Mode:Goldener Winter

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Disco-Looks, Vogelprints, Camouflage: Auf der Berliner Fashion Week lässt sich keine klare Tendenz erkennen. Die Trends für die kommende Saison sind ebenso bunt und aufregend wie die Partys in der Hauptstadt.

Von Anne Goebel

Es ist bitterkalter Winter in Berlin, aber wen kümmert das, wenn sich das Herz der Hauptstadt an sich selbst erwärmt: Ist das Leben nicht wieder mal sehr dufte zwischen Alex und Brandenburger Tor? Stars reisen an zur Modewoche, jedes schöne Mädchen auf der Straße könnte ein Model sein, die türkische Taxifahrerin mit Kopftuch gibt Shoppingtipps - so fühlt sich der zweimal jährliche Fashion-Week-Swing an. Und zwei Ereignisse, nicht branchenerschütternd, aber doch ein Bruch in der Berliner Routine, gibt es am ersten Tag: Einen provokanten Auftakt. Und eine Modenschau ohne Mode, was möglicherweise einen Blick in die Zukunft darstellt.

"10.00 a.m., Runway", im Schauen-Plan ist der Startschuss für Dienstagmorgen vermerkt, auf dem Laufsteg im Zelt am Brandenburger Tor. Die Veranstalter der Mercedes-Benz Fashion Week haben dort stets auf eingängige Eröffnungen Wert gelegt, etwa mit den Retro-Kollektionen der Österreicherin Lena Hoschek. Diesmal setzt der serbischstämmige Berliner Saša Kovačević extravagante Akzente. Streetwear mit Camouflage-Prints, arabisch inspirierte Muster auf Hemden: Sein Männerlabel Sadak steht für Grenzgänge zwischen urbanen Looks und traditioneller Kleidung fremder Kulturen. Kovačevićs Mode verlangt Offenheit für Ungewohntes - ein wichtiger Impuls in Zeiten zunehmender Abschottung. Und passend für Berlin als selbsternannte Stadt der Avantgarde, auch wenn mancher Besucher die Kollektion arg düster finden mag. Dafür hatte ja das amerikanische Model Gigi Hadid mit ihrer Vorabendvisite für harmloses Vergnügen gesorgt. Richtig Glanz in die Bude bringt nach dem Urteil der Klatschblätter aber erst die ehemalige Ronaldo-Gespielin Irina Shayk bei der Show von Marc Cain. "Anders als Gigi!", so das Fazit über die Russin und ihren, klar, "Traumkörper".

Und die Trends für kommenden Winter? Bei den wichtigen Berliner Schauen, die an diesem Freitag zu Ende gehen, lässt sich nur schwer eine klare Tendenz erkennen. Aber eines fällt auf: Dem Revival der sanften Hippie-Siebziger geht langsam die Puste aus. Der Publikumsliebling, das italienische Label Dimitri, setzt mit viel Gold auf Disco-Look und Futurismus. Kilian Kerner zeigt papageienbunte Vogelprints, Dorothee Schumacher mixt in einer starken Kollektion Schwarz mit Camouflage, Blüten und Sportswear-Elementen wie Streifenbündchen. Safran und Grüntöne scheinen neue Lieblingsfarben der Designer zu werden. Und die schönsten Oversize-Mäntel gibt es bei René Storck, Laurèl und Malaikaraiss, hier mit üppigem Fake-Fur-Kragen in der appetitlichen Pfirsichfarbnuance "Milkshake". Größter anzunehmender Kontrast dazu: Die entschlossen dreinblickenden Männermodels beim Debüt von Baldessarini.

Kein Laufsteg weit und breit - und das funktioniert erstaunlich gut

Dass Mode über Emotionen funktioniert und nicht in allererster Linie über ausgefeilte Schnitte oder originelle Details, ist das Grundgesetz jeder Fashion Week. Nur deshalb lohnt sich die beträchtliche Investition eines Spektakels mit Musik, Lichteffekten, Prominenz in der ersten Reihe - und am Ende sind die Kleider sogar verzichtbar. Leyla Piedayesh macht jedenfalls mit ihrer Lala-Berlin-Präsentation in der Galerie Me Collector's Room vor, wie die Zukunft aussehen könnte: Ein an drei hohe Wände geworfener Film in Instagram-Optik, dazu Livemusik von Blues-Talent Jesper Munk. Und kein Laufsteg weit und breit. Das funktioniert erstaunlich gut, obwohl man in dem Film über drei Generationen von schönen Frauen nicht viel über die neue Kollektion des Labels sieht. Aber das Lala-Gefühl stimmt, und die Schauspieler-Fans von Dominik Raacke bis Heike Makatsch sind beeindruckt.

Stoffe anfassen - auch die von Lala - kann man dann im Berliner Salon im Kronprinzenpalais, der als temporärer Schauraum deutscher Vorzeige-Marken jede Saison besser besucht ist. Diesmal geht am späten Nachmittag sogar der Prosecco an der Bar aus, als Barbara Becker auf Nieten-Heels über die Freitreppe nach oben eilt. Deutschland, findet die Wahlamerikanerin, müsse in der Mode lernen, sich selbst mehr zu lieben. Wenn man ihren voluminösen Mantel der fränkischen, aber französisch eleganten Firma Odeeh so anschaut, ist das ein guter Rat. Besondere Beachtung verdient, da sind sich alle in der Branche einig, der Name Nobi Talai. Die Gründerin des puristischen Newcomer-Labels stammt aus Iran, ihre bodenlangen Westen sind aus Kunstfell der Marke Steiff. Deutscher Teddybär meets Teheran, auch das ist Berliner Mode.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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