Menschenrechtspreis:Das zweite Gesicht

Lesezeit: 3 min

In Bangladesch fallen jedes Jahr Hunderte Frauen Säureattentaten zum Opfer. Monira Rahman kämpft dagegen an - und wird nun dafür ausgezeichnet.

Karin Steinberger

Manchmal vergisst sie es einfach. Dann reicht Monira Rahman Fotos herum wie Urlaubserinnerungen, unbekümmert, weil sie ja weiß, dass es ihren Mädchen auf den Bildern gut geht. Weil sie sich gerne erinnert an diesen Tag, an dem sie alle zusammen in einem Vergnügungspark bei Dhaka waren und im Wasser herumtollten. Weil sie Freude sieht, wo andere nur Grauen sehen.

Frauenrechtlerin Monira Rahman (Foto: Foto: ap)

Manchmal vergisst Monira Rahman einfach, dass andere noch nie solche Gesichter gesehen haben. Von Säure zerfressen, überzogen mit fleischfarbenen Mustern, durchkreuzt von dunklen Hautstreifen. Zerlaufene Gesichter, der Mund eine unförmige Öffnung, die Nase ein Loch. Überreste männlicher Allmachtsphantasien, Opfer einer Modeerscheinung, die in Bangladesch jedes Jahr Hunderte Frauen trifft: Säureattentate.

Doch für Monira Rahman ist jedes dieser Gesichter auch eine Erfolgsgeschichte. Denn sie weiß, wie die Mädchen ganz am Anfang ausgesehen haben, als sie bei ihr in der Acid Survivors Foundation (ASF) in Dhaka eingeliefert wurden. Sie weiß, was ein Zahnputzglas Säure im Gesicht und im Leben eines Menschen anrichten kann.

Mädchen krümmen sich vor Schmerzen

Seit Jahren sitzt die Frauenrechterlin schon an den Betten der Mädchen und redet ihnen das Weiterleben ein. Sie hält den Spiegel, wenn sie ihr zerstörtes Gesicht das erste Mal sehen wollen. Sie macht ihnen vor den zahllosen kosmetischen Operationen Mut. Sie hält die Hände der Mädchen, die sich vor Schmerzen krümmen. Sie streichelt Köpfe, während die Familie den Selbstmord des eigenen Kindes erhofft. Sie demonstriert mit ihnen, sie weint mit ihnen, sie leidet mit ihnen. Und sie ist fassungslos mit ihnen.

Nie wird sie begreifen, warum es in Bangladesch noch immer so einfach ist, ein Leben zu zerstören. Warum man noch immer in jedem Juwelierladen und in jeder Autowerkstatt Säure kaufen kann, diese primitive Waffe. Nie wird Monira Rahman verstehen, warum für die Täter die Tat meist keine Folgen hat. Neun von zehn Tätern werden nie belangt. "Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass die meisten frei herumlaufen", sagt Monira Rahman. Dann lächelt sie. Es ist ein trauriges Lächeln.

Natürlich sind die meisten Menschen in Bangladesch entsetzt über diese Taten. Immer öfter gehen auch Prominente auf die Straße, um gegen den Wahnsinn zu demonstrieren. Aber auf dem Land herrschen alte Gesetze. Man rächt sich, wenn Mädchen einen Heiratsantrag ablehnen, wenn Familien die Mitgift nicht bezahlen, wenn um Grund und Boden gestritten wird.

Monira Rahman kennt Fälle, in denen Männer ihre eigene Frau mit Säure überschüttet haben - um dem Nachbarn eins auszuwischen. "Was ist schon eine Frau, man kann sich jederzeit eine neue holen", sagt Monira Rahman.

So war es, so ist es. Und die Mädchen schweigen, wie sie es gelernt haben. Die meisten erstatten nie Anzeige.

Niemand weiß, wie viele starben

Außer, sie treffen auf Monira Rahman. Wer zu ihr kommt, lernt Gegenwehr. Seit fast zehn Jahren arbeitet sie mit den Säureopfern. Seit sie 1996 in den Krankenhausbetten der Hauptstadt erschreckend viele derart verstümmelte Frauen fand. Unbeachtet und oft unbehandelt. Abgeschobene Menschenwracks. Viele wurden nie in Krankenhäuser gebracht, anderen wurde nicht mal die Säure abgewaschen, weil die Landärzte überfordert waren. Niemand weiß, wie viele in ihren Hütten einen qualvollen Tod starben.

Es hat ja auch keinen interessiert. Bis Monira Rahman kam und anfing zu kämpfen. Sie hat dafür gesorgt, dass Ärzte im Ausland ausgebildet, dass neue Krankenstationen gebaut und Aufklärungskampagnen gestartet werden. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass Gesetze verändert und Polizisten darüber aufgeklärt wurden, dass es ein Verbrechen ist, wenn einer Frau so etwas angetan wird. Am Sonntag wird Monira Rahman dafür in Berlin der Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International bekommen.

Angst um die eigenen Kinder

"Warum ich das mache? Um meinem Leben einen Grund zu geben", sagt sie. "Und um von diesen Mädchen zu lernen. Wie sie erst um ihr Leben kämpfen, dann um ihre Würde, das ist sehr wichtig für mich." Am Anfang war es nicht einfach, allein gegen die Tradition. Oft hatte sie Angst um die eigenen Kinder. Ein Glas Säure bekommt man auch in Dhaka. Trotzdem hat sie weitergemacht, hat die Stiftung für Säureopfer gegründet, auf die Frauen eingeredet, hat ihnen gesagt, dass nicht sie sich für ihre Gesichter schämen müssen, sondern die Täter. Selbstverständlichkeiten, die keine waren.

Sorgen bereiten Monira Rahman die Männer. Diese verunsicherten, gefährlichen Männer, die nicht zurechtkommen mit der neuen Zeit, den neuen Frauen. Den Mädchen, die nicht mehr tun, was man ihnen befiehlt, nicht mehr alles glauben, was man ihnen sagt, die Geld verdienen und Selbstvertrauen haben. Frauen, die man nicht mehr mit einem Zahnputzglas dorthin zurückwerfen kann, wo sie herkommen - nach ganz unten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: