Nachruf:Traum und Sünde

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Die Frau, die eine ganze Regierung ins Wanken brachte: Die Britin Christine Keeler, hier auf einer Aufnahme aus den Sechzigerjahren. (Foto: dpa)

Das Model Christine Keeler war der Albtraum jedes Geheimdienstes, aber der Traum jedes Mannes.

Von Gerhard Matzig

Das rechte Bein hat sie über das linke gelegt, dem Betrachter wendet sie sich mit einem so zauberhaft überraschten Gesichtsausdruck zu, als wollte sie sagen: "Ups, ich habe ja gar nichts an." Aber bevor man sich zurückzieht als Voyeur, der man ist, erhascht man doch noch einen verbotenen Blick auf jenen ebenfalls halbmondförmigen Teil ihres nackten Körpers, der die Statik des filigranen Stuhls, auf dem sie sitzt, ernsthaft herausfordert.

Christine Keeler ist sozusagen nur mit diesem Stuhl bekleidet, den der dänische Architekt und Designer Arne Jacobsen entworfen hatte als Möbel der schieren Zukunftslust; ein grandioser popikonischer Moment der Nachkriegsmoderne. Aber in Wahrheit sitzt das nackte Model - damals, während des Höhepunkts der "Profumo-Affäre" Anfang der Sechzigerjahre - auf einem billigen Imitat des Jacobsen-Stuhles der legendären "Serie 7". Der Fotograf hatte das Sperrholzmöbel zuvor billig erstanden. Und darin liegt das Besondere des Augenblicks: Alles an dem Bild ist irgendwie falsch, verlogen, unecht, gestellt. Und doch scheint darin eine ganz bestimmte und sehr schöne Wahrheit zu liegen.

Der britische Heeresminister John Profumo, verheiratet, stürzte über seine junge Geliebte Keeler, der er zuvor Liebesbriefe geschrieben hatte, die man sich als Pennäler nicht fiebriger ausdenken könnte. Wenn man als britischer Heeresminister schon außerehelichen Sex hat, sollte man wenigstens sicher sein, dass sich kein russischer Agent im gleichen Bett befindet. Dem war aber so: Profumo teilte sich gewissermaßen die junge Dame mit dem russischen Marineattaché Jewgeni "Eugene" Iwanow, im Nebenberuf Spion. Als "Bär von einem Mann" hat ihn Christine Keeler einmal beschrieben. Es war der größte Skandal der europäischen Nachkriegsgeschichte. Eine Regierung zerbrach daran.

Natürlich ist alles darin enthalten, was zum Skandal taugt: ein Minister, ein Spion, ein dunkles Geheimnis, ein paar Zuhälter und andere zwielichtige Gestalten, Messerstiche und sieben Bleikugeln, die durch eine Tür gejagt werden. Christine Keeler, die schöne junge Frau, die in einem Eisenbahnwaggon aufgewachsen ist und später in London Friseurin, Kellnerin und Verkäuferin war, um später einen Rolls-Royce samt Chauffeur zu besitzen, befand sich zum Glück nicht hinter dieser Tür. Hinter dieser Tür war nur noch das, was das Model über das Leben in den Sixties herausgefunden hatte: Einen schönen Körper kann man zu Geld machen. Und Männer, die viel Macht haben, sind immer dann ohnmächtig, wenn sie am Lebenshunger einer Frau zerschellen.

1942 wurde Christine Keeler in Uxbridge, Middlesex, England, geboren. Mit 15 fand sie Arbeit als Vorführmodel in einem Kleidungsgeschäft in Soho. Zwei Jahre später brachte sie einen Jungen zur Welt, der die Geburt nur um sechs Tage überlebte. Einen Vater gab es dazu eher nicht. Mehr wusste die 17-Jährige nicht von ihm, nur dass er "Jim" hieß. Der Rest ist ein Traum, der aus immer neuen Bekanntschaften besteht, aus Gartenfesten, Schlössern und Swimmingpools. Als der Spiegel über die Profumo-Affäre berichtete, fing der Text so an: "Die Nacht war schwül, das Mädchen nackt. Im Mondlicht schimmerte der Swimmingpool im Schloßpark von Lord Astors Herrensitz Cliveden." Offenbar war sie eine Frau, die die Fantasie entzündete.

Kein Wunder, dass sie auch zu einer Ikone wurde. Schon bald nachdem sie sich ihre Geschichte zwischen Minister und Spion, zwischen England und Russland, die sich nicht nur im Kalten Krieg, sondern unwissentlich auch in einem Bett befanden, an die Zeitungen für eine halbe Million verkauft hatte, wurde sie auch zur Popikone. Das Bild mit dem Stuhl - nackt und doch nicht nackt - ging um die Welt. Später schrieben die Pop-Poeten Songs über den Sexskandal. Es gab Filme und sogar ein Musical. Die Politik überlebte die Affäre nicht, Keeler schon.

Jetzt ist Christine Keeler gestorben, in einer Klinik in Farnborough, wie der Guardian schreibt. Sie wurde 75 Jahre alt.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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