MH 370:Die These vom Sturzflug

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Ein neues Puzzleteil? Ein Bild in Kuala Lumpur erinnert an Flug MH 370. (Foto: Olivia Harris/Reuters)

Australische Experten halten es für wahrscheinlich, dass die verschollene Boeing der Malaysia Airlines unkontrolliert ins Meer schlug. Waren die Piloten durch einen Defekt bewusstlos? Oder war es Selbstmord? Das bleibt ein Rätsel.

Von Arne Perras, Singapur

Für die Ermittler ist es frustrierend, für die Angehörigen der Passagiere extrem belastend: Auch nach 32 Monaten ist kein Wrack der Maschine von Flug MH 370 gefunden, und es gibt nicht den Hauch einer Ahnung, was sich abgespielt hat in jener Nacht, als die Boeing 777 der Malaysia Airlines mit 239 Menschen an Bord verschwand. Zumindest gibt es nun einen kleinen Fortschritt, der das mutmaßliche Schicksal der Maschine in den letzten Minuten erhellt. Australische Experten haben ein Trümmerteil von der rechten Tragfläche untersucht. Das Ergebnis erhärtet die Theorie, dass die Boeing unkontrolliert und steil in den Ozean gestürzt ist.

Für dieses Szenario spricht die von den Technikern ermittelte Position der Klappe zu jenem Zeitpunkt, als sie durch den mutmaßlichen Absturz vom Flügel abgetrennt wurde. Die Experten von der Australischen Behörde für Transportsicherheit (ATSB) fanden heraus, dass die Klappe nicht so eingestellt war, wie man es für eine Landung erwarten würde, sondern in "neutraler oder fast neutraler" Position. ATSB-Experte Peter Foley erklärte, dies bedeute, dass die Maschine nicht auf eine kontrollierte Landung ausgerichtet gewesen sei. "Jeder kann daraus seine eigenen Schlüsse ziehen, ob jemand das Flugzeug am Ende unter Kontrolle hatte oder nicht."

Orientiert man sich an der 28-seitigen Analyse, kommen zwei Szenarien für das Ende in Betracht: Entweder gab es keinen Menschen mehr, der das Flugzeug steuern konnte, und es stürzte ab, als der Treibstoff aus war. Oder aber es gab noch jemanden im Cockpit, der das Flugzeug hätte fliegen können, der aber nicht eingriff und die Maschine schließlich abstürzen ließ.

Die Suche dauert mindestens bis Februar, das Gebiet ist 120 000 Quadratkilometer groß

Die Erkenntnisse der Australier widersprechen allerdings einem anderen Szenario, wonach es einen Versuch gegeben haben soll, die Maschine auf dem Wasser kontrolliert aufsetzen zu lassen. Der kanadische Experte Larry Vance hatte diese Ansicht geäußert, nachdem ein anderes kleines Flügelteil 2015 gefunden worden war. Lance glaubt, man hätte längst viel mehr Teile entdecken müssen, wenn es die Maschine beim Aufprall auf dem Wasser in viele kleinere Stücke zerrissen hätte. Bei einem kontrollierten Sinkflug gilt die Wahrscheinlichkeit als höher, dass große Bruchstücke versinken und alles mit in die Tiefe nehmen. Erst im Juli hatte Vance die Hypothese vertreten, dass jemand das Flugzeug bis zum Ende geflogen haben muss. Doch das ist kaum in Einklang zu bringen mit der Analyse der Australier, die noch dazu erklärten, dass eine erneute Auswertung von Satellitendaten ebenfalls für ein schnelles Sinken spricht.

Bewiesen ist damit noch nichts. Was sich im Flugzeug abgespielt hat, bleibt eines der größten Rätsel der Luftfahrtgeschichte. Spekulationen blühen. US-Autorin Christine Negroni entwickelte jüngst die Theorie, dass es zum plötzlichen Abfall des Sauerstoffs gekommen sein könnte und einer der Piloten das Flugzeug noch eine Weile fliegen konnte, allerdings ohne volle Kontrolle. Der frühere US-Pilot und Crashexperte John Cox stufte diese Version in der Zeitung Australian als nicht besonders überzeugend ein. Für ihn ist es nur eine weitere Annahme unter vielen.

Besonders verbreitet ist die Mutmaßung, dass der Pilot Zaharie Ahmad Shah Selbstmord beging und alle anderen mit in den Tod riss. Anhänger dieser Hypothese glauben, dass er gezielt von der Flugroute abgewichen ist und die Maschine anstatt nach China in den Indischen Ozean steuerte, wo sie dann abstürzte, als der Treibstoff zu Ende ging. Für die Selbstmordthese gibt es bislang keinen belastbaren Beleg, doch findet diese denkbare Erklärung viel Aufmerksamkeit, seitdem bekannt ist, dass auf dem Flugsimulator in der Wohnung des Piloten eine Route in den Indischen Ozean eingegeben worden war, die dem späteren vermuteten Kurs von MH 370 sehr ähnelte.

Während die Angehörigen weiter unter quälender Ungewissheit leiden, hat die Airline offenbar zugestimmt, dass Anwälte Einsicht in interne Dokumente erhalten. Bislang konnte sie nur die malaysische Polizei einsehen, jetzt ist die Rede davon, dass Informationen aus den Gesundheitsakten der Crew auch für Angehörige einsehbar sein sollen, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

Die Suche nach dem Wrack, die von den Australiern geleitet wird, hat sich wegen schlechten Wetters verzögert, nun heißt es, dass das Gebiet von 120 000 Quadratkilometern Ozean bis Februar 2017 komplett abgesucht sein soll. Irgendwo in dieser Zone wird das Flugzeug vermutet. 22 gefundene Teile haben das Interesse der Experten auf sich gezogen, alle sind weiter westlich, vor oder an der Küste Afrikas, angespült worden, was auf die Strömung zurückgeführt wird. Doch nur drei Stücke stammen mit großer Wahrscheinlichkeit von der Boeing. Die jetzt untersuchte Flügelklappe ist eines davon.

© SZ vom 03.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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