Leichenfund nahe Grefrath:Traurige Gewissheit im Fall Mirco

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Die Polizei hat die Leiche des vermissten Mirco entdeckt. Sein mutmaßlicher Mörder ist ein Berufspendler aus der Nähe und Vater von zwei Kindern. Der Mann habe unauffällig gelebt und sei gut in die Nachbarschaft integriert gewesen, sagen seine Nachbarn.

B. Dörries

Von Mördern, die man gefasst hat, heißt es oft, dass sie ein Leben geführt haben, dessen einzige Auffälligkeit war, dass es besonders unauffällig erschien. Der mutmaßliche Mörder des zehnjährigen Mirco aus Grefrath fuhr einen VW Passat Kombi, das Auto der unauffälligen Familienväter. Er lebte mit Frau und zwei Kindern in der Nähe von Viersen, und über sein Leben gibt es, so viel man bisher weiß, nichts Besonderes zu berichten. Am Mittwoch hat der Mittvierziger offenbar gestanden, Mirco umgebracht zu haben, er sagte der Polizei, wo sie die Leiche des Jungen suchen muss. Am Donnerstag wurde Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Mörder erlassen, er wurde als dringend tatverdächtig eingestuft und sitzt nun in Untersuchungshaft. Man habe "den richtigen Mann", sagte ein Polizeisprecher. Diesem Mann ist in gewisser Weise seine Unauffälligkeit zum Verhängnis geworden, zumindest sein VW Passat.

Am Mittwoch hat ein Mann offenbar gestanden, Mirco umgebracht zu haben, er sagte der Polizei, wo sie die Leiche des Jungen suchen muss (Foto: dpa)

Am 3. September 2010 abends war Mirco auf dem Rückweg von der Skaterbahn nach Hause, als sich seine Spur verliert. Die Eltern melden ihn als vermisst, später findet man erst sein Fahrrad, nach Tagen Teile seiner Kleidung und nach Monaten sein Handy in einem Straßengraben. Ein Zeuge meldet sich, er will einen VW Passat Kombi gesehen haben. Die Orte werden zu Stecknadeln auf einer Karte. "Diese Stellen kann nur jemand abgefahren haben, der sich hier auskennt", sagte Ingo Thiel, der Leiter der Sonderkommission Mirco. Einer von auswärts hätte sich entlang der Bundesstraße bewegt, den Parkplatz aber, den findet man nicht einfach so. Das ist ein Ansatz, aber viel mehr auch nicht. Dann kam das Auto und dann das Handy.

Der Zeuge war ein Autokenner, er legte sich auf die Baureihe B 6 fest, und im Ort wurden nun manche Bürger auch zu Autoexperten, sie standen hinter Gardinen und schrieben die Nummernschilder von Passat Kombis auf, die durch Grefrath fuhren. Es gab immer neue Anhaltspunkte, aber manchmal in den fast fünf Monaten seit Mircos Verschwinden sah es so aus, als führten sie ins Nirgendwo, als wimmele das Land von unauffälligen Passat-Fahrern, 150.000 Mal hat VW dieses Modell gebaut, 15.000 hat die Polizei registriert, Tausende überprüft.

Kommissar Ingo Thiel war sich immer sehr sicher, den Täter zu finden. "Wenn wir das richtige Auto haben, dann haben wir ihn", sagte er. So ist es nun offenbar gekommen. Der Familienvater aus Schwalmtal (Kreis Viersen) soll versucht haben, sein Auto im Ausland zu verkaufen, darauf wurde die Polizei offenbar aufmerksam. Am Handy von Mirco, das der Täter in einen Straßengraben geworfen hatte, fand die Polizei Spuren, von denen sie sagte, dass sie den Mörder überführen würden, wenn man ihn anhand seines Autos ins Visier genommen hat. Vielleicht war es auch nur eine Drohung, um den Täter nervös zu machen. Womöglich ist das gelungen, und der Verdächtige wollte wegen dieser Drohung sein Auto im Ausland loswerden. Andererseits ist das Ausland hier nicht weit, die holländische Grenze ist nur wenige Kilometer von Grefrath entfernt.

Auch in den Niederlanden haben die Polizisten nach dem Täter gesucht, haben über Anträgen auf Rechtshilfe gesessen und dann auf das Faxgerät geschaut, aus dem lange keine Antwort kam. Sie haben mit tausend Beamten eine Fläche von 50 Quadratkilometern durchsucht. Und sie mussten Fragen beantworten, warum man bei Mirco einen solchen Aufwand betrieb und bei anderen Kindern nicht. Kommissar Thiel hat sich den Fragen immer gestellt, er hat immer Zuversicht verbreitet, auch wenn er vielleicht manchmal keine mehr hatte. Er ermittelt seit etwa zwei Jahrzehnten in Mordfällen, es gibt Nächte, in denen er an die Opfer denkt und aufsteht, um eine Zigarette zu rauchen. Thiel ist ein Mann, der keine Uniform trägt, höchstens die von Schimanski: Parka und Jeans. Er hat im Verlauf der Ermittlungen das erzählt, was man sagen konnte und das verschwiegen, was die Öffentlichkeit nicht erfahren sollte. Er wusste, dass es schon ein Urteil ist und eine Strafe, allein mit dem Verdacht auf Kindstötung in Verbindung gebracht zu werden. Immer wieder hatte die Polizei Tatverdächtige vernommen, die bisherigen Festnahmen habe man aber "sehr diskret abgearbeitet", sagte ein Polizeisprecher. "Das war sicher auch gut so, denn in diesen Fällen hatte sich schnell die Unschuld der Verdächtigen erwiesen." Fast 70 Beamte der Sonderkommission sind etwa 8000 Hinweisen nachgegangen, sie haben letztlich alles richtig gemacht, auch wenn es manchmal so aussah, als ob es nicht recht voranging. Für einen Mordfall lag aber alles im durchschnittlichen Ermittlungsrahmen.

Dass es Mord war, davon gingen die Ermittler schon lange aus. Einen anderen Grund gab es nicht, warum der Täter die Kleidung von Mirco auf einem Parkplatz vor Grefrath zurückließ. Dort hat die Polizei eine Laterne aufgestellt und einen Schaukasten, in den sie die neuesten Fahndungsaufrufe pinnte und einen Brief der Eltern: "Für viele ist er ein Junge, der seine Zeit damit verbringt, sich die Haare zu gelen, mit seinen Freunden zu spielen, der den Schulalltag mal mehr, mal weniger begeistert angeht. Für uns ist er einzigartig. Mirco war schon als Baby ein Sonnenschein." Die Eltern haben einmal im Fernsehen an den Täter appelliert, endlich zu sagen, was mit Mirco ist. Dann haben sie gewartet, viele Monate lang. Die Familie ist sehr gläubig, die Mutter ist bald wieder im Ort gesehen worden, beim Einkaufen. Das Leben musste irgendwie weitergehen, Mirco hat drei Geschwister. Lange wussten die Eltern nicht, ob Mirco zehn Jahre alt wurde oder elf. Sie haben nun Gewissheit, seinen Geburtstag hat er nicht mehr erlebt.

Mircos mutmaßlicher Mörder ist ein Berufspendler aus der Nähe. Nachbarn des Tatverdächtigen sagen, der Mann habe völlig unauffällig gelebt und sei gut in die Nachbarschaft integriert gewesen.

© SZ vom 28.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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