Life Ball in Wien:Nackt sein ist kein Kostüm

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Paillettenkleider, Elfenflügel und mehr als zwei Millionen Euro für den Kampf gegen Aids: Die Österreicher sind stolz auf ihren Life Ball. Nur die FPÖ wettert gegen den "Transgender-Hype".

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Nicht jeder trägt öffentlich gern ein Harlekin-Kostüm aus Tausenden Pailletten in Lila, Orange, Rot und Weiß plus Federhut, verspiegelter Pilotenbrille, Glamour-Collier und Glitzerstiefeln. Oder einen Anzug aus schwarz gefärbten Plastikhandschuhen, grünen Strohhalmen und schwarzer Lackfolie. Oder oben nichts und unten nichts und dazwischen einen Blumenkorb.

Aber es ist Life Ball in Wien, das Motto lautet "Garten der Lüste", und da laufen Menschen über den roten Teppich vor dem Rathaus in Kostümen, die so freizügig, opulent und verwegen sind, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Auch Menschen, die sich sonst zur besseren Gesellschaft der Stadt zählen und gewöhnlich in Kittel, Anzug oder Robe durch Krankenhäuser, Büros und Gerichte eilen.

Wenn Life Ball ist und Spenden für den Kampf gegen Aids gesammelt werden, entdeckt die österreichische Hauptstadt ihre schräge Seite, die sie sonst gern versteckt, der ORF überträgt - und alle sind mit Begeisterung diverse.

Seit Conchita Wurst alias Tom Neuwirth den Eurovision Song Contest gewonnen hat, ist Österreich noch ein bisschen populärer und diverser geworden in den Augen der Welt. Und Bürgermeister Michael Häupl, der völlig unverkleidet, quasi ganz als er selbst, auf der bunt ausgeleuchteten Bühne steht und Tausende Neugierige, Prominente und Sponsoren begrüßt, dankt Frau Wurst, die später noch ihren Siegersong performen wird, dafür, dass Toleranz und Respekt jetzt noch mehr mit dem Land verbunden würden; "so stellen wir uns der Welt vor".

Bei Monstern mit Maschinengewehr regt sich niemand auf

Nur die rechtspopulistische FPÖ hat das noch nicht so ganz verstanden, sie sorgte im Vorfeld der Veranstaltung für einen schönen Werbeeffekt, als sie gegen das Plakat des Life Ball 2014 klagte. Es zeigt eine Frau mit Brüsten und einem Penis, worin die Freiheitlichen einen "Transgender- Hype" sahen, der außerdem gegen das Pornografiegesetz verstoße. Gery Keszler, der Begründer und Star des Balls, konterte gelassen: Kürzlich habe er "in einem Einkaufszentrum ein riesiges Monster mit Handgranaten und Maschinengewehren vor einem Spielwarengeschäft stehen sehen, da regt sich kein Mensch auf".

Auch wenn es immer noch ein wenig ungewohnt sein mag, am letzten Tag im Mai, wenn nicht Fasching ist, die halbe Prominenz der Stadt in Efeu und Tüll gehüllt, mit Elfenflügeln und Vogelfedern behangen, mithin in großartigen, in monatelanger Vorarbeit entstandenen Kostümen zu sehen, so gehört der Ball, laut Eigenwerbung "eines der größten Fundraising-Events weltweit im Kampf gegen Aids", doch mittlerweile zum Selbstverständnis Wiens wie der Opernball oder die Festwochen. Nur die Dichte homosexueller Paare und Passanten ist weit höher, wenn Keszler zum Charity-Ball ruft.

Alexander Lintl, der im bürgerlichen Leben als Kostümbildner an renommierten Opernhäusern und Theatern wie den Münchner Kammerspielen eher erzählende, dem jeweiligen Stück, der Regie untergeordnete Kostüme entwirft, sagt, am Life Ball könne er sich zur Abwechslung mal richtig ausleben als Designer. "Im Erdzeitalter von Lady Gaga muss man sich was einfallen lassen, um hier wahrgenommen zu werden." Er selbst ist in diesem Jahr im eingangs erwähnten Harlekin-Kostüm gekommen. Und die Kostüme seiner Freunde hat er gleich mitentworfen.

