Lebensretter:Auf die Plätze, fertig, retten!

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Eine seltsame Show von Verrückten? Oder doch eher eine wichtige Basis für den alltäglichen Kampf gegen das Ertrinken? Ein Besuch der Meisterschaft der Lebensretter in Warnemünde.

Von Thomas Hahn

Da hinten winkt jemand, bei den Bojen im bewegten Wasser der Ostsee. Und schon packt die Rettungsschwimmerin ihr Rettungsbrett und rennt los. Ohne Verzug stürmt sie hinein in die Gischt. Sie kniet sich aufs Brett und greift mit den Händen das Wasser. Kurze, dramatische Schübe. Gleich ist sie bei den Bojen, um die winkende Person aufs Brett zu laden und an Land zu bringen. Es dauert nur wenige Augenblicke, bis die Rettungsschwimmerin da ist. Aber dann passiert etwas Seltsames: Die Person, die gewunken hat, paddelt kraftvoll mit auf dem Weg zurück ans Land. "Das Opfer erwacht zum Leben", sagt Martin Holzhause, der Sprecher der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG), und lächelt.

Die Rettungsaktion ist gar keine Rettungsaktion, sondern das Finale der Staffeldisziplin "Board Rescue" beim DLRG-Cup am Strand von Warnemünde. Die winkende Person gehört zu einem der Zweier-Teams im Wettbewerb, sie ist gerade selbst zur Boje geschwommen.

Wasserrettung ist eine ernste Angelegenheit. Es geht dabei um Leben und Tod, und wenn die gemeinnützige Nothilfe-Organisation DLRG Ansagen macht, tut sie das selten zum Spaß. Auch in diesem Jahr hat es wieder diverse Todesfälle an Badegewässern gegeben. Vor allem die Flüchtlinge aus Afrika, die meistens nicht schwimmen können, hat die DLRG eindringlich dazu ermahnen müssen, die Gefahren des Wassers nicht zu unterschätzen. Allein im vergangenen Jahr haben die Rettungsschwimmer des 550 000-Mitglieder-Verbandes 673 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt. Aber wahr ist auch, dass die DLRG-Menschen diesen ganzen Ernst schlechter bewältigen könnten, wenn es nicht auch noch eine andere Ebene ihrer Tätigkeit gäbe.

Leben retten und Leistungssport treiben: Ein bisschen beißt sich das

So eine Veranstaltung wie der DLRG-Cup mit 350 Teilnehmern aus 50 Ortsgruppen und acht Nationen mag manchem vorkommen wie eine Show von Lebensrettungsverrückten, die nicht ausgelastet sind. Aber tatsächlich hat der sogenannte Rettungssport durchaus eine tragende Funktion im Kampf für mehr Sicherheit an den Badegewässern. Erstens müssen Rettungsschwimmer fit und schnell sein: Die Wettkämpfe motivieren zum Training, und weil die fünf Einzeldisziplinen und drei Staffel-Formate Situationen der Lebensrettung aufgreifen, sind sie eine gute Übung für den Umgang mit den Werkzeugen der Unfallhilfe auf dem Wasser, mit Rettungsgurt, Rettungsbrett und dem Surfski, einem wendigen Paddelboot mit Sitz auf dem Rumpf.

Zweitens ist der Rettungssport ein wichtiges Instrument der Nachwuchsförderung: Er reizt Jugendliche, die schon zu gut für Anfängerkurse, aber noch zu jung für Wachdienste sind. Drittens sind die Wettkämpfe "auch die Plattform, um unsere Anliegen zu vermitteln", wie Holzhause es ausdrückt. Und wie geplant redet er dann auch bald über den Umstand, dass die Schwimmausbildung der Kinder in Deutschland leide, weil allein im vergangenen Jahr 38 Bäder geschlossen hätten. Weil die neu erbauten Bäder oft Spaßrutschen statt seriöse Schwimmbecken böten. Weil es nicht genügend ehrenamtliche Trainer gebe.

