Rechtsstreit um Beerdigungskosten:Letzte Rechnung von einem Vater, der nie da war

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Martina Stahl und ihrem Bruder Dieter geht es ums Prinzip. "Es ist einfach ungerecht, wenn man auf einmal für jemanden zahlen soll, von dem man nie etwas bekommen hat", sagt die 47-Jährige. (Foto: Claus Schunk)

Martina Stahl und ihr Bruder Dieter wurden von ihren Eltern verstoßen und sind im Heim aufgewachsen. Nun sollen sie 3500 Euro für die Beerdigung des Vaters zahlen.

Von Sophie Burfeind

Wenn Martina Stahl über ihre Eltern spricht, zeigt sie keine Fotos, sie legt einen dicken Stapel Papier auf den Tisch. Die Akte vom Jugendamt. Darin steht, dass die Mutter ihr verwahrlostes Baby in Krankenhäusern und Heimen abgab, wenn es sie nervte. Dass sie es schlug, wenn es nicht aufhörte zu schreien. Über den Vater findet sich fast nichts auf all den Seiten, er verließ die Mutter, als sie noch schwanger war. 47 Jahre lang existierte er nicht im Leben von Martina Stahl. Bis er starb.

Dann kam die Rechnung. Ihr Vater Adolf Stahl sei im Mai 2015 gestorben, stand in dem Schreiben, für Bestattung und Überführung verlangten die Gemeinde Lenggries und die Stadt München knapp 3500 Euro. Zahlen sollten die Kinder: Martina und Dieter Stahl.

In Deutschland muss jeder, der stirbt, bestattet werden. In Paragraf 1968 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist festgelegt, dass der Erbe für die Kosten aufkommen muss. Gibt es keinen Erben, müssen die Angehörigen zahlen. Erst der Ehepartner, dann die Kinder. Wie das persönliche Verhältnis zum Verstorbenen war, spielt dabei keine Rolle. Das stand auch in der Rechnung.

Ende Januar, im Osten von München. Die Geschwister sitzen in der Küche von Martina Stahl, ihr Bruder kramt den Brief aus einer Mappe. Freiwillig wollten sie das nicht zahlen, sagt der 49-Jährige. Ihnen gehe es nicht ums Geld, sagt seine Schwester, die zwei Jahre jünger ist. "Es ist einfach ungerecht, wenn man auf einmal für jemanden zahlen soll, von dem man nie etwas bekommen hat." Keine Liebe, kein Verständnis, keine Hilfe. Die beiden schlugen das Erbe aus und reichten die Klage ein.

Für Martina Stahl das schlimmste Jahr ihres Lebens

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Vor ein paar Tagen war die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in München. Dieter Stahl erklärte den Richtern, warum seine Schwester und er nicht für einen Vater zahlen wollen, der nie ein Vater war.

Er ist nicht mal ein Jahr alt, als seine Mutter ihn bei der Oma in Schwabing abgibt. Der Vater mag das Kind nicht, sagt er dem Jugendamt später, "das ist nicht mein Sohn". Zwei Jahre später, 1969, kommt Martina auf die Welt. Innerhalb von zwei Jahren lässt die Mutter sie sieben Mal im Krankenhaus und in zwei Heimen zurück, wenn ihr das Kind lästig ist. Als das Mädchen drei ist, kommt es ebenfalls zur Großmutter.

In jenem Jahr 1972 wird die Ehe der Eltern geschieden und beiden das Sorgerecht entzogen. Die Katholische Jugendfürsorge wird zum Vormund erklärt, die Kinder sollen bei der Großmutter aufwachsen. Die alte Frau putzt nebenbei, damit sie die Kinder mit ihrer kleinen Rente durchbringt. "Für uns war das völlig okay, dass wir keine Eltern hatten, wir hatten ja die Oma", sagt Dieter Stahl. Am zehnten Geburtstag des Mädchens stirbt sie. Die Mutter nimmt die beiden Kinder wieder zu sich.

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Sie ist zu diesem Zeitpunkt wieder verheiratet, der zweite Mann von fünf, eine Familie mit fünf Kindern, vier Hunden, zwei Katzen und zwei Hamstern in einer Dreizimmerwohnung. Für Martina Stahl das schlimmste Jahr ihres Lebens. Der neue Mann trinkt, verprügelt ihre Mutter, einmal bricht er ihr den Arm. Auch Martina schlägt er, weil sie wieder ins Bett macht, seit ihre Oma gestorben ist. "Ich weiß es noch genau", sagt sie. "Jeden Morgen kam er schon mit der Bierflasche in der Hand in unser Zimmer und hat unter meine Liege geschaut." War es nass, gab es wieder Schläge.

Eines Nachts haut er mit seinen Kindern und dem Bargeld ab, die Mutter ist allein mit ihrem Nachwuchs. Einige Monate später meldet sie sich bei der Jugendfürsorge, die Kinder kommen ins Clemens-Maria-Kinderheim in Putzbrunn bei München. Dort bleiben sie, bis sie 18 Jahre alt sind.

Ihre Mutter sehen die Kinder alle zwei bis drei Jahre, manchmal fahren sie mit dem Zug nach Aichach bei Augsburg, um sie im Gefängnis zu besuchen. Dort ist sie hin und wieder. Mal, weil sie auf den Namen der Tochter für 20 000 Euro bei einem Versandhaus bestellt, oder weil sie auf den Namen ihres Sohnes Verträge abschließt. Der Vater meldet sich nie.

Die Richter in München erklären Dieter Stahl, dass er mit seiner Klage keinen Erfolg haben wird. Es gebe zwar Ausnahmen, in denen Familienangehörige von der Kostentragungspflicht befreit werden - aber dafür sei der Fall nicht dramatisch genug. Der Verstorbene hätte schwere Straftaten begehen müssen, wie seine Kinder zu bestehlen oder zu misshandeln. Und ob man das Erbe annimmt oder nicht - das mache keinen Unterschied. Daraufhin zieht Dieter Stahl die Klage zurück.

Zwei-, dreimal habe sie ihren Vater zufällig getroffen - immer an Allerheiligen

"Die Tendenz in der deutschen Rechtsprechung ist da recht klar", bestätigt Anton Steiner, Fachanwalt für Erbrecht in München. Ausnahmen von der Regel gebe es etwa, wenn den Klägern die Übernahme der Kosten nicht zuzumuten sei. Dabei gehe es aber vor allem um die finanzielle Situation. "Wenn es sich jemand leisten kann, wird in der Regel entschieden, dass nicht die Allgemeinheit zahlen soll."

Auch wenn jedes Bundesland eigene Bestattungsgesetze hat, sei das überall gleich. Ausnahmen gibt es nur in krassen Fällen, sagt der Anwalt. Das Münchner Verwaltungsgericht verwies als Beispiel für eine Ausnahme auf ein Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs: Da hatte der verstorbene Vater die Mutter des damals minderjährigen Klägers getötet.

Es ist schon dunkel, als Martina Stahl ihre Wohnung verlässt und sich ins Auto setzt. Sie fährt zum Kinderheim nach Putzbrunn. Sie möchte zeigen, wo sie aufgewachsen ist. Auf dem Weg dorthin sagt sie in die Stille: "Zwei-, dreimal hab ich ihn zufällig getroffen, meinen Vater. Immer an Allerheiligen, auf dem Friedhof. Er hat ,Servus' gesagt." Das war alles.

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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