Vor dem Marsch über den roten Teppich treffen sich die Anwärter auf den Preis für das tollste Outfit in einem Hotel am Ring und fahren dann gemeinsam mit einer Straßenbahn zum Rathaus. Allein die ungläubigen Blicke, das begeisterte Lachen der Passanten von der Straße hinein in den Waggon, in dem die strahlenden, kichernden, schwatzenden und angespannten menschlichen Kunstwerke sitzen - allein diese Fahrt schon ist Lintl den ganzen Aufwand wert. Aber natürlich hofft er auf den Sieg, alle Life-Ball-Künstler tun das.

Im vergangenen Jahr hatte der Kostümbildner für eine Künstlerin und Freundin mit dem entzückenden Namen Titanilla Eisenhart eine Art gleißenden Riesensalamander mit Gold-Brüsten und Federhut geschaffen; mit der Kreation gewannen die beiden 2013 den Style Award. Der Style Award ist eine begehrte Trophäe auf dem Life Ball, auf dem es zwar offiziell in erster Linie darum geht, möglichst viel Geld für HIV-Infizierte und Aids-Projekte zu sammeln. Weshalb auch jedes Jahr Ex-US-Präsident Bill Clinton auftaucht, der aus den Einnahmen Geld für seine Clinton-Foundation bekommt.

Aber vor allem ging und geht es bei den zweiundzwanzig Life Balls, die es bisher in Wien gab, um Sehen und Gesehenwerden. Lintl räumt mit dem Vorurteil auf, dass möglichst viel Haut zu zeigen cool sei, wie es etwa auf der Love-Parade üblich ist. "Nackt sein ist kein Kostüm." Nein, je extravaganter und spektakulärer, desto Life-Ball-gemäßer. "Dies ist ein Fest des Lebens und der Freunde, wir wollen zeigen, dass wir dabei sind, die Krankheit zu überwinden und glücklich sind, dass wir Stigma und Abwertung hinter uns gelassen haben." Also gilt es, vor allem nach oben hinaus zu bauen, also turmhohe Hüte und metergroße Aufsätze, die aus dem Gedränge rund um die Bühne herausragen. Lintls diesjähriges Modell trägt einen orange-roten Kopfputz, der jeder Tanzgruppe in Brasilien Ehre machen würde.

Heute wollen alle dabei sein

Der gebürtige Wiener ist seit dem ersten Mal dabei, er weiß noch, wie es war, als "kein Mensch über diese Krankheit reden wollte, als viele von uns ihre Partner und Gefährten verloren, weil es keine wirkungsvollen Medikamente gab". Gery Keszler habe, wie er damals auch, viele Freunde verloren und beschlossen, Spenden zu sammeln - am besten da, wo man es damals nicht erwartet hätte: an einem öffentlichen Ort, mit öffentlicher Unterstützung. "Schwule im Rathaus, das war damals noch ein Affront", erinnert sich Alexander Lintl. "Dann wurde es Avantgarde, dann hip." Heute werden jährlich mehr als zwei Millionen Euro eingenommen, Tendenz steigend. Und: Heute wollen alle dabei sein.

Also kommen auch Anna Netrebko und Courtney Love, amerikanische Semi-Promis mit grotesk aufgespritzten Lippen, Ben Becker als aufgeblähter Papst-Darsteller und jede Menge Modedesigner. Das Event ist sehr professionell geworden, auch wenn in diesem Jahr die Kür des Style Awards ausbleiben muss, weil der Sieger nicht aufgetrieben werden kann. Außerdem ist die Moderation so grottenschlecht, dass das zahlende Publikum sich murrend empört. Eine Wiener Bürofachkraft, die sich eine Karte für 160 Euro geleistet hat, weil sie "einmal selbst sehen wollte, wie es hier zugeht", sagt mitleidig, da sei viel "gut gemeint, aber chaotisch gemacht".

Egal, der Zweck heiligt die Sache, und der Zweck ist wichtig. Und Alexander Lintl, der mit seinen Freunden mittlerweile hinter der Bühne steht und sich auf eine durchtanzte Ballnacht freut, findet, kleine Fehler in der großen Show gehörten zum Leben. "Wir sind hier, wir freuen uns aneinander, und die Life Ball Family gedeiht. "

© SZ vom 02.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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