Nach Folterdrohung gegen Magnus Gäfgen:Falsche Genugtuung für den Kindermörder

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Dreitausend Euro sind dreitausend zu viel: Die Folterdrohung gegen Magnus Gäfgen war grobes Unrecht. Doch das Urteil gesteht dem Kindermörder eine Entschädigung zu, die er nicht verdient - und es verstört das Rechtsgefühl der Menschen. Das Gericht hat Richtiges gewollt, aber Falsches gemacht.

Heribert Prantl

Das Urteil ist richtig, aber trotzdem falsch. Es wendet die Paragraphen an nach den Regeln der Kunst, kommt aber nicht zu einem sachgerechten Ergebnis. Es verfehlt den Zweck des Gesetzes. Es gewährt dem Kindsmörder überschießende Genugtuung. Es spricht zwar ausdrücklich nicht von Schmerzensgeld, gewährt es aber letztlich doch.

Der verurteilte Kindermörder Magnus Gäfgen erhielt eine Entschädigung von 3000 Euro. (Foto: dpa)

Das Urteil spricht Magnus Gäfgen eine Entschädigung von 3000 Euro zu, weil er bei seiner Vernehmung mit Folter bedroht worden ist. Diese Drohung war rechtswidrig, sie war grobes Unrecht, eine Verletzung der Kernprinzipien des Rechtsstaats. Gäfgen hatte deswegen zehntausend Euro Schmerzensgeld verlangt - weil er maßlos ist in seiner Selbstgerechtigkeit und unerträglich in dem Versuch, sich, den Mörder, selbst zum Opfer zu machen.

Das Gericht hat ihm in der Kostenverteilung des Urteils zwar nur zu einem Fünftel recht gegeben. Aber auch dieses Fünftel ist zu viel. Das Urteil gibt dem Täter eine Form der Genugtuung, die er nicht verdient, und es verstört das Rechtsgefühl der Menschen ohne zwingende Notwendigkeit.

Das Gesetz in seiner altertümlichen Sprache spricht von einer "billigen Entschädigung", die einem Verletzten zusteht. Dieser Begriff der Billigkeit ist in älteren Rechtsordnungen entstanden, um unzuträgliche Ergebnisse einer schematisierten Rechtsanwendung zu vermeiden. Es ist nicht billig, sondern unbillig, Gäfgen eine Entschädigung zuzusprechen.

Die Missbilligung der Folterdrohung gegen ihn ist nämlich rechtlich und auch für Gäfgen ausreichend schon anderweit zum Ausdruck gekommen: Erstens sind im Daschner-Prozess zwei der Ermittler schuldig gesprochen und bestraft worden. Zweitens hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte deren Folterdrohung gebrandmarkt.

Segnungen des Rechtsstaats - auch für Widerlinge

Wer in den juristischen Kommentaren nachliest, warum Schadenersatz für Schmerzen gewährt wird, der findet sein Unbehagen über eine solche Zahlung für Gäfgen bestätigt: Dort ist nämlich von einer "Ausgleichsfunktion" die Rede; das Geld soll die Lebenserschwernis kompensieren, dem Verletzten Befriedigung verschaffen. Die Strafurteile gegen die Ermittler geben dies Gäfgen in ausreichendem Maß; ein Ausgleich in Geld war nicht geboten. Die Richter haben diesen Ausgleich gleichwohl - in Einklang mit dem Buchstaben des Gesetzes - gewährt.

Das ist eine respektable Entscheidung, weil sie sich vermeintlich um des Rechtsstaats willen gegen das allgemeine Rechtsgefühl stellt und deswegen Zorn und Empörung auf sich zieht. Das Gericht wollte mit seinem verstörenden Urteil etwas Richtiges zeigen: Dass ein Mörder Rechte hat, und dass ihm diese Rechte nicht unter Hinweis auf sein Verbrechen genommen werden können. Der Rechtsstaat bewährt sich gerade dann, wenn einer auf das Recht pocht, der sich daran vergangen hat. Auch ein Widerling hat Anspruch auf die Segnungen des Rechtsstaats.

Gewiss: Die Klage Gäfgens kokettiert mit dem Leid, das er angerichtet hat; das macht sie noch nicht unzulässig. Seine Klage ist schamlos, weil sie den Schmerz der Angehörigen verhöhnt; aber das allein macht sie noch nicht unbegründet. Ein Gericht darf sich nicht von der Abscheu mitreißen lassen. Darin liegt die Stärke des rechtsstaatlichen Rechts.

Der Mörder Gäfgen hat die Strafe für sein Verbrechen erhalten, er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Ein Unrecht, das an ihm begangen wird, kann nicht unter Hinweis auf das von ihm begangene Verbrechen entschuldigt werden.

Darauf hat das Gericht in der Begründung seines Entschädigungs-Urteils hinweisen wollen: "Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich auch in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben." An dieser Begründung ist jedes Wort richtig. Aber sie erzwingt keine Entschädigung.

© SZ vom 05.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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