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Die Mode kommt in diesem Jahr von der Straße, wo Frauen für ihre Selbstbestimmung und Würde demonstrieren. Wichtigstes Accessoire 2017: die Strickmütze mit den Katzenohren - Pussy Hat.

Von Tanja Rest

Nichts kommt einer Frau näher als die Kleider, die sie trägt. Wer sollte also besser wissen, wer Frauen heute sind, wie sie sich sehen, was sie bewegt, als die Mode? Ach, denkste. Mal abgesehen davon, dass es immer noch mehrheitlich Männer sind, die Frauen anziehen und damit eine Macht über sie ausüben, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Die Antwort auf die Frage, was Frauen bewegt, hat im Jahr 2017 nicht die Mode gegeben. Sondern die Straße. Genauer: die Straßen von Washington am 21. Januar, beim Women's March.

Es will schon etwas heißen, dass das Accessoire des Jahres, an diesem Tag geboren, keine glamouröse Tasche von Gucci war, kein Stöckelschuh von Balenciaga und auch nicht die soundsovielte Designervariante der Jeans. Sondern eine Mütze, deren Strickanleitung man im Netz herunterladen konnte. Von Washington aus eroberte sie unverzüglich die Welt, eine eher hässliche rosa Angelegenheit mit zwei spitzen Katzenohren, daher der Name. Pussy Hat.

Die Mütze war eine Botschaft an den frisch vereidigten Mann im Weißen Haus, der gesagt hatte, man dürfe Frauen auch an die "Pussy" fassen, wenn man nur ein großer und berühmter Macker sei. Wenn man so will, eroberten sich die Pussy-Hat-Trägerinnen das Recht am eigenen Bild und damit die Macht zurück. Und siehe da, die Mütze saß bald auch auf dem Kopf von Frauen, die sonst Taschen von Gucci und Stöckelschuhe von Balenciaga tragen. Nur war sie inzwischen nicht mehr selbstgestrickt. Sondern von Missoni.

Die Mode nämlich, in ihrem Kern nicht feministisch, aber mit hochsensiblen Antennen ausgestattet, begriff sofort, was die Bilder der marschierenden Frauen in Washington bedeuteten. Und sie beeilte sich, ihnen die passenden Kleider auf den Leib zu schneidern.

Pussy Hats von Missoni also. Und Motto- Shirts bei Prabal Gurung in New York ("The Future is Female"). Noch mehr Motto-Shirts bei Dior in Paris ("Why Have There Been No Great Women Artists?"), und damit es auch wirklich alle kapierten, widmete die Designerin Maria Grazia Chiuri ihre Kollektion gleich noch der feministischen Künstlerin Niki de Saint Phalle. In Mailand versicherte Miuccia Prada, unerschütterlich an der Seite der Frauen zu stehen; nun gut, dort hatte sie schon immer gestanden - aber niemals klang es besser als jetzt. Eine ganze Phalanx von Designern, die durch politisches Engagement zuvor nicht groß aufgefallen waren, twitterte gegen Sexismus und ließ die Welt wissen, dass sie die First Lady Melania Trump auf gar keinen Fall ausstatten würden.

Ist es nicht das Schlimmste, wenn Feminismus zum "Trend" wird und dann endet wie dieser?

Was man kaum für möglich gehalten hatte, im Jahr 2017 geschah es: "Feminismus ist der neueste High-Fashion-Trend", titelte das Online-Magazin Slate. In dem Satz steckte der Zweifel genau betrachtet allerdings schon mit drin.

Kann man sich eine Haltung überstreifen wie ein T-Shirt? Ist es nicht das Schlimmste, was dem Feminismus passieren kann, dass er "Trend" wird und endet wie dieser - eben noch chic, übermorgen schon wieder der Look der letzten Saison? Möglicherweise wäre mehr gewonnen, wenn die besten Modemacher der Welt endlich mehr Kleider entwerfen würden, in denen Frauen nicht verkleidet aussehen, sondern wie sie selbst. "Feministin, aber feminin!": So stand es auf einem Spruchband, das Karl Lagerfeld Gisele Bündchen in die Hand drückte, als er für Chanel seinen ganz eigenen Women's March inszenierte, übrigens schon vor drei Jahren.

Überflüssig zu sagen: Längst nicht jede Kollektion, die 2017 das Banner des Feminismus vor sich hertrug, löste ihr Versprechen ein. Das Bekenntnis zu Frauenrechten und Frauenwürde, es war in vielen Fällen einfach aufgedruckt, nicht eingewoben worden. Und wie zum Beweis, wie es um die Branche tatsächlich bestellt ist, hielt das Jahr noch ein kleines, böses Aperçu bereit.

Ende Oktober schrieb der Vizepräsident des Verlags Condé Nast, zu dem unter anderem die Vogue und Vanity Fair gehören, eine Mail an sein Führungsteam. Der Inhalt war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sickerte aber trotzdem durch. Condé Nast werde nicht weiter mit dem Fotografen Terry Richardson zusammenarbeiten, hieß es da.

Richardson, 52, US-Amerikaner, ist ein hochbezahlter Superstar der Modefotografie, obwohl ihn Vorwürfe der sexuellen Belästigung seit 15 Jahren begleiten. Immer wieder haben Models berichtet, sie seien in seinem Studio erniedrigt und zu sexuellen Handlungen gezwungen worden, er selbst hat nie bestritten, dass er mit einigen von ihnen Sex hatte, es sei aber immer einvernehmlich gewesen. "Ich glaube nicht, dass ich sexsüchtig bin", sagte Richardson 2010 dem Guardian, "aber ich habe Probleme."

Jeder in der Branche, die Designer, die Chefredakteure, die Stylisten, einfach alle wussten, mit wem sie es da zu tun hatten. Sie buchten ihn trotzdem. Nun könnte man sagen: 2017, das Jahr, in dem der Feminismus zum High-Fashion-Trend wurde, erledigte folgerichtig auch Terry Richardson. Man könnte aber auch sagen: Eine Woche nach Bekanntwerden der Harvey-Weinstein-Affäre konnte sich die Mode einen wie Richardson nicht mehr leisten. Sie hat sehr feine Antennen, wie gesagt.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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