Litwinenko-Witwe:Das Buch zum Mord

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Die Ehefrau des ermordeten Kreml-Kritikers Litwinenko hat ein Buch über die Hintergründe der Tat geschrieben. Entstanden ist eine 400 Seiten dicke Anklageschrift - gegen den russischen Geheimdienst, gegen den Staat und gegen Präsident Putin.

Frank Nienhuysen

Das Erste, was Marina Litwinenko sehen kann, als sie durch die automatische Schiebetür geht, sind rote Luftballons. Es geht bunt zu in der Ankunftshalle des Hamburger Flughafens, soeben ist die Maschine aus New York gelandet, für viele ist dies die Zeit des Wiedersehens.

Eine Frau hält eine Sonnenblume, zwei Mädchen tragen einen Begrüßungskuchen. Marina Litwinenko wird von einem Kamerateam erwartet. Sie trägt eine dunkle Hose, eine hellbraune Lederjacke, mit ihren kurzen Haaren wirkt sie unscheinbar.

"Eigentlich", sagt sie, "mag ich es auch nicht, in der Öffentlichkeit zu stehen, Interviews zu geben." Aber eigentlich, was heißt das schon für eine Frau, deren Leben sich in einem halben Jahr so radikal verändert hat? Für eine Frau, deren Mann, früher Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes, im November Opfer eines der spektakulärsten Morde der vergangenen Jahre wurde?

Alexander Litwinenko starb an einer hohen Dosis Polonium-210, das Bild, wie er kahlköpfig daliegt in einem Londoner Krankenhaus, mit Sensoren auf seiner geschwächten Brust, ging um die Welt. Und nun will Marina Litwinenko der Welt erzählen, warum ihr Mann sterben musste.

Anklageschrift gegen den Geheimdienst

Mit Alex Goldfarb, einem engen Freund der Familie, hat sie ein Buch geschrieben, mehr als 400 Seiten dick. Eine Anklageschrift gegen den russischen Geheimdienst FSB, gegen den Staat, der sich seiner Feinde entledige, gegen Präsident Wladimir Putin, den sie zumindest indirekt verantwortlich macht für den Tod ihres Mannes.

Gerade kehrt Marina Litwinenko aus den USA zurück, davor war sie in London, in Paris, in Cannes, in 13 Sprachen ist das Buch "Tod eines Dissidenten" übersetzt worden, nun stellt sie es mit Goldfarb in Deutschland vor.

"Anfangs war ich nicht bereit, diesen Weg zu gehen", sagt sie. "Ich habe gezögert, aber nun mache ich es doch, denn ich will für meinen Mann sprechen. Das gibt mir Kraft. Die Menschen sollen wissen, was passiert ist."

Auf dem Weg zum Hotel versucht ihr Blick so viel von Hamburg zu streifen, wie es eben geht. Sie ist keineswegs betrübt, sie lächelt, erzählt, dass sie früher mal ein wenig Deutsch gelernt hat in der Schule. Es ist spürbar, dass sie am liebsten wieder ein normales Leben führen will, mit ihrem Sohn Tolik in London. Aber jetzt hat sie erst noch eine Aufgabe zu erledigen.

Etwa hundert Interviews hat Marina Litwinenko in den letzten Tagen gegeben, immer die gleichen Fragen beantwortet. Wer ihren Mann getötet hat und warum, weshalb sie das Buch geschrieben hat, was ihre Pläne sind. Zu wirklichen Plänen sei sie derzeit nicht in der Lage, sagt sie.

Und der Mörder ihres Mannes, ja, da nennt sie immer wieder Andrej Lugowoj, jenen ehemaligen FSB-Agenten, der eine Poloniumspur durch halb Europa zog. Den die Briten angeklagt haben, und nach dessen Aussage seit Freitag auch der FSB wegen Spionage ermittelt. Gegen wen, wurde nicht mitgeteilt.

Hochrangige Unterstützung

Der Fall bleibt undurchsichtig, und alles kann auch Marina Litwinenko nicht beantworten, im Buch nicht und nicht in all den Interviews. "Aber eines ist klar", sagt sie: "Hinter Lugowoj muss es jemanden geben. Es ist unmöglich, Polonium zu erhalten ohne hochrangige Unterstützung in der russischen Führung."

Sie ist beherrscht, aber es ist offenkundig, wie schwer es ihr fällt, öffentlich das Vermächtnis ihres Mannes zu erklären, das System Putin zu tadeln. Immer wieder muss sie ein Schluchzen unterdrücken, gegen Tränen kämpfen, vor allem, wenn sie auf persönliche Fragen antwortet, über das neue Leben mit ihrem Sohn spricht.

Die politischen Fragen überlässt sie ohnehin lieber dem eloquenten Alex Goldfarb, der die meisten Passagen des Buches geschrieben hat. Der Schauspieler Axel Milberg, der mit Marina Litwinenko in einer Talkshow aufgetreten ist, sagt, "sie ist diszipliniert, sie ist sich ganz ihres Auftrags bewusst. Eine Heldin, die eigentlich keine sein will."

Natürlich kennt auch Litwinenko die Macht der Bilder, wählt für die Pressekonferenz am Freitag schwarze Kleidung, verschmilzt persönliche Trauer mit Werbung für ihr Buch. Danach gibt sie wieder Interviews, ehe sie zurückfliegt nach London. Für wie lange, kann sie nicht sagen.

Denn ein Ziel haben sich Goldfarb und Litwinenko für die nächsten zwei Wochen gesetzt: Sie wollen in die Larry-King-Show bei CNN - genau dann, wenn George W. Bush in Kennebunkport Wladimir Putin empfängt.

© SZ vom 16.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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