich einen Weg in das French Quarter, das älteste Viertel, das am höchsten liegt. Doch Bürgermeister Nagin rechnet schon damit, dass bald 100 Prozent seiner Südstaaten-Metropole vom Wasser eingeholt sein werden.

Die erschöpfte Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, kündigte am frühen Mittwochmorgen die vollständige Evakuierung von New Orleans an, auch der Notunterkünfte. Die Lage sei unhaltbar und herzzerreißend, die Menschen sollten beten. Dazu gibt es allen Grund, New Orleans, an drei Seiten am Wasser gelegen, liegt unter dem Meeresspiegel. Gewaltige Deiche und gigantische Pumpen schützten die Stadt - bislang.

Vom Hurrikan verschluckt

Experten war die Gefahr seit langem klar - nur Abhilfe gab es nicht, nur die Hoffnung, dass es wie bisher immer gut gehen werde. Doch diesmal sind die Deiche an zwei Stellen gebrochen. Und Pioniere der US-Armee schafften es nicht, sie zu stopfen. Per Hubschrauber warfen sie tonnenschwere Sandsäcke in die Lücken. Doch die reißenden Wasser vergrößerten das Loch schneller, als die Soldaten nachlegen konnten. Inzwischen wird überlegt, die Lücken mit sandgefüllten Containern jedenfalls notdürftig abzudichten.

Doch bisher strömt das Wasser weiter, so dass jetzt selbst Stadtteile über dem Meeresspiegel überschwemmt werden. An manchen Stellen steht das Wasser mehr als sechs Meter hoch. Und die Pumpen beginnen, ihren Dienst zu versagen.

Von den Highways, die New Orleans wie ein Spinnennetz überziehen, ragen nur noch die Brücken heraus. Die Interstate10, die Hauptverkehrsader, ist unterbrochen, ganze Auffahrten sind in sich zusammengestürzt. Teile des Lake-Pontchartrain-Causeway, mit fast 40 Kilometern eine der längsten Autobahnbrücken der Welt, sind einfach verschwunden, wie vom Hurrikan verschluckt.

Beide Stadtflughäfen stehen unter Wasser. Und die steigende Flut droht auch die letzten intakten Verbindungen zur Außenwelt zu unterbrechen.

Die Stadtverwaltung musste schon umziehen: New Orleans - oder das, was davon noch übrig ist - wird nun von der Hauptstadt Louisianas verwaltet, von Baton Rouge aus. Selbst die Zeitung, die Times-Picayune, musste aufgeben. Am Dienstag war noch eine Internet-Ausgabe erschienen, am Abend dann wurden die Mitarbeiter auf Trucks aus der umfluteten Redaktion geschafft.

Das Stadtkrankenhaus Charity Hospital und das Tulane-Universitätsklinikum, wo man sich noch am Sonntag für alle Eventualitäten gerüstet sah, mussten ebenfalls geräumt werden. Die Patienten der Intensivstation wurden per Hubschrauber ausgeflogen. Zwei Gefängnisse wurden evakuiert, die Häftlinge mussten teilweise Stunden auf von Wasser umgebenen Straßen in der Sonne ausharren, ehe sie in andere Strafanstalten Louisianas verlegt wurden.

Und andererseits wird Wasser zusehends knapp. Leitungswasser, so es noch fließt, ist verdreckt. Fäkalien und Industrieabwässer haben sich mit der Flut vermischt, die sich über die Stadt ergossen hat. Strom erzeugen nur noch private Generatoren, doch für die geht der Diesel zur Neige.

In der Betonschüssel

Untragbar sind die Zustände inzwischen im Superdome, dem riesigen Football-Stadion, dessen Dach der Hurrikan schwer beschädigt hat. Gedacht war die Arena nur als Schutzraum für die Stunden des Sturms, nun ist sie letzte Zufluchtsstätte vor den Fluten für Zehntausende. So genau weiß keiner, wie viele Menschen in der Betonschüssel sind.

