Millionenforderung an Wäscherei:Der Richter und seine Hose

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Ein US-Richter will 65 Millionen Dollar von einer Reinigung, die seine Hose verschlampt haben soll. Viele fragen sich, ob das ein sauberes Rechtsverständnis ist und bekommen Angst vor Gerichten, in denen solche Leute das Sagen haben.

Christian Wernicke

Es riecht nach Arbeit. Nach Waschpulver und nach dem Dampf des Bügeleisens, das Frau Chung neben der Ladentheke auf das leicht verbogene Brett gestellt hat. So weit das Auge reicht, ist nur Arbeit zu erblicken: Anzüge und Mäntel, chemisch gereinigt, daneben dicke Plastiksäcke voller Oberhemden, frisch gewaschen und gepresst.

Links die Nähecke mit der alten Singer-Maschine, rechts die Anprobe mit dem vergilbten Blümchenvorhang. Und an der Wand hängt die Zeichnung mit dem schwarzen Schwein und den koreanischen Schriftzeichen, die Ki Chung nicht mal übersetzen kann: "No good English." Sie lächelt verlegen.

Seit sechs Jahren ackern die Chungs in diesem Laden. Es ist ihr Reich, ihr Stolz nach 15 Jahren als Einwanderer in den USA. Bei "Custom Cleaner" auf der Bladensburg Road kriegen sie alles hin. Fast alles. Preiswerte "Änderungen und Reparaturen" verheißt der Schriftzug im Fenster, auch "Hochzeitskleider, Velours und Leder" würden hier wieder wie neu.

Die Chungs haben einfache Kunden, kleine Angestellte zumeist, wie den Schaffner der U-Bahn, der gerade seine akkurat geplättete Dienstuniform abholt. Große Sprünge macht niemand hier im überwiegend schwarzen Nordosten Washingtons. 1,75 Dollar die Hemdwäsche, Bügeln inklusive, 10,50 Dollar dafür, dass Ki Chung den Bund einer Anzughose weitet. "Nein, reich wirst Du hier nicht," sagt sie und nickt tapfer, "aber gute Arbeit - gut, gut." Wieder lächelt sie.

Ein Tag im Mai

Nur, eigentlich haben Ki Chung und Jin Nam, ihr Ehemann, nichts zu lachen dieser Tage. Es sieht schlecht aus für sie, ihr Geschäft könnte sie arm machen. Bitterarm sogar.

Ruinieren könnte sie eine Hose. Das dunkelgraue Beinkleid hängt längst bei ihrem Anwalt im Kontor, samt Nadeln und dem violetten Papierstreifen mit der Kundennummer 182. Das, so jedenfalls behaupten die Chungs, sei die von Roy Pearson.

Von jenem Kunden also, der am 3.Mai 2005 in ihren Laden trat und seine zu enge Anzughose vorbeibrachte. Ki Chung versprach damals, die Änderung gleich zu erledigen. So wie es damals noch die Werbeschrift im Schaufenster verhieß: "Service noch am selben Tag" und "Zufriedenheit garantiert".

Nur leider, zwei Tage später war die Hose weg. Da nahm das Unheil seinen Lauf. Denn Roy Pearson kannte sein Recht. Er ist schließlich Jurist, Verwaltungsrichter sogar, zuständig für kleine Zwiste zwischen Bürgern und Behörden von Amerikas Hauptstadt.

Pearson beschloss, eine große Sache zu machen aus dem Verlust der Hose. Er reklamiert "seelisches Leiden, Unannehmlichkeit und Unbehagen." Bis heute bestreitet er, dass das Textil mit der Nummer 182 sein Eigentum sei. Die Chungs hätten seine Hose verschlampt, und dafür sollen sie nun zahlen - und zwar 65.462.500 Dollar. Das sei der Preis, der ihm zustehe.

Pearson beruft sich dabei auf Amerikas Verbraucherschutzgesetz, im Hinterkopf hat er reichlich Präzedenzfälle. Etwa die Musterprozesse, in denen Patienten ihre pfuschenden Ärzte, Medikamentensüchtige ihre Pharmahersteller, krebskranke Raucher ihre Tabakkonzerne zu Entschädigungen in Millionenhöhe zwangen.

Die Hose ist höchstens 800 Dollar wert

Der ursprüngliche Wert seiner Hose, von Experten großzügig auf "maximal 800 Dollar" taxiert, spielt in Pearsons Klageschrift keine Rolle mehr. Er hätte sich auch längst einen neuen Anzug kaufen können von all dem Geld, das die Chungs ihm boten, damit er nur endlich Ruhe gebe: Erst 1150 Dollar, dann 3000, schließlich sogar 12.000 Dollar offerierten sie ihm. Pearson lehnte ab.

Der Richter rechnet anders. Für jeden Tag voller Leid und Unbill ohne Hose stellt er den gesetzlichen Schadensersatz von 1500 Dollar in Rechnung, und da sich die Sache eben hinzog, verlangt er 1200 Tagessätze für zwölf angebliche Tatbestände. Erschwerend kommt hinzu, dass er sich gleich gegen drei Übeltäter erwehren muss - Vater, Mutter und Sohn Soo, ebenfalls Miteigentümer von Custom Cleaner. Also alles mal drei.

Dann addiert Pearson noch all die Arbeitsstunden schwerster Jurisprudenz dazu, die es brauchte, um seinen Fall selbst zu bearbeiten. Macht 542.000 Dollar. Plus 15.000 Dollar für einen Leihwagen. Denn den, so Pearson, müsse er nun jedes Wochenende anmieten, um seine schmutzige Wäsche zur Reinigung zu fahren - zehn Jahren lang. Den Chungs um die Ecke könne er nicht mehr trauen. Das verstehe sich.

Die Chungs verstehen es nicht. Manchmal, erzählt Mutter Ki, habe sie geweint vor Verzweiflung. Sie wollten aufgeben, abhauen, "zurück nach Korea". Schließlich haben sie sich Chris Manning anvertraut, ihrem Anwalt. Der machte den Fall publik - und hofft jetzt seinerseits auf einen Musterprozess. Dieser Rechtsstreit, glaubt er, "sei der klarste Beweis für den Missbrauch unserer Gerichte."

Das sehen viele Kunden der Wäscherei ähnlich. "Anständige Leute" seien die Chungs, sagt David Walker, ein langjähriger Kunde. Wie zum Beweis legt er einen Berg schmutziger Hosen und Hemden auf die Ladentheke. Die Klage gegen die Chungs sei Stoff für Tratsch, "nicht nur bei uns auf der Bladensburg Road. Das treibt die ganze Stadt um."

In Leserbriefen an die Washington Post schimpfen die Leute, was das für eine Justiz sei, die einen solchen Prozess zulasse. Und was ihnen wohl widerfahre, falls sie selbst einmal vor Gericht stünden - und Roy Pearson oben am Richterstuhl säße.

Spenden aus dem ganzen Land für die gebeutelten Chungs

Anwalt Manning hat inzwischen einen Solidaritätsfonds für die Chungs eingerichtet. Angesichts des Streitwerts von 65 Millionen lauern horrende Gebühren und Anwaltskosten. Die Spenden fließen, sagt sein Büro, "aus dem ganzen Land". Am 11. Juni ist Verhandlung. Wer weiß, "vielleicht wird alles gut", sagt Ki Chung.

Der öffentliche Druck stärkt ihr den Rücken - und könnte nun sogar Roy Pearson um sein Amt bringen. Der Zufall will es, dass gerade jetzt seine Wiederberufung als Richter ansteht. Neuerdings zögert der Ernennungsausschuss. Sicher ist nur: Falls Richter Pearson nach seiner Hose auch seine Robe verliert, will er wieder klagen. Dann gegen die Stadt.

© SZ vom 11. 5. 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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