"Unsere Sportart ist die einzige, die einen humanitären Aspekt hat", sagt Rettungssport-Bundestrainerin Susanne Ehling. Und Teammanager Holger Friedrich ergänzt: "Die Athleten hier sind die einzigen Sportler, die nicht nur dem Selbstzweck des Sports frönen, sondern wirklich Leben retten." Ein bisschen verselbständigt hat sich die Leistungssportebene allerdings schon. Ehling und Friedrich sind schließlich nicht nur in Warnemünde, um über mehr Sicherheit am Strand zu philosophieren. Der DLRG-Cup ist der Freiwasser-Teil der Qualifikation zu den Weltmeisterschaften in Eindhoven und Noordwijk (Niederlande) im September. Dort geht es um Medaillen, dafür wiederum kann man nicht wie Otto Normalsportler trainieren. Es gibt einen Nationalkader. Manche Rettungsathleten sind bei den Sportfördergruppen von Polizei und Bundeswehr. Und wer das nicht ist wie etwa die WM-Hoffnung Daniel Roggenland, 22, aus Harsewinkel, betreibt sein Training neben Studium und Job so, dass für den Wachdienst zwangsläufig keine Zeit mehr bleibt.

Daniel Roggenland steht am Strand im Wind und zieht sich was Warmes über. Gerade hat er die Königsdisziplin im Rettungssport-Mehrkampf gewonnen. Sie heißt "Oceanman" für die Männer und "Oceanwoman" für die Frauen und gilt als Rettungstriathlon: Je eine Runde mit Surfski, mit Rettungsbrett sowie schwimmend sind zurückzulegen, zwischen den Wechseln liegt ein kurzer Lauf am Strand. Roggenland war überlegen. Mit dem Sieg ist auch klar, dass er die Gesamtwertung gewonnen hat, wie bei den Frauen seine Nationalteam-Kollegin Julia Haas, 18, aus Magdeburg. Roggenland ist zufrieden, aber die Gesamtsituation findet er ausbaufähig.

Er hat in der DLRG schwimmen gelernt und ist dann in den Rettungssport hineingewachsen. Dass ihm die gesellschaftlichen Anliegen der DLRG unwichtig wären, kann man nicht sagen. Wie für DLRG-Wettkämpfe vorgeschrieben erneuert er außerdem regelmäßig seine Lizenz als Lebensretter. Aber eigentlich hat er mit dem Rettungsschwimmen nicht viel zu tun. Er sieht sich als Athlet, und es fällt ihm auf, dass seine Leistung fast nur im Dienste des höheren Zwecks steht und so gut wie nie für sich selbst. "Das stört mich", sagt er, "der Sport wird klein gehalten von den Funktionären." Als DLRG-Athlet darf Roggenland nicht mehr als 50 Euro Preisgeld behalten. "Beträge, die darüber hinaus gehen, werden mit Startgeldern oder anderen Kosten, die zunächst der Verband getragen hat, verrechnet", erklärt Holzhause. In den Strandnationen Australien und Neuseeland sind Rettungssportler gefeierte Profis, in Deutschland gilt für sie eine Art Amateurparagraf. Es soll keine Stars geben neben den ehrenamtlichen DLRG-Helfern, die zwar keine Medaillen gewinnen, aber Menschenleben retten. Roggenland strebt deshalb in eine Sparte, in der die sportliche Leistung einen anderen Stellenwert hat: "Ich wechsle zum Triathlon."

Leben retten. Leistungssport treiben. Beide Tätigkeiten sollen sich ergänzen unter dem Dach der DLRG. Aber sie beißen sich auch ein bisschen. Wobei man den Ärger von Daniel Roggenland nicht falsch verstehen darf. Das Spiel in den Wellen ist tief drin in seinem Herzen und das lässt er da auch nicht mehr raus. "Ich werde nie den Kontakt zu diesem Sport verlieren, weil er einfach zu viel Spaß macht", sagt er. "Das ist eine große Familie, da kann Politik kommen, so viel sie will." Der Leistungssportler Roggenland wird immer auch ein Lebensretter sein.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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