Massaker in USA:Selbstzerstörerischer Wahn

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Bei Massakern sind Auslöser und Ursachen oft schnell gefunden - vordergründig. Es gibt aber nur einen einzigen Grund für einen Amoklauf: die Pathologie des Täters.

Andrian Kreye

Der Reflex, das Unerklärliche erklären zu wollen, ist so alt wie das Denken. Deswegen erscheint jeder Versuch natürlich, einer Tragödie wie dem Amoklauf an der Virginia Tech University einen Sinn zu geben.

Auslöser und Schuldige sind oft schnell gefunden: die Gesellschaft, Videospiele, Waffengesetze, die Verrohung der Jugend und die allgemeine Gewaltbereitschaft der amerikanischen Nation und ihrer Bürger.

Etwas schwieriger wird es im aktuellen Fall Blacksburg, weil es sich bei dem Amokläufer aller Wahrscheinlichkeit nach um einen erwachsenen Gaststudenten aus Südkorea handelte, den reine Eifersucht zur Tat trieb. Aber gerade weil die Tragödie von Blacksburg keinen Raum für gesellschaftliche oder kulturelle Auslegungen zulässt, ist sie besonders geeignet, als exemplarischer Fall zu dienen.

Prinzipiell ist ein Amoklauf die Extremform des Selbstmordes, in der sich der selbstzerstörerische Wahn nach außen richtet. Erste Tatbeschreibungen aus Blacksburg decken sich mit Suizid-Diagnosen. Nach Zeugenaussagen ging der Amokläufer mit konzentrierter Ruhe vor. Er gab seine Schüsse in regelmäßig getakteten Salven ab und durchsuchte die Hörsäle methodisch nach Überlebenden. Andere Fälle bestätigen diese Pathologie.

Wutausbrüche und die Begeisterung für Gewalttaten

Die Amokläufer von Columbine und Erfurt bereiteten sich lange auf ihre Tat vor. Das entspricht dem Psychogramm eines Selbstmörders, dem der Entschluss, sein Leben zu beenden, einen inneren Frieden beschert, in dem er noch all seine Angelegenheiten regelt. Auch die Symptome im Vorfeld von Amokläufen, wie Wutausbrüche und die Begeisterung für Gewalttaten, decken sich mit denen eines Selbstmörders, dessen Depressionen sich in cholerischen Ausbrüchen entladen, und der eine morbide Sehnsucht nach dem Tode hat.

Ganz abstreiten kann man den Einfluss von Faktoren wie Videospielen und laxen Waffengesetzen zwar nicht. So haben Forscher an der Iowa State University herausgefunden, dass Jugendliche, die sich für gewalttätige Videospiele begeistern, aggressiver sind und über eine höhere kriminelle Energie verfügen. Was keine Studie je nachweisen konnte, ist die Reihenfolge der Zusammenhänge. Lösen Spiele Gewalt aus oder sind sie nur Gift für gewaltbereite Gemüter?

"Enabler" nennt man in der Psychologie solche Faktoren, die einen psychopathologischen Zustand begünstigen. Natürlich kann der ständige Gebrauch von Videospielen in einer labilen Psyche Schaden anrichten. Und es ist auch eine durchaus logische Schlussfolgerung, dass laxe Gesetze, wie die von Virginia, den Zugang zu einem Arsenal von Tatwaffen enorm erleichtern. Allerdings spielen auch klinische Störungen, die psychosoziale Entwicklung des Täters und Auslöser wie Geltungsverlust oder das Ende einer Beziehung beim Amoklauf eine Rolle.

Die Berichte über den Amoklauf an einer Schule oder Hochschule erschüttern zunächst des Urvertrauens in die Gesellschaft. Wenn ausgerechnet die Institution zur Todesfalle wird, die das eigene Kind auf das Leben vorbereiten soll, dann kann es keine Sicherheit mehr geben. Schlichte Erklärungsmodelle sind in so einem Kontext nur zynischer Populismus.

Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um die Besserwisserei europäischer Fernsehmoderatoren und des australischen Premierministers John Howard handelt, die Amerika noch am Tag der Tragödie aufforderten, Gesetze zu ändern; oder um die eilige Verteidigung des Rechts auf Waffenbesitz von Präsident George Bush und seinem potentiellen Nachfolger John McCain.

Solche Beiträge wirken wie Hühneraugenpflaster für Pestbeulen. Es gibt keine einfachen Erklärungen für eine so komplexe Pathologie wie die eines Amokläufers. Nur eine fundierte Suizidforschung kann das Geflecht aus Faktoren entwirren, die so eine Tragödie auslösen.

© SZ vom 18.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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