Kristina Hani beerdigt:Der Tod und das Mädchen

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Die in einem Koffer verbrannte Kristina Hani ist beerdigt worden - Spurensuche nach einem Leben zwischen Gymnasium und Heroin.

Von Constanze von Bullion

Am Ende bleibt so wenig übrig von diesem viel zu schnellen Leben. Kaum Gewissheit über das, was es angetrieben hat. Keine Spur von denen, die es ausgebremst haben. Nur die Ahnung, dass die Geschichte der Kristina Hani als Lehrstück verstanden wird. Es handelt von einer ungehorsamen Tochter.

"Ey Gott, warum hast du sie uns weggenommen, und warum sind die Täter noch nicht festgenommen?", reimt Sintakk, ein Rapper, dessen Stimme am Mittwoch durch die Aussegnungshalle des Luisenstädtischen Friedhofs in Berlin wummert. Ein trister Ort zum Abschiednehmen ist das, und vermutlich sind hier nur selten so viele Kinder.

Große Mädchen mit Blumen sind gekommen, kleine Jungs mit Frisuren wie Basti Schweinsteiger, Schüler aus allen möglichen Kulturen, die in den Kirchenbänken zusammenrücken und sich aneinander festhalten. Eine von ihnen ist jetzt weg. Eine mit so vielen Freunden. Eine, die keiner gekannt zu haben scheint.

Kristina Hani war 14 Jahre alt und lebte im Berliner Bezirk Neukölln. Am 16. April fanden Jugendliche ihre brennende Leiche im Thomaspark, einem bescheidenen Grünflecken. Irgendjemand hat das Mädchen zusammengefaltet wie einen Mantel, mit einer Decke in einen Koffer gepackt, ins Gebüsch gerollt, mit Benzin übergossen und angesteckt. Kristina Hani stand unter Drogen, als sie starb, sie war "absolut handlungsunfähig" und konnte sich nicht wehren, sagt die Polizei. Und sie hat noch geatmet, als sie brannte. In ihrer Lunge fand man Asche.

Der Mensch hinter der Fassade

Ein Mord ist das, der für Entsetzen sorgt, auch weil er noch immer nicht aufgeklärt ist. Die Polizei weist alle Vorwürfe zurück, sie habe bei der Spurensicherung geschlampt. Im Gegenteil, heißt es, Streifenpolizisten hätten gleich die Flammen erstickt. Mit Schaum aus dem Feuerlöscher des Funkwagens.

Was blieb an Spuren, führte zu Kristina Hani, nicht aber zu ihrem Mörder. Zeugen wollen in der Tatnacht zwei Männer mit einem Rollkoffer gesehen haben. Angeblich "südländischer Typ" und um die 20, angeblich trug einer eine Kappe. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht viel.

Wer war eigentlich diese Kristina Hani? Wem gehörte dieses Kindergesicht, das geschminkt war wie das einer Frau? Sie war hübsch und zart, wog nur 50 Kilo, aber hinter dieser Fassade muss eine gewohnt haben, die sich stärker fühlte.

Jonasstraße in Berlin Neukölln, hier haben der Tod und das Mädchen sich getroffen. In Straßenzügen, die vernachlässigt wirken, aber nicht gefährlich und gar nicht wie die Bronx. Es gibt ein paar Ramschläden, die auf Kundschaft warten, eine Spielhölle, eine Schule und ein paar Vereine, die sich um Verständigung bemühen. Nur, dass eben niemand verstanden zu haben scheint.

Drogen?, fragt ein albanischer Familienvater in dem Neubau, in dem Kristina Hani zuhause war. Von Drogen habe er nichts bemerkt. Kristina war doch so lustig und nett, sie hat den Kindern ihr Spielzeug geschenkt, jeder mochte sie. Manchmal kamen Jungs, erzählt ein kleines Mädchen, es waren viele, Türken oder Araber. Manchmal hat Kristina mit ihnen gestritten. Manchmal kam auch eine von der Jugendhilfe.

Es hat oft gekracht im fünften Stock, und es gab lauten Streit zwischen Kristina Hani und ihrer Mutter. Die ist Altenpflegerin und hat vor ein paar Monaten einen Schmuckladen aufgemacht. Ihrer Tochter war sie wohl nicht mehr gewachsen, sie hat sie mehrmals vermisst gemeldet, weil sie abtauchte, über Nacht bei Freunden blieb. "Von dem Leben ihrer Tochter hatte sie wohl eine etwas andere Vorstellung", sagt der Leiter der Mordkommission, Thomas Scherhandt.

Kristina war anders, sagen die Kinder aus der Straße, sie hat irgendwie alles schneller gemacht und schon in der Grundschule alle Rechenwettbewerbe gewonnen. "Voll gut in allen Fächern", sagen Schülerinnen, die mit ihr aufs Gymnasium gegangen sind. Naja, sagt eine, sie war halt kaum da. Fehlte oft, wurde als Klassensprecherin abgewählt. Es gab drei Schulwechsel in zwei Jahren.

Kristinas Vater ist ein Mann, der gut aussieht, starke Arme hat und Kristinas Bruder bei ihrer Beerdigung so fest hält, als wollte er ihn nie wieder weglassen. Er ist Kroate und hat Berlin und die Familie schon vor Jahren hinter sich gelassen. Kristina soll mit der Scheidung nicht gut klargekommen sein. Vielleicht hat sie sich da woanders angelehnt.

Irgendwann jedenfalls muss aus diesem Mädchen die Frau geworden sein, die ihre Fotos ins Internet gestellt hat, als suchte sie Verehrer. Sie hat da posiert, nicht nackt, aber kokett, und die Polizei hat bei ihr Hunderte von Telefon- und Chatkontakten festgestellt. So viele Freunde hat kein Mensch.

"Schlampen", sagt Mile, er ist 15 und Serbe, jetzt sitzt er mit einem Freund und zündelt im Körnerpark. "Mädchen wie Kristina sind Schlampen, weil sie mit so vielen Jungs rummachen." Ein paar Meter weiter sonnen sich drei Schülerinnen, sie sind etwa so alt wie Kristina. "Man darf kein Kind umbringen", erklärt eine, "aber ein Mädchen darf um halb elf Uhr abends auch nicht mehr raus." Auf dem Sportplatz spielen einige Jungs Fußball. "Grausam", sagt einer und zuckt die Schultern. "Sie war eben drogensüchtig. Vielleicht war's ein Verwandter."

"Selber schuld"

Es gibt viele hier, die schockiert sind von dem Mord - und ihn als Strafe verstehen, als eine Art Ehrenmord an einer, die nicht tugendhaft gelebt hat. Wahrscheinlich hat sie ihre Dealer beklaut, heißt es. Vielleicht hat sie sich für ihre Drogen verkauft. Selber schuld eben.

Es gibt aber noch eine andere Szenerie, die bringt der Leiter der Mordkommission ins Spiel. Womöglich wurde das Mädchen umgebracht, sagt er, weil etwas schiefgegangen ist beim Drogennehmen. Vielleicht saß Kristina bei Dealern in der Wohnung, als sie plötzlich wegsackte. Weil die Bude voll war mit Stoff, wollten die Drogenhändler keinen Notarzt rufen. Also haben sie das Mädchen weggeschafft und versucht, alle Spuren zu verwischen.

"Das ist keine Tat von abgebrühten Profikillern, ich gehe von einer spontanen Tat aus. Junge Leute sehen so was jeden Tag im Fernsehen." Die Mörder, dumme Jungs von nebenan? Und die Droge? Heroin?

Kann schon sein, sagt Benjo, ein freundlicher Punker, der in einem nahen U-Bahnhof für ein paar Groschen eine Tür aufhält. Benjo ist 22, seit drei Jahren auf Heroin, und er kennt viele Dealer, die ihrer jungen Kundschaft regelmäßig "Probezeug" anbieten. Also Heroin, das nichts kostet.

Sie tun das, weil sie selbst keine Drogen nehmen und testen, ob sie das Zeug richtig gestreckt haben. "Wenn's zu stark gestreckt ist, bringt's nichts, und wenn's zu rein ist, kackt man ab", sagt Benjo. Herzstillstand, ist seinem Freund neulich passiert. Er erklärt dann noch, dass nur Anfänger sowas machen. Benjo ist kein Anfänger mehr.

Als Kristina Hani begraben wird, da kommen viele große Kinder, und keines sieht aus, als hätte es mit harten Drogen zu tun. Am Ende verteilen sie rosa Luftballons, fast als hätte jemand Geburtstag. Einer reißt sich los und fliegt schon los. Zu früh, zu schnell und sehr allein.

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