Nachruf:Der Mann in der Kapsel

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Er war der erste US-Astronaut, der die Erde umrundete: John Glenn Mercury vor der Raumkapsel "Friendship 7" im Jahr 1962. (Foto: Reuters)

Ein Raumfahrtpionier und einer der letzten echten Helden der USA: Nachruf auf John Glenn, der im Alter von 95 Jahren gestorben ist.

Von Christian Mayer

John Glenn war der richtige Mann in einer Zeit, als die Vereinigten Staaten verzweifelt nach Helden suchten. Anfang 1962 bot sich den USA die Gelegenheit, der sowjetischen Heldentat - im April 1961 hatte Juri Gagarin in einem Raumschiff als Erster die Erde umrundet - etwas noch Größeres, Raumgreifenderes entgegenzusetzen. Glenn zählte zum Kreis der sieben Astronauten, die für das Abenteuer im All vorgesehen waren; als ältester der "Original Seven" startete er am 20. Februar 1962 an der Spitze der Mercury-Atlas-Rakete von Cape Canaveral in Florida.

Ein Mann in seiner Kapsel, der Friendship 7. Drei Mal umrundet Glenn die Erde, er wundert sich nur über die "Glühwürmchen" an der Außenscheibe, was nichts anderes ist als sein eigener kristallisierter Urin, der nach dem Abwerfen an der Kapsel klebt. Schließlich stürzt er zurück, nach Problemen mit dem Hitzeschild, in die Atmosphäre, Friendship 7 landet im Atlantik, wo ihn ein Kriegsschiff der Navy in Empfang nimmt. "Meine Kondition ist gut, aber, Mann - das war ein echter Feuerball": Mit diesen Worten meldet sich Glenn, der vier Stunden und 55 Minuten im All war, bei seinen Landsleuten zurück.

Im Alter von 95 Jahren ist er nun in seiner Heimat Ohio gestorben. Und das Land, das so gespalten ist wie selten in seiner jüngeren Geschichte, trauert in seltener Einigkeit um einen Mann, der mit seiner Bescheidenheit beeindruckte. Schon damals, als ihm nach der Rückkehr ein Triumphzug aufgenötigt wurde, eine Konfettiparade in New York. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges hatte er ein Zeichen am Himmel gesetzt. Präsident John F. Kennedy wusste, wie wertvoll Glenn für ihn war, deshalb sollte Amerikas Vorzeige-Astronaut besser am Boden bleiben; das Risiko, ihn bei einer weiteren Mission im All zu verlieren, war den Strategen in Washington zu groß.

Der Sohn eines Installateurs aus dem Mittleren Westen hatte im Zweiten Weltkrieg bei 59 Einsätzen im Pazifik außerordentlichen Mut bewiesen, auch im Koreakrieg diente er als vielfach dekorierter Kampfpilot. 1957 absolvierte er einen Überschallflug von Los Angeles nach New York in der Rekordzeit von drei Stunden und 23 Minuten. Doch für die Rolle des strahlenden Posterboy war er nicht unbedingt geeignet. "Er sah aus wie die etwas kahlköpfige und härtere Version des nettesten sommersprossigen Jungen vom Land", schrieb der Schriftsteller Tom Wolfe über Glenn. Doch man solle sich nicht täuschen: Dieser Mann sei der "letzte Nationalheld, den Amerika hervorgebracht hat". Ein Urteil, das nun oft zu hören ist, wenn Glenn mit Luftfahrtpionieren wie den Brüdern Wright oder Charles Lindbergh verglichen wird.

Weil das Schicksal ein mieser Verräter ist, musste Glenn seine Karriere unter kuriosen Umständen beenden. Ein Unfall in der Badewanne, bei dem er sich sein Innenohr verletzte, machte seinem Traum ein Ende. Der Kennedy-Clan riet ihm, in die Politik zu gehen. Von 1974 bis 1999 diente er als demokratischer Senator in Washington; sein Versuch, sich als Präsidentschaftskandidat nominieren zu lassen, scheiterte 1984 - als Redner waren ihm echte Höhenflüge nicht vergönnt.

Dafür feierte Glenn 1998 ein spektakuläres Comeback: Im Alter von 77 schickte ihn die Nasa doch noch mal ins All, gemeinsam mit sechs weiteren Astronauten an Bord der US-Raumfähre Discovery. Glenn war Teil eines wissenschaftlichen Versuchs, um herauszufinden, wie sich die Schwerelosigkeit auf ältere Menschen auswirkt. Etwas wackelig, aber sichtlich vergnügt kehrte der Senior nach neun Tagen auf der Erde zurück.

Glenn habe Generationen von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Astronauten inspiriert, die die Menschen eines Tages zum Mars bringen würden, erklärte Präsident Barack Obama. Glenn hinterlässt seine Frau Anna Margaret, mit der er seit 1943 verheiratet war, und zwei Kinder.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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