Loveparade-Prozess:Keine weiteren Fragen

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Die Staatsanwaltschaft stimmt im Loveparade-Prozess zu, das Verfahren gegen sieben der zehn Angeklagten einzustellen. Damit ist klar: Zumindest juristisch wird die Katastrophe nie ganz aufgeklärt werden.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Im Juli 2010, kurz nach der Katastrophe in Duisburg. Damals, vor achteinhalb Jahren, konnte niemand ahnen, dass die juristische Aufarbeitung so lange dauern würde. (Foto: Patrick Stollarz/AFP)

Uwe Mühlhoff ist die Entscheidung schwergefallen, das schickt der Oberstaatsanwalt voraus. Dass das Gericht diesen Strafprozess einstellen will, der das tödliche Gedränge bei der Loveparade am 24. Juli 2010 doch aufarbeiten sollte, sei den Angehörigen der 21 Todesopfer und den damals mehr als 650 Verletzten "nur schwer zu vermitteln", weiß Mühlhoff. "Dafür haben wir volles Verständnis."

Und doch kann das Verfahren gegen sieben der zehn Angeklagten an diesem Mittwoch enden: ohne Urteil, auch ohne Freispruch, eingestellt wegen geringer Schuld.

Diesem Kompromiss hat die Staatsanwaltschaft nun zugestimmt. Übrig bleiben dann drei Angeklagte der Veranstalterfirma Lopavent: Sie wollen keine Geldauflage zahlen, damit der Prozess gegen sie eingestellt wird; sie pochen auf Freisprüche. "Das führt dazu, dass das Verfahren in jedem Fall fortgesetzt wird", sagt Richter Mario Plein. Nur werden sich die Reihen bald ausdünnen in jener Kongresshalle in Düsseldorf, in die sich das Landgericht Duisburg aus Platzgründen verlegt hat.

Schock für die Hinterbliebenen

Richter Plein hatte vor drei Wochen gar vorgeschlagen, den gesamten Prozess wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung einzustellen. Ein Schock für die Hinterbliebenen: Es fühle sich an wie "ein zweiter Tod meiner Tochter", sagte der Vater eines der jungen Opfer.

Doch dem Gericht läuft die Zeit davon: Bis Juli 2020 muss es urteilen, ansonsten verjähren jegliche Vorwürfe. Zwar haben die Beteiligten bereits 100 Verhandlungstage hinter sich und 59 Zeugen verhört. Doch sind Angaben von 575 weiteren Zeugen in das entscheidende Sachverständigengutachten eingeflossen. "Eine ganz erhebliche Anzahl von diesen" müsste noch vor einem Urteil vernommen werden, sagt Staatsanwalt Mühlhoff. Dies sei selbst bei größter Anstrengung "nicht zu absolvieren".

Ursächlich für die Katastrophe sei keine einzelne Tat, sondern eine Reihe von Fehlern gewesen: Das Gelände am alten Güterbahnhof sei nicht geeignet gewesen, sagt Mühlhoff, das Konzept der Veranstalter nicht ausgelegt für so viele Menschen. Besucherströme seien falsch geleitet worden; ein Gutachter attestierte den Verantwortlichen ein "Kommunikationschaos". Hätte jemand all dies rechtzeitig überblickt, wäre die Loveparade wohl abgesagt worden, sagt der Staatsanwalt, dann wäre all das nicht passiert.

Gleichwohl könne man den Verantwortlichen keinen Totschlag oder gar Mord unterstellen, sagt Mühlhoff, derlei Vorwürfe seien "ehrenrührig, abwegig und haltlos". Die sechs Angeklagten des Duisburger Bauamtes etwa hatten keinerlei Erfahrungen mit vergleichbaren Großveranstaltungen, sagt der Staatsanwalt, obendrein standen sie unter Druck, weil die Loveparade in der Stadt politisch erwünscht gewesen sei.

Unschuldsvermutung bleibt unangetastet

Daher sehen Ankläger wie Richter allenfalls eine geringe individuelle Schuld bei diesen sechs Angeklagten. Gegen sie kann der Prozess nun ohne Geldauflagen enden; sie sind dann weiter nicht vorbestraft. Ihre Anwälte stimmen dem am Dienstag zu - freilich nicht ohne zu betonen, dass die Unschuldsvermutung hier unangetastet bleibe und die Einstellung kein Schuldeingeständnis bedeute. Vielmehr wolle man das Verfahren abkürzen, das auch für die Angeklagten eine Belastung gewesen sei.

Bei allem Mitgefühl für die Hinterbliebenen und Verletzten stellt ein Verteidiger die rhetorische Frage, wozu es dieses jahrelange Verfahren nun überhaupt gebraucht habe. Auch für den sogenannten Kreativdirektor von Lopavent soll der Prozess ohne Auflagen enden. Vertreter der Polizei sitzen von Beginn an gar nicht auf der Anklagebank, obwohl eine zusätzliche Absperrung der Polizei laut Gutachten zur Katastrophe beigetragen hat, ein Polizeiwagen gar noch in das Gedränge eingefahren war.

Erfahrung mit großen Veranstaltungen

Anders sieht es für die restlichen drei Angeklagten der Veranstalterfirma aus. Bei der Loveparade trugen sie Titel wie "Leiter Sicherheit" oder gehörten als Produktionsleiter einem "Arbeitskreis Sicherheit" an. Auch hatten sie Erfahrung mit großen Veranstaltungen. Weil sie individuell eine mittelschwere Schuld treffen könnte, schlug das Gericht vor, ihre Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. Die Staatsanwaltschaft forderte, dass sie jeweils 10 000 Euro an gemeinnützige Einrichtungen zahlen sollten. Doch dazu kommt es einstweilen nicht.

Besagter Produktionsleiter habe ein Interesse an "vollständiger Rehabilitation", kündigt sein Anwalt an, eine Geldauflage wirke hingegen wie eine "Sanktion für begangenes Unrecht". Dabei sei immer noch unklar, welche konkrete Tat ihm nun angelastet werde.

"Hatte es wirklich ein einzelner Angeklagter in der Hand?", fragt denn auch die Anwältin des technischen Leiters der Firma Lopavent. Ihr Mandant sei jedenfalls nicht bereit, für Fehler der Polizei, der Feuerwehr oder externer Dienstleister geradezustehen. "Er verzichtet nicht auf das Recht, freigesprochen zu werden."

Wenn nun nur noch drei Angeklagte übrig bleiben, deren Strafprozess ohnehin in anderthalb Jahren verjährt: War dann wirklich das ganze Verfahren für die Katz, das Anfang 2014 mit einer Anklageschrift begann und Ende 2017 mit dem ersten Verhandlungstag in Düsseldorf? Haben sich die Beteiligten all die schwer erträglichen Videos und Fotos dann vergeblich angeschaut?

Nein, nimmt Mühlhoff seine eigene Anklage in Schutz: Der Strafprozess habe wesentlich dazu beigetragen, die Loveparade-Katastrophe öffentlich aufzuklären, sagt der Staatsanwalt. Auch seien viele Vorschriften für Großveranstaltungen verschärft worden, diese würden mittlerweile intensiver geprüft. Alles, damit so etwas wie in Duisburg hoffentlich nie wieder geschehen wird.

© SZ vom 06.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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