Lebenslange Haft:Lernen, das Schreckliche zu glauben

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Dreieinhalb Jahre nach dem Raubmord von Siegelsbach ist der Bäcker zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Vorzeitige Haftentlassung ausgeschlossen.

Hans Holzhaider

Es war ein Verbrechen, das die Menschen fassungslos machte: Ein Bankraub in der nur knapp 1700 Einwohner zählenden Gemeinde Siegelsbach (Landkreis Heilbronn, aber einer, der mit schier atemberaubender Brutalität und Skrupellosigkeit begangen wurde.

Alfred Bräuchle: Der Bäcker leugnet noch heute die Tat. (Foto: Foto: ddp)

Eine 65-jährige Kundin wurde durch zwei Schüsse aus kürzester Entfernung mitten ins Gesicht getötet. Ihren Ehemann warf der Räuber bäuchlings über einen Stuhl, setzte ihm die Pistole ins Genick und drückte ab.

Die Kugel ging nur um Millimeter am Rückenmark vorbei - "eine Hinrichtung, wie sei vielleicht einer unter tausend überlebt", sagte der Chirurg, der dem Opfer mit einer Notoperation das Leben rettete. Einem 29-jährigen Bankangestellten drosch der Täter seine Pistole mit solcher Wucht auf den Kopf, dass die Schädeldecke auf einer handtellergroßen Fläche zertrümmert wurde; auch er entging nur knapp dem Tod.

Aber was die Einwohner von Siegelsbach besonders schockierte, war der Umstand, dass am Tag nach der Tat der Bäckermeister Alfred Bräuchle verhaftet wurde - ein bis dahin unbescholtener, angesehener, wenn auch nicht überall beliebter Bürger des kleinen Ortes. Seit 20 Jahren kauften die Siegelsbacher ihre Brötchen beim Bäcker Bräuchle. Alfred Bräuchle hatte den Betrieb von seinem Vater übernommen, seine erwachsenen Töchter halfen in der Bäckerei, sein Jüngster ging noch zur Schule.

"Der Bäcker war's"

Und dieser Mann sollte einfach so, nicht einmal maskiert, die Bank in seinem eigenen Wohnort überfallen haben, offensichtlich fest entschlossen, jeden umzubringen, der ihm dabei begegnen würde? Ratloses Entsetzen machte sich breit in Siegelsbach. Keiner wollte das Schreckliche glauben.

Aber dann wurde nach und nach bekannt, was gegen den Bäcker vorlag: Die beiden überlebenden Opfer hatten ihn eindeutig als den Täter identifiziert. "Der Bäcker war's", sagte der schwer verletzte Rentner Hermann C., als man ihn neben seiner toten Frau im Schalterraum der Sparkasse fand. Alfred Bräuchle war hoch verschuldet, die Bäckerei schrieb rote Zahlen, alle Konten waren hoffnungslos überzogen.

Keine fünf Stunden nach dem Überfall zahlte er bei der Volksbank in Bad Rappenau 10.000 Euro in bar ein, am nächsten Tag noch mal 4600 Euro, und bei der Durchsuchung seines Anwesens wurden in verschiedenen Verstecken rund 20.000 Euro entdeckt - zusammen ergab das fast auf den Euro genau die Summe, die in der Sparkasse erbeutet worden war.

Die bis heute verschwundene Tatwaffe war nach Expertenansicht ein sehr seltener Typ - eine ebensolche Waffe hatte Alfred Bräuchle, ein passionierter Jäger, von seinem Vater geerbt und als verloren gemeldet. In der Bank wurde der blutige Abdruck einer Stiefelsohle gefunden, die in Typ und Größe exakt zu einem Paar exklusiver Jagdstiefel passte, die der Bäcker nachweislich einige Jahre zuvor in Heilbronn gekauft hatte.

Allmählich drehte sich der Wind in Siegelsbach - als im April 2005, sechs Monate nach der Tat, vor dem Landgericht Heilbronn der Prozess gegen Alfred Bräuchle begann, waren fast alle Dorfbewohner von seiner Schuld überzeugt.

Dann kam, fast genau ein Jahr später, der zweite Schock: Alfred Bräuchle wurde freigesprochen. Die Richter waren der Ansicht, er könne die Tat nicht begangen haben, weil ein Bauer, der am Tattag mit seinem Traktor durch Siegelsbach gefahren war, Stein und Bein schwor, er sei dem Bäcker exakt um 13.54 Uhr auf der Straße begegnet, genau zu der Zeit, als der Bankräuber in der Sparkasse gewesen sein musste.

Aber der Bäcker freute sich zu früh über seinen Freispruch. Im Mai 2007 hob der Bundesgerichtshof das Heilbronner Urteil auf, die Sache wurde zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Stuttgart überwiesen. Am Donnerstag fiel nach 26 Verhandlungstagen das Urteil: Lebenslange Haft mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Außerdem muss Bräuchle jedem der beiden überlebenden Opfer 30.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Hahn ging ausführlich auf alle belastenden Indizien ein. Jedes einzelne davon, sagte er, liefere einen mehr oder weniger deutlichen Hinweis, in der Gesamtschau aber sei das Gericht zu der festen Gewissheit der Schuld des Angeklagten gelangt. Dazu hatte auch die ehemalige Verlobte des Bäckermeisters beigetragen.

Im ersten Prozess hatte sie noch die Aussage verweigert; in Stuttgart dagegen berichtete sie, wie ihr Verlobter am Nachmittag nach der Tat, völlig gegen seine Gewohnheit, die Kleider gewechselt und seiner Mutter zum Waschen übergeben habe.

Die Aussage des Bauern, die dem Angeklagten im ersten Prozess den Freispruch eingebracht hatte, hielt das Stuttgarter Gericht hingegen für völlig wertlos: "Der Zeuge", sagte Richter Hahn, "hatte den Willen den Angeklagten zu entlasten." Und gegen die Schuld des Angeklagten spreche auch nicht das Vorurteil, dass der Bäcker "nicht das Psychogramm eines brutalen Mörders" habe. "Wir können das einem Täter nicht ansehen", sagte Richter Hahn.

© SZ vom 11.4.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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