Bislang durfte Olivia Andrew beim Missionieren keine Hosen tragen. Auch nicht im Winter. Bislang lief "Sister Andrew", wie sie während ihrer Zeit als Missionarin genannt wird, in Rock und Strumpfhose durch den Schnee. Und fror. Die 21-Jährige gehört einer Glaubensgemeinschaft an, die sich gerade spürbar wandelt - der vor allem als "Mormonen" bekannten Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. So wollen sie nun genannt werden. Nun, da Andrew und ihren Glaubensschwestern beim Missionieren auch das Tragen von Hosen gestattet wird.
"Ich wurde von der Nachricht überrascht", sagt Andrew. Die US-Bürgerin ist gerade in Deutschland stationiert, 18 Monate lang leistet sie ihren Dienst hier ab, gerade im Raum Frankfurt. Donnerstagnacht stellten die Kirchenoberen im Hauptsitz in Salt Lake City ein Video auf ihre Website, in dem die frohe Kunde veröffentlicht wurde. Wichtiger als ihre Kleidung sei ihr die Botschaft, die sie vermittelt, sagt Andrew. "Aber natürlich freue ich mich auch über die Änderung." Für sich, weil sie sich nun wärmer kleiden kann. Und für Glaubensschwestern, die sich beim Missionieren in Röcken auch schon mal unwohl fühlen.
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Und Melinda bereitet sich darauf vor. Unterwegs mit zwei jungen Gläubigen, die ihre Kirche in Deutschland "nach vorne bringen" wollen.
Ein allzu großer Schritt sei der Erlass nicht, sagt Ralf Grünke, Sprecher der Glaubensgemeinschaft in Deutschland. In etwa der Hälfte der 407 Missionen weltweit hätten Missionarinnen schon Hosen tragen dürfen, aber nur zur Regenzeit, um sich vor Moskitos zu schützen. Die regionale und zeitliche Begrenzung sei nun eben weggefallen, sagt Grünke. Damit die Missionarinnen überall auf der Welt vor Mückenstichen sicher sind. Und doch sei die Änderung erstaunlich. Sie sei der nächste Schritt, es werde weitere Veränderungen geben, schätzt Grünke. Schließlich hat das Oberhaupt der Glaubensgemeinschaft, Russell M. Nelson, zuletzt dazu aufgerufen, Vitamine zu essen und sich genügend Schlaf zu gönnen.
Nelson hat Medizin studiert, ihm gelang 1960 die weltweit erste Herzklappen-OP. Doch etwa 16,1 Millionen Gläubige hören nicht allein deshalb auf seine gesundheitlichen Ratschläge. Nelson, seit knapp einem Jahr geistliches Oberhaupt, interpretiert sein Amt als Erneuerer. Der 94-Jährige twitterte kürzlich: "Wir sind Zeugen eines Erneuerungsprozesses." Dieser habe gerade erst begonnen. Die Gläubigen sollten gespannt ins neue Jahr blicken und in das Jahr darauf: "Da wird noch viel mehr kommen." Die Mitglieder seiner Kirche leben nach einem strengen Verhaltenskodex, sie verstehen sich als seriöse und konservative "Botschafter des Herrn". Klar vorgegebene Regeln sollen es vor allem den Missionaren ermöglichen, sich "ohne Ablenkung voll auf Gott zu konzentrieren", sagt Grünke.
Das sollen sie natürlich auch in Zukunft. Vom neuen Jahr an aber werden junge Menschen mehr Verantwortung in der Gemeinschaft übernehmen. In den Tempeln sollen sie selbst "Sakramente ausüben", junge Frauen sollen stärker involviert werden, wenn sich die Kirche um Kranke und Alte kümmert. Außerdem ändern die Gläubigen ihre Rituale. Bislang kommen sie sonntags in Kirchen zusammen, drei Stunden dauert das. "Künftig werden wir die Gottesdienste auf zwei Stunden reduzieren", sagt Grünke. Der Glaube solle sich stärker im Alltag entfalten.
Da, wo die in Deutschland etwa 40 000 Anhänger der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage sonst eher nicht auffallen. "Wir stellen unseren Glauben nicht offensiv zur Schau", sagt Grünke. Außer eben bislang etwas unfreiwillig. Im Rock, trotz Minusgraden und Schnee.