Kriminalität:Graue Zellen

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In Singen am Bodensee gibt es ein Gefängnis nur für Senioren. Dort werden nun die Plätze knapp, weil die Zahl betagter Straftäter steigt.

Bernd Dörries

Winfried J. sagt, in der Freizeit unterhalte man sich so über dieses und jenes. Über die Arbeit, die viele hier noch machen, obwohl sie längst in Rente gehen könnten. Über die Knie, die manchmal nicht mehr so wollen. Den Rücken. Sie sprechen über das Alter und die Pläne, die sie noch haben, wenn die Sache hier vorbei ist.

Die meisten haben noch viele Jahre, andere werden wahrscheinlich erst zum Sterben wieder nach draußen gelassen. Winfried J. ist 62 Jahre alt, trägt eine blaue Latzhose und ein weißes Unterhemd, es ist die Häftlingskleidung der Justizvollzugsanstalt Singen, dem bundesweit einzigen Gefängnis für Senioren.

Die Anstalt liegt nahe der Innenstadt von Singen in einem Viertel, das man durchaus als eine solide Wohngegend bezeichnen kann. Im Hof der Haftanstalt haben die Gefangenen Blumenrabatten angelegt und sitzen auf Bänken in der Sonne. Wenn es ihnen zu heiß wird, gehen sie wieder in ihre Zellen und ziehen den Vorhang zu. Sie können sich innerhalb der Anstalt frei bewegen.

"Kein Paradies für Senioren"

Peter Rennhak legt aber großen Wert auf die Feststellung, dass die JVA Singen kein Paradies für Senioren ist, die hier in aller Ruhe ihren Lebensabend genießen können. Rennhak ist der Anstaltsleiter und länger hier als die meisten Insassen. Er ist 62 Jahre alt und hat fast sein ganzes Leben im Gefängnis verbracht, mit dem Unterschied, dass er abends nach Hause darf.

Deshalb sei das Leben für die Gefangenen hier auch nicht das Paradies. Es gibt immer noch eine hohe Mauer und die Gefangenen werden um 22 Uhr in ihre Zellen eingeschlossen. "Wir sind immer noch ein Gefängnis", sagt er.

Mindestens 63 und männlich

Das Land Baden-Württemberg hat die JVA Singen 1970 eingerichtet. Sie verfügt über 50 Haftplätze und war für männliche Straftäter über sechzig Jahre gedacht. Das Alter wurde in der Folge immer wieder gesenkt, weil sich nicht genügend Straftäter in dieser Altersgruppe fanden. Mittlerweile ist genau das Gegenteil eingetreten, es gibt mehr Verurteilte als Plätze, man muss jetzt 63 Jahre alt sein, um nach Singen zu dürfen.

Peter Rennhak sagt, das liege an der demographischen Entwicklung: So wie die Gesellschaft als ganzes älter werde, so wachse auch das Alter der Straftäter. Alterspezifische Kriminalität könne er aber noch nicht ausmachen. Etwa ein Drittel der Insassen sitzt wegen Körperverletzung, ein Drittel wegen Betrugs und das letzte Drittel wegen Sexualstraftaten. Letztere Gruppe steht in normalen Gefängnissen ganz unten in der Hierarchie, muss mit Gewalt von Mithäftlingen rechnen. In Singen werden sie höchstens gemieden.

Altersgemäßes Umfeld

Peter Rennhak sagt, bei der Einrichtung der Anstalt sei es darum gegangen, den Gefangenen ein altersgemäßes Umfeld zu schaffen. In normalen Gefängnissen seien sie mit jugendlichen Banden und einer mitunter aggressiven Atmosphäre konfrontiert und so isoliert. Für die Resozialisierung sei das nicht gerade förderlich. Hier sind alle in derselben Lebensphase. Haben die selben Probleme. "Sie können sich mit einem jungen Gefangenen schlecht über die Prostata unterhalten", erklärt Rennhak.

Uwe J. sagt, er habe in anderen Haftanstalten Schlimmes erlebt. Schutzgelderpressung und Konflikte zwischen Türken und Albanern. Uwe J. ist 68 Jahre alt und steht an einer kleinen Maschine in der Produktionshalle des Gefängnisses. Er verpackt hier Dübel. Es ist keine sonderlich spannende Arbeit, aber eben eine Abwechslung, die mit etwa zwei Euro die Stunde entlohnt wird. Uwe J. ist hier, weil er Geld brauchte. "Ich war mal ein erfolgreicher Unternehmer und habe mich am Roulettetisch ruiniert."

Um an Bares zu kommen, begann er zu stehlen, Geld und Scheckkarten. Das dritte Mal ist er nun deswegen im Gefängnis, es solle sein letzter Aufenthalt werden. Die Familie, die Enkel hielten noch zu ihm, das mache es einfacher. Wenn er in spätestens einem Jahr wieder draußen ist, will er seine Schwester in Kanada besuchen.

Andere werden länger hier sein. Drei der Insassen verbüßen eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Sie haben wohl keine große Perspektive mehr. "Wir versuchen aber, die Häftlinge nicht hier sterben zu lassen", sagt der Anstaltsleiter.

© SZ vom 18.