"Me Too"-Bewegung in Frankreich:"Der freien Rede das Maul gestopft"

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Twitter-Aktivistin Sandra Muller zu Geldstrafe verurteilt. (Foto: Thibault Camus/dpa)
  • Sandra Muller hatte dem Chef eines französischen Privatsenders öffentlich sexuelle Belästigung vorgeworfen.
  • Der Mann hatte dagegen geklagt - mit Erfolg.
  • Mullers Anwälte kündigten an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.

Von Nadia Pantel, Paris

"Verpfeif dein Schwein" - unter diesem Schlagwort, auf Französisch #Balancetonporc, entlud sich in Frankreich vor zwei Jahren auf Twitter und Facebook die Wut der Frauen. Es war die französische Antwort auf #MeToo. Die Journalistin Sandra Muller, die sich den Verpfeif-Hashtag ausgedacht hat, wurde nun wegen übler Nachrede verurteilt. Muller muss dem früheren Fernsehmanager Eric Brion 20 000 Euro Entschädigung zahlen, entschied ein Gericht in Paris am Mittwoch. Mullers Anwalt kündigte an, in Berufung zu gehen.

Es geht in dem Fall um eine Äußerung aus dem Jahr 2017. Seit einer Woche hatte die US-Presse damals schon über die Vorwürfe sexueller Belästigung und Vergewaltigung berichtet, die Frauen gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein erhoben. Unter dem Hashtag #MeToo begannen Tausende Frauen, von ihren eigenen Erfahrungen zu erzählen, von verbaler sexistischer Herabwürdigung bis zu sexuellen Übergriffen. Es ist acht Uhr morgens am 13. Oktober in New York, als die dort lebende französische Journalistin Muller beschließt, sich an der Bewegung zu beteiligen. Sie postet auf Twitter mit dem Hashtag #Balancetonporc eine Aufforderung an Frauen, Details und Namen von Fällen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu posten. Vier Stunden später schrieb sie: ",Du hast große Brüste. Du bist mein Typ Frau. Ich werde dich die ganze Nacht zum Orgasmus bringen.' Eric Brion, Ex-Chef von Equidia."

"Soziale Ächtung"

2017 wird Muller wegen dieses Tweets und seiner Folgen vom amerikanischen Time Magazin zu einer der Personen des Jahres gekürt, weil sie geholfen habe "das Schweigen zu brechen". Nun, zwei Jahre später, spricht ein Gericht sie schuldig, "die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschritten" zu haben und Eric Brion damit der "sozialen Ächtung" preisgegeben zu haben.

Die Justiz sende damit "kein positives Signal", kritisiert Mullers Anwältin nach dem Urteil. Man sage damit Frauen, dass sie "jedes Wort siebenmal umdrehen müssten, bevor sie twittern". Brion hingegen sagt am Tag nach dem Urteil in einem Interview mit dem Magazin Le Point, er sei "extrem erleichtert". Für ihn zähle, "dass die Justiz festgestellt hat, dass ich kein Schwein bin". Brion gibt zu, dass er Muller an einem Abend im Jahr 2012 gesagt habe, dass sie "große Brüste" habe, dass sie sein "Typ Frau" sei und dass er sie "die ganze Nacht zum Orgasmus" bringen würde. Er habe sich am nächsten Morgen bei Muller per SMS für sein Verhalten entschuldigt.

Bei der Verhandlung des Falls im Mai dieses Jahres argumentierte Brions Anwältin, dass ihr Mandant Muller lediglich "ohne großes Gewese" gesagt habe, dass sie ihm gefalle. Diese Logik erinnert an den offenen Brief, den verschiedene prominente Französinnen, unter ihnen Catherine Deneuve, als Reaktion auf die "Me Too"-Bewegung verfasst hatten. Darin hieß es, Männer hätten "ein Recht, lästig zu sein". Mullers Verteidigung antwortete auf diesen Versuch, Brions Verhalten als "Flirt" zu qualifizieren, indem sie sagte: "Die Welt hat sich geändert. Der Hashtag hatte so einen großen Erfolg, weil Tausende Frauen genug davon hatten, sich als Objekt der Begierde in einem Räuber-Beute-Verhältnis zu fühlen."

Es geht darum, wie sich Mullers Tweet auf Brions Leben auswirkte

Im Zentrum des Prozesses stand jedoch weniger eine allgemeine Diskussion über den Beginn und die Grenzen sexueller Gewalt. Es ging mehr darum, wie sich Mullers Tweet auf Brions Leben auswirkte. Der berichtete im Verlauf des Prozesses davon, wie der Tweet und die folgende Kampagne dazu geführt hätten, dass seine damalige Freundin ihn verließ, dass er in der Medienwelt zum Aussätzigen geworden sei und dass er bis heute wegen einer Depression Medikamente nehmen müsse.

Am Tag nach dem Urteil sagt Brion in verschiedenen Medien, dass er ein Unterstützer der "Me Too"-Bewegung sei. Er sei in seiner Zeit als Chef eines privaten Fernsehsenders aktiv gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgegangen. "Me Too" habe bei ihm außerdem einen "weiteren Reflexionsprozess angestoßen".

In der Begründung des Schuldspruchs für Muller heißt es, dass der "außergewöhnliche Widerhall" der zwei Tweets dazu geführt habe, dass Brions Name zu Weinsteins Taten in Bezug gesetzt worden sei und das zur "sozialen Isolation" Brions geführt habe.

Mullers Anwälte kündigten an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Mit dem Richterspruch werde "der freien Rede das Maul gestopft".

© SZ vom 27.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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