Gouverneurin Blanco sprach von bis zu 20.000. Bürgermeister Nagin nannte die Zahl von 12.000 bis 15.000 Menschen, die auf den Plastiksitzen und den Gängen campieren. "Sehr schwierig" sei die Situation für die Eingeschlossenen, sagte er nach einem kurzen Besuch im Superdome, und das dürfte einigermaßen untertrieben sein.

Die Toiletten sind inzwischen völlig verstopft, der Abfall türmt sich, die Entlüftungsanlage funktioniert nicht, die Arena heizt sich bei einer Außentemperatur von 33 Grad Celsius allmählich wie ein Kochtopf auf. Die Feuchtigkeit von den Ausdünstungen der Menschen läuft mittlerweile die Betonpfeiler herunter.

Meistens hat es die Ärmsten der Armen getroffen - sie haben alles verloren. (Foto: Foto: dpa)

Und weil Regen durch die Löcher des von "Katrina" zerfetzten Dachs hereingeprasselt ist, stehen große Pfützen. "Den Leuten ist heiß, sie sind müde und nervös", sagt der Bürgermeister. Und die Menschen sind nicht leicht zu dirigieren: Die Lautsprecheranlage der Arena funktioniert nicht mehr.

Völlig abgeschnitten

Die Leute sind völlig abgeschnitten: Sie können weder Radio noch Fernsehen empfangen. Und Mitarbeiter der Stadt, die vielleicht Informationen hätten, so klagen die Eingeschlossenen, ließen sich kaum blicken.

Vor allem macht die Menschen die Unsicherheit darüber verrückt, was mit ihnen nun geschehen wird. Es heißt, ein Mann habe sich von der Tribüne zu Tode gestürzt. Doch die Behörden wissen es ja selbst nicht, was sie tun sollen, und lassen die Leute nicht aus der Schutzburg heraus. Es hätte auch wenig Sinn: Die Flut schließt allmählich auch den Superdome ein.

Auf einen Meter ist der Wasserspiegel in der Umgebung des Superdomes schon gestiegen. Auch die meisten Hotels, die bis jetzt noch als etwas angenehmere Zufluchtsstätten gedient hatten, sind inzwischen ebenfalls von Wasser umgeben, niemand kann sie mehr verlassen.

Mancher hat auch das immerhin das Überleben sichernde Footballstadion nicht mehr erreicht. Cherronda Lee, die mit Mann, Kind und Enkelin zuerst in ihrem Haus bleiben wollte, hatte sich am Montag dann doch im Kleinlaster mit ihrer Familie zum Superdome aufgemacht. Unterwegs machten ihnen die Fluten die Weiterfahrt unmöglich. Das Letzte, was sie von ihrem Mann sah, war, dass er sich verzweifelt an einem Ast festhielt, ehe ihn die Wassermassen wegrissen.

Wie sollen die Leute evakuiert werden?

Innerhalb von zwei Tagen soll der Superdome nun evakuiert werden. Die Situation sei "schrecklich", und Menschen hinaus zu bekommen, sei "unumgänglich", sagt Gouverneurin Blanco. Aber ihrem Gesicht ist anzumerken, dass sie nur eine vage Vorstellung hat, wie das gehen soll.

Busse will sie schicken. Doch wie sollen die Menschen dahin kommen? Die Marine hat unterdessen angeboten, die Eingeschlossenen im Superdome auf ihren Schiffen unterzubringen und zu versorgen. Doch die Schiffe liegen nicht wirklich in New Orleans vor Anker.

Und wie sollen die Menschen auf die Schiffe kommen? Bürgermeister Nagin rechnet damit, dass die Menschen noch "mindestens eine weitere Woche festsitzen". So recht glaubt ihm das im Moment aber niemand, und keiner mag sich ausmalen, wie die Zustände sein werden, wenn die Tortur auch nur wenige Tage länger dauern sollte.

Viele der Eingeschlossenen sind ohnehin die Ärmsten der Armen. Sie sind nicht geblieben, weil sie, aus welchen Gründen auch immer, glaubten, den Sturm schon überstehen und die Anordnung ihres Bürgermeisters ignorieren zu können. Selbst wenn sie gewollt hätten, sie hatten kein Auto oder nicht das Geld, die Stadt zu verlassen. Die Greyhound-Busse, für viele das einzige Mittel, aus der Stadt zu kommen, waren schon seit Samstagabend nicht mehr gefahren.

In dieser Lage, in der es schon fraglich ist, wie man die Lebenden vor dem Ärgsten bewahren kann, ist auch keine Zeit, sich um die Toten in der Stadt zu kümmern. Keiner weiß bisher genau, wie viele es sind. Bürgermeister Nagin sagt, die im Wasser treibenden Leichen würden von den Rettungskräften in den Booten einfach beiseite gestoßen. Häuser, in denen es Tote gibt, würden markiert mit roten oder schwarzen Zeichen.

"Im Ernst, haut ab"

Und keiner spricht es wirklich aus. Aber die Spannung in der untergegangenen Dixie-Metropole ist aus allen Meldungen und allen Nachrichten, die nach draußen dringen, fast körperlich spürbar. Weder die Gouverneurin, noch der Bürgermeister sagen es: Aber alle fürchten eine Explosion der Gewalt.

Die Leute wollen einfach nur raus. Von einigen noch intakten Highways wurden schon Zwischenfälle gemeldet. Autos wurden angehalten, die Fahrer mit vorgehaltener Waffe herausgezerrt. Die Verwaltungschefin der Stadt, Sherry Landry, hat Reporter aufgefordert, so sie noch können, die Stadt zu verlassen: "Im Ernst, haut ab", sagte sie bereits am Dienstag.

Auf Reporterfragen sagte Bürgermeister Nagin, die Stadt sei "relativ sicher" - und fügte dann hinzu, "so sicher es eben geht in einer Stadt, die zu vier Fünfteln unter Wasser steht".

Die Stunde der Plünderer

Gradmesser für den ansteigenden Gewaltpegel sind die Plünderungen, die teilweise sogar gefilmt wurden. In der Canal Street von New Orleans sind Bekleidungs- und Schmuckgeschäfte ausgeraubt worden. Ein Mann, der zehn Paar Jeans trug, wurde gefragt, ob er Waren aus seinem Geschäft in Sicherheit bringe. "Nein, dieses Geschäft gehört allen", antwortete er.

Schon wurde ein Polizist niedergeschossen von einem der Plünderer. Ein gigantischer Supermarkt der Wal-Mart-Kette im Lower Garden District ist komplett ausgeräumt worden. Kleidung, Fernseher, Lebensmittel, alles wurde in großen Einkaufswagen davongekarrt oder in Transporter gestopft. "Sie haben gesagt, nehmt euch, was ihr wollt", sagte ein Plünderer einer Reporterin, "die Flut wird ohnehin alles ruinieren." Streifenpolizisten, die herbeigerufen wurden, schauten dem Raubzug hilflos zu, sie hätten sowieso nichts mehr ausrichten können.

Beunruhigt hat die Sicherheitsbehörden besonders, dass auch die Waren der Waffenabteilung des Supermarkts komplett verschwunden sind. "Wir haben ein gravierendes Problem", räumte der Sicherheitschef der Stadt, Terry Ebbert, ein. Es seien nicht einmal so sehr die spontanen Plünderungen, die ihn so sehr beschäftigten.

Bewaffnete Banden

Inzwischen seien bewaffnete Banden unterwegs, die gezielt die Läden, aber auch Häuser ausräumten, deren Bewohner vor dem Hurrikan geflohen sind. 3500 Nationalgardisten sind in die Stadt beordert worden, um die Ordnung zumindest halbwegs aufrecht zu erhalten.

Eines wissen die Sicherheitsbehörden auf jeden Fall: Sie dürfen die Kontrolle über die Situation nicht verlieren, auch nicht in diesen Stunden des Desasters. "Alles", sagt düster ein alter Musiker und Kenner seiner Heimatstadt, den der Fernsehsender CNN per Telefon in seinem von Wasser umgebenen Haus erreicht hat, "alles ist möglich in New Orleans."

© SZ vom 1.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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