Montreal:Amoklauf an kanadischer Schule

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Eine Studentin stirbt und 19 Menschen werden verletzt, der 25jährige Todesschütze ist tot. Sein Motiv ist noch unklar.

Bernadette Calonego

Der kanadische Student Sehr Marous verließ gerade mit seiner Freundin Marie seine Oberschule, das Dawson College, in Montreal. Da erblickte er draußen einen Mann, der ein Gewehr mit beiden Händen hielt.

Menschen fliehen aus der Gefahrenzone. (Foto: Foto: Reuters)

Marous dachte zuerst, wie er dem kanadischen Fernsehen CBC erzählte, an einen schlechten Scherz, als Chaos ausbrach und Studenten schreiend davon rannten. Doch dann erkannte er den Ernst der Situation: "Er eröffnete das Feuer - bumm, bumm, bumm, er rannte uns nach, er war nur Meter hinter uns."

Sehr Marous und Marie entkamen dem Amokschützen, der in einem Blutbad in Montreals Innenstadt eine 21jährige Frau tötete und neunzehn Studenten verwundete, acht davon schwer. Nach Angaben der Polizei in Montreal begann das Schulmassaker um 12 Uhr 41, als ein junger Mann in einem schwarzen Regenmantel und schwarzen Stiefeln vor dem Schulgebäude des Dawson College wahllos auf Menschen zu schießen begann.

Er war in einem Wagen hergefahren und hatte die Waffe aus dem Auto geholt. Eine weinende Studentin erzählte im Fernsehen, dass sie Schutz hinter Büschen gesucht habe. Doch vom Kugelhagel ausgelöste Splitter seien überall neben ihr vorbeigesaust. "Er hatte ein riesiges Maschinengewehr", sagte sie. "Wir sahen, wie Leute hinter uns erschossen wurden."

"Ich sah überall Blut"

Der Mann, der zwischenzeitlich von der Polizei als 25jähriger, in Quebec geborener und im Ballungsraum Montreal wohnhafter weißer Mann beschrieben wird, dessen Namen sie aber noch nicht herausgibt, betrat darauf das Atrium des Schulgebäudes. Er habe zunächst in einer Nische Deckung gesucht, berichteten Augenzeugen. Dann habe er angefangen, mit einem Gewehr auf Studenten in der Cafeteria zu schießen. "Ich sah überall Blut", erzählte ein Student später.

Die Polizei traf vier Minuten nach den ersten Schüssen vor der Schule ein. Einige Beamte liefen ins Gebäude und forderten den Schützen auf, seine Waffe niederzulegen. Er habe das mit rüden Worten zurückgewiesen, berichteten Augenzeugen. Dann fielen die für den Amokläufer tödlichen Schüsse.

Am Mittwoch Nachmittag hatte die Polizei zuerst erklärt, der Täter sei von Polizeibeamten erschossen worden. Später verwies sie auf die Autopsie, um die endgültige Todesursache festzustellen. Frühere Berichte, wonach es sich um mehrere Täter handelte, wurde von der Polizei später zurückgenommen.

Der Student Alex Zannis befand sich in der Cafeteria, als er einen ganz in Schwarz gekleideten Mann das Gebäude betreten sah. Der habe einen Schusswechsel mit der Polizei begonnen, während Zannis und andere Studenten, auf dem Boden kriechend, zu entkommen versuchten.

Die Lehrerin verschloss die Klassentür

"Er zielte zuerst in Richtung der Beamten, dann auf mich und einige meiner Freunde", sagte Zannis, der sich schließlich hinter eine Wand retten konnte. Eine Lehrerin verschloss die Klassentür und hieß die Schüler sich still zu verhalten.

Andere Studenten verbarrikadierten die Tür mit Tischen. Manche der Eingeschlossenen versuchten mit Handys die Eltern zu erreichen, aber nur wenige kamen wegen des überlasteten Netzes durch.

Wie Kayla Diorio der Montreal Gazette berichtete, befand sie sich im Atrium mit rund 70 anderen Studenten, als die Kugeln überall einschlugen. "Alle schrien und weinten", sagte sie. "Alle zitterten."

Sie versteckte sich mit einem Dutzend anderer Menschen in der engen Vorratskammer der Küche der Cafeteria und kam mit dem Leben davon.

Die Schießerei löste eine Massenpanik aus. Schreiend und weinend liefen Studenten aus den Gebäuden der Schule, die von rund 10.000 Studenten im Alter von 16 bis 20 Jahren als Vorbereitung auf die Universität besucht wird.

Motiv noch unklar

Leutnant Francois Dore von der Sicherheitspolizei in Quebec erklärte, es sei noch zu früh, Schlüsse auf ein mögliches Motiv des mutmaßlichen Täters zu ziehen.

Das Massaker hat ganz Kanada in Schock versetzt. Jäh wurde die Erinnerung an ein nationales Trauma wach, die Erschiessung von 14 Frauen an der Polytechnischen Hochschule in Montreal im Jahr 1989: Der Täter Marc Lepine, der sich schließlich selber erschoss, hatte die Bluttat mit seinem Hass auf Feministinnen begründet.

Die Sicherheitsmaßnehmen an kanadischen Schulen sind nicht so strikt wie in den USA. Zwar patrouillieren unbewaffnete Sicherheitbeamte auf dem Campus, aber es gibt beispielsweise keine Metalldetektoren.

Der kanadische Premierminister Stephen Harper nannte das Massaker "eine feige und sinnlose Gewalttat". Die größte Sorge der Regierung in dieser Stunde gelte den Verletzten. Der Oppositionspolitiker Jack Layton sagte, es müsste verhindert werden, dass soviele illegale Waffen aus den USA nach Kanada gelangten.

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