Landgericht Bonn:Angeklagter im Fall Niklas freigesprochen

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  • Walid S., der Angeklagte im Fall Niklas, ist freigesprochen worden.
  • Das Landgericht Bonn konnte nicht zweifelsfrei klären, dass er für den tödlichen Angriff auf den 17-Jährigen verantwortlich ist.
  • Für seine Beteiligung an einer anderen Schlägerei erhält er allerdings eine Jugendstrafe von acht Monaten.

Von Benedikt Peters, Bonn

Der Angeklagte hört das Urteil, ohne eine Miene zu verziehen. "Wir können nicht beweisen, dass er ihn geschlagen hat und dass er am Tatort war", sagt Richter Volker Kunkel. Mit diesen Worten wird Walid S. von dem Vorwurf freigesprochen, den 17-jährigen Schüler Niklas zu Tode geprügelt zu haben.

Das Gericht verurteilt den 21-Jährigen im Zusammenhang mit einer ganz anderen Schlägerei allerdings zu einer Jugendstrafe von acht Monaten. Dabei geht es um eine in dem Prozess mitangeklagte Tat und nicht um die Prügelattacke auf Niklas. Der Fall des Schülers, der bundesweit für Bestürzung gesorgt hat, bleibt damit vorerst ungeklärt.

Als der Prozess im Januar am Landgericht Bonn beginnt, scheint klar zu sein, was sich in der Nacht zum 7. Mai 2016 ereignet hat, als Niklas zu Tode kam. Um kurz nach Mitternacht, so viel ist sicher, ist der Schüler im Bonner Diplomatenviertel Bad Godesberg mit Freunden auf dem Heimweg von einem Konzert. Am sogenannten "Rondell" am Bahnhof treffen sie auf eine Gruppe anderer Jugendlicher.

Es kommt zu einer Auseinandersetzung, zunächst verbal. Dann, auch das ist sicher, schlägt jemand Niklas gegen die Schläfe. Der 17-Jährige geht zu Boden. Später wird sich herausstellen, dass es dieser Schlag ist, der ihn tötet. Die Blutgefäße in seinem Gehirn sind einem rechtsmedizinischen Gutachten zufolge vorgeschädigt. Als er am Boden liegt, tritt noch jemand gegen seinen Kopf. Wenige Tage später stirbt er im Krankenhaus.

Als dringend tatverdächtig nehmen die Ermittler bald Walid S. fest. Die Staatsanwaltschaft geht zunächst davon aus, dass der heute 21-Jährige derjenige ist, der Niklas geschlagen hat. Sie klagt ihn wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung an.

Bei der Hauptverhandlung in Bonn wird dann aber ein Problem immer deutlicher: In 17 Verhandlungstagen gelingt es nicht, zu beweisen, dass der Angeklagte wirklich am Tatort war. Entsprechende DNA-Spuren werden nicht gefunden. Zeugen widersprechen sich, haben Erinnerungslücken, wollen im entscheidenden Moment nicht hingesehen haben. Der Verdacht, dass es Walid S. war, stützt sich am Ende vor allem auf die Aussage eines Freundes von Niklas, der als Einziger den Angeklagten zweifelsfrei erkannt haben will. Unter anderem durch den Vergleich mit Facebook-Bildern.

Doch der Staatsanwalt ist davon überzeugt, dass sich der Freund auch irren könnte. Denn vor Gericht tritt ein Zeuge auf, der auch am Tatort gewesen sein soll - und der dem Angeklagten Walid S. stark ähnelt. In diesem Moment, so sagt es Staatsanwalt Florian Geßler später, gibt es Zweifel. Der Täter könnte auch dieser andere Mann gewesen sein. Daran ändert auch eine Jacke mit Blutspuren von Niklas nichts, die später bei Walid S. gefunden wird.

Die Richter am Landgericht Bonn folgen der Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Während der Verhandlung seien die Zweifel an der Täterschaft des Walid S. nicht kleiner, sondern größer geworden, sagt der Vorsitzende Richter Kunkel. Die Aussage des Freundes von Niklas, der vor Gericht angab, Walid S. als Täter zu erkennen, sei "im Ergebnis nicht belastbar". Zwar sei die Kammer sicher, dass Niklas' Freund "nach bestem Wissen und Gewissen ausgesagt" habe. Bei der Vernehmung durch die Polizei habe er aber den Täter nicht identifizieren können. Zudem habe er sich bei dessen äußeren Merkmalen geirrt. Auch die Wiedererkennung durch einen zweiten Zeugen bewertete die Kammer als nicht überzeugend, da dieser nicht in der Lage gewesen sei, den Täter zu beschreiben und sich auch beim Tatgeschehen geirrt habe. Ebensowenig hätten weitere Zeugenaussagen oder die Auswertung der Mobilfunkdaten des Angeklagten sichere Erkenntnisse liefern können.

In dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten

Walid S. hat die Vorwürfe von Anfang an bestritten. Er gibt sogar an, nicht am Tatort gewesen zu sein. Die Jacke mit den Blutspuren, so sagt er weiter, sei nur über Umwege zu ihm gekommen. Nach der Tat. Die Richter folgen diesem Argument ein Stück weit, indem sie sagen, der Fund der Jacke bei Walid S. beweise nicht dessen Täterschaft.

Die Entscheidung des Landgerichts Bonn an diesem Mittwoch ist keine Überraschung. Staatsanwalt Geßler hatte in der vergangenen Woche in seinem Plädoyer selbst einen Freispruch gefordert. Man könne nicht mit Sicherheit sagen, dass Walid S. wirklich der Täter sei. Damit gelte der Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo", im Zweifel für den Angeklagten. Lediglich wegen einer anderen Körperverletzung, die in dem Prozess nur am Rande eine Rolle spielt, beantragt er ein Jahr Jugendstrafe auf Bewährung.

In seinem Plädoyer äußert der Staatsanwalt außerdem Bedauern darüber, dass der Prozess keine Klarheit gebracht habe. Er könne verstehen, dass es gerade für Niklas' Mutter wichtig sei, zu wissen, wer ihren Sohn getötet hat.

"Durch die Hölle gegangen"

Wie wichtig ihr diese Klarheit ist, wird auch an diesem Mittwoch noch einmal deutlich. Niklas' Mutter tritt in dem Verfahren als Nebenklägerin auf, ihr Anwalt Thomas Düber hält vor der Urteilsverkündung ein langes Plädoyer. Seine Mandantin sei in den vergangenen Monaten "durch die Hölle gegangen", sagt Düber. Das Verfahren habe die "Grenzen des Ertragbaren" für die Hinterbliebenen aufgezeigt.

Dies läge einerseits am Tod ihres Sohnes, erklärt der Anwalt. Andererseits daran, dass weder der Angeklagte Walid S. noch einige Zeugen aus seinem Umfeld etwas zur Aufklärung der Tat beigetragen hätten. Manche von ihnen hätten stattdessen "in sicherer Kenntnis des Täters geschwiegen". "Das ist für jeden aufrecht Denkenden ein Schlag in das Gesicht."

Niklas' Mutter sei weiterhin davon überzeugt, dass Walid S. die Tat begangen habe, etwa, weil sie die Aussage von Niklas' Freund, der den Angeklagten vor Gericht belastet hat, für glaubwürdig hält, erklärt Düber. Sie könne aber dennoch verstehen, dass objektiv gesehen im Verfahren Zweifel daran entstanden sind, dass er der Täter ist. Einen eigenen Antrag stellt die Nebenklage deshalb nicht.

Zudem kritisiert der Anwalt "Ermittlungsdefizite". So seien etwa die Spuren am Rondell erst fünf bis sechs Stunden nach der Tat gesichert worden. Aus Personalmangel habe man außerdem auf eine Nahbereichsfahndung verzichtet. Möglicherweise seien das Gründe für eine Revision.

Die Jugendstrafe, die Walid S. wegen einer anderen Schlägerei kurz vor dem Tod von Niklas erhält, beträgt acht Monate. Das Gericht verhängt sie, weil sie beim Angeklagten "schädliche Neigungen" erkennt. Trotz einer vorangegangenen Verurteilung und eines Anti-Gewalt-Trainings sei S. nach wie vor aggressiv, er habe "eine kurze Zündschnur", sagt Richter Kunkel.

Ins Gefängnis muss S. dennoch nicht, denn wegen des Niklas-Prozesses war er bereits ein knappes Jahr in Untersuchungshaft, er hat seine Strafe abgesessen. Den Gerichtssaal verlässt er als freier Mann.

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