Nach der Gasexplosion:Bilder wie aus dem Krieg

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Das mittelfränkische Lehrberg trauert um fünf Tote. Doch trotz des tiefen Schocks ahnen viele, dass die Katastrophe noch viel schlimmer hätte ausgehen können.

Olaf Przybilla

Am Gemäuer von St. Margarethen hängt ein Hinweis, dessen wichtigste Passagen mit gelbem Leuchtstift hervorgehoben sind. Es wird darüber informiert, dass der "Sakraments-Gottesdienst am 24. September" nicht wie üblich in der evangelischen Kirche in der Lehrberger Ortsmitte stattfinden soll, sondern im Gemeindezentrum, etwa hundert Meter an der Bundesstraße 13 entlang in Richtung Rothenburg ob der Tauber.

Dort, in einem Raum mit heller Holzverkleidung und Topfpflanzen auf den Fensterbänken, beginnt am Sonntag um 9.30 Uhr der Gottesdienst, den Bürgermeister Reiner Stamm als "ein großes Bedürfnis von uns allen" bezeichnet. Stamm hat zwei Nächte lang kein Auge zugetan, "wir Lehrberger", sagt er, "müssen endlich wieder unsere innere Ruhe zurückgewinnen" .

Der Gottesdienst ist nicht der katastrophalen Gasexplosion wegen in das nüchterne Gemeindehaus verlegt worden. Den Umzug habe man schon seit einigen Wochen so geplant, erklärt Pfarrer Rudolf Keller. St. Margarethen wird derzeit renoviert. Als am Freitag, wenige Minuten nach acht Uhr, der Gastank eines benachbarten Gasthauses explodierte, war im Gotteshaus das Dach bereits abgedeckt.

Wäre es geschlossen gewesen, vermutet Keller, "hätte es unsere Kirche noch viel schlimmer getroffen". So aber konnte der Druck entweichen, anders als in den zwölf benachbarten Wohnhäusern. Dort blieben zum Teil zwar die Ziegel auf den Dächern liegen - aber die Dachbalken darunter wurden zertrümmert.

"Furchtbare Tragödie"

Die Bilder, mit denen sich die Menschen im fränkischen Lehrberg seit Freitag konfrontiert sehen, "sind Bilder wie aus dem Krieg", sagt Pfarrer Keller. Tage des Kämpfens habe der Ort hinter sich, eine verzweifelte Suche nach Verschütteten. Am Sonntag aber ist die Hoffnung der traurigen Gewissheit gewichen, dass die Hilfskräfte keine Überlebenden mehr aus den Trümmern einer Bäckerstube bergen konnten.

Der Ort mit den 2000 Einwohnern trauert um fünf Tote, zwei weitere Opfer schweben weiter in Lebensgefahr. Seit dem Dreißigjährigen Krieg, sagt der Bürgermeister, habe die Ortschaft zwischen Ansbach und Rothenburg "keine so furchtbare Tragödie erlebt".

Was viele in Lehrberg aber ebenfalls ahnen: Wie viel Glück die Gemeinde gehabt hat, dass es nicht zu einer schwereren Katastrophe gekommen ist. Bis zu 13 000 Fahrzeuge fahren täglich auf der Bundesstraße an der Bäckerei vorbei, eine halbe Stunde vor 8 Uhr sind auch viele Schulbusse darunter. Um 7.30 Uhr ist auch der Lehrberger Gert Hübner am Bäckerladen vorbeigeradelt.

Nach Gas, sagt er, habe es da noch nicht gerochen. Die Bäckerei und das Gasthaus zum "Weißen Ross" teilen sich einen gemeinsamen Hof, beide bezogen Gas aus jeweils einem in den Boden eingelassen Tank. Wer am Freitag die Einsatzkräfte alarmierte wegen eines Lecks, darüber gibt die Polizei auch am Sonntag noch keine Auskunft.

"Leck am Gastank, Weißes Ross"

Wer aber einen Blick ins örtliche Feuerwehrhaus wirft, sieht dort auf einer Tafel die letzte Kreide-Anschrift vor dem verheerenden Knall: "Leck am Gastank, Weißes Ross", steht dort angeschrieben.

Der Tank soll, wissen Anwohner, noch vor drei Wochen befüllt worden sein. Und schon damals sei auf einen kleineren Defekt hingewiesen worden. Am Freitag strömte Gas aus, um 7.45 Uhr kamen Sanitäter und Feuerwehrleute an den Tank. Die Straße wurde sicherheitshalber abgeriegelt, warum aber der Juniorchef der Bäckerei und vier Angestellte in der Backstube geblieben sind, ist nicht nur Gert Hübner "ein Rätsel".

Es muss wohl um Sekunden gegangen sein. Die zwei Frauen in der Backstube, die unter den Trümmern geborgen wurden, waren "im Begriff zu flüchten", sagt Kreisbrandmeister Walter Schwab.

Überlebt hat das Unglück der Fahrer des Tankwagens, der sich um das Leck kümmern sollte. Der Monteur steht unter Schock, von seiner Vernehmung erhofft sich die Polizei genauere Angaben über den Unglückshergang. Der Tankwagen mit den 4000 Litern Flüssiggas stürzte durch die Wucht der Detonation auf die Seite. "Wenn dieser Tank ebenfalls explodiert wäre", sagt Bürgermeister Stamm - und bricht den Satz ab.

Stoiber stellt Hilfe in Aussicht

Immer wieder mussten die Einsatzkräfte am Samstag wegen der Explosionsgefahr das Trümmerfeld von Lehrberg fluchtartig verlassen, noch 30 Stunden nach dem Unglück strömte aus dem beschädigten Laster Gas aus. Erst gegen Mittag gab die Feuerwehr Entwarnung, am Abend war die Bundesstraße 13 wieder befahrbar.

Am Sonntag trennte nur ein Zaun die Straße von den restlichen Trümmern. Nach dem Gottesdienst legten Passanten dort Blumen nieder. "Ohne euch", steht auf einem der Klagezettel, "wird Lehrberg nie wieder so sein, wie es einmal war".

Ministerpräsident Edmund Stoiber stellte der Gemeinde am Wochenende staatliche Hilfe in Aussicht. "Wir werden in der nächsten Woche im Kabinett beraten und überlegen, wie wir den Familien und dem Ort helfen können", kündigte er bei einem Besuch in Lehrberg an.

© SZ vom 25.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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