Liebesgeschichte (9):Der seltsame Herr und die Katze

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Frederic und Anne Vester waren 56 Jahre verheiratet. (Foto: privat)

Anne war 19, als sie sich verliebten, Frederic 21. Die Geschichte einer Liebe, die dank Peter Scholl-Latour zustande kam.

Von Christina Berndt

Da sitzt sie nun in ihrer Dachgeschosswohnung im Münchner Westend, das Haar ist weißgrau, 70 Jahre nach dem Beginn dieser wunderbaren Geschichte, in der eine Katze die Hauptrolle spielt: Anne Vester, 88 Jahre alt, Witwe eines Buchautors und Fernsehstars sowie Mutter zweier Schauspielerinnen. Manche Worte betont sie mit ihrem Zeigefinger.

Die Geschichte beginnt in Saarbrücken. Ein Jahr war sie damals in Frankreich gewesen, war gleich nach dem Krieg losgezogen, mit 18, und nun sollte sie wieder in ihrer Heimatstadt leben. "Ich hatte einen solchen Bildungshunger", sagt Anne Vester. Sie machte sich also in das einzige Stückchen Frankreich auf, das es in Saarbrücken gab: die Association Française de la Sarre, geleitet von Peter Scholl-Latour. "Ich kam herein in wunderbare Klubräume, mir begegnete ein reizender Scholl-Latour, der mir gleich eine Stelle anbot." Sie konnte nicht Nein sagen, obwohl sie doch gar nicht in Saarbrücken bleiben wollte.

Eines Tages tauchte bei der Association ein Student auf, der sich als Frederic Vester vorstellte. Auf dem Arm trug er eine Katze, die wollte er "seinem Freund Pierre" zeigen - Anne Vester fand das ziemlich verrückt. Aber Menschen, die verrückte Dinge tun, können manchmal faszinierend sein, und genau diese Art war es ja auch, die Frederic Vester dabei half, als Biochemiker und Kybernetiker zu einem Querdenker zu werden. "Pierre" war Peter Scholl-Latour, Vester nannte sich "Fritz", die beiden kannten sich aus ihrer Studentenzeit in Paris. Doch als Frederic Vester nun samt Katze vor der Tür stand, war Scholl-Latour nicht da. "So kam ich mit diesem seltsamen Herrn ins Gespräch", erzählt Anne Vester. Die beiden sprachen Französisch, bis er fragte, woher sie komme. "Aus Saarbrücken", sagte sie. Er, auf Deutsch: "Ich auch." Zwei Monate später, als sie ihn in Paris besuchte, fragte er: "Wann hast du eigentlich Geburtstag?" Am 23. November, sagte sie. Er: "Ich auch."

An ihren Geburtstagen im Jahr 1986 schrieb Frederic Vester ein Gedicht darüber: "Anni and Freddy were lovers. It started when each other saw. The stars did arrange that no others. Could stop that eternal law. They had the same way. They were born the same day." Ja, sie, die beiden Liebenden, die sich auf den ersten Blick verliebt hatten, als hätten sich die Sterne auf einzigartige Weise nur für sie geordnet, sie hatten denselben Weg: So sieht es Anne Vester bis heute. Aber sie sieht das nicht so kitschig, "es war gar nicht so sehr ein kribbeliges Verliebtsein", sagt sie, "mehr eine intellektuelle Übereinstimmung."

Schon vier Monate nach ihrem Kennenlernen heirateten die beiden, sie war 19, er 21. Ihre Familien waren nicht begeistert, und am Tag der Trauung schien alles schiefzugehen. Er kam fast zu spät, weil er sich noch mit seiner Mutter über den Preis der teuren Blumen stritt, der Friseur kokelte versehentlich die Haare der Braut an, der Standesbeamte erörterte langatmig mit einem Hochzeitsgast, einem Zoologieprofessor, die bevorstehende Wiedereröffnung des Zoos, und die Schwiegermutter boykottierte die Trauung. Doch die Ehe hielt 56 Jahre - bis zu Frederic Vesters Tod im Jahr 2003. "Die Katze hat es gebracht", sagt Anne Vester. Dabei mochte sie Katzen gar nicht besonders gern.

Zahlreiche Bücher haben die beiden zusammen gemacht, die berühmtesten: "Denken. Lernen. Vergessen" und "Phänomen Stress". Er hat geschrieben, sie hat recherchiert und lektoriert; er war im Rampenlicht, "meine Aufgabe war das innere Management", sagt sie. Eigentlich hatte er auf die Filmhochschule gewollt, aber er durfte nicht. Erst später fand er einen Weg, seine Ideen in Büchern und Fernsehsendungen unters Volk zu bringen. So kam er doch vor die Kamera, und es ist wohl kein Zufall, dass die Töchter Saskia und Madeleine Schauspielerinnen geworden sind, sie treten in Filmen und Serien auf, ihre Gesichter kennen die meisten deutschen Fernsehzuschauer.

Anne Vester hingegen fühlte sich im Hintergrund wohler. "Das große Publikum war das Publikum meines Mannes", sagt sie, "mein Publikum war mein Mann." Noch heute klopft ihr das Herz bis zum Hals, wenn sie öffentlich reden soll. "An der Front bin ich feige", sagt sie. Aber sie sucht sich ihre Mutproben: Neulich hat sie bei einem Diary Slam mitgemacht. Und jetzt fand sie, dass es endlich Zeit wäre, diese Geschichte zu erzählen: wie sie sich als junges Mädchen in einen seltsamen Herrn mit Katze verliebte.

In dieser Reihe erzählt das SZ-Panorama die Liebesgeschichten seiner Leser. Schreiben Sie uns eine E-Mail an liebesgeschichte@sz.de oder einen Brief an Süddeutsche Zeitung, Panorama, Hultschiner Straße 8, 81677 München. Wir sind gespannt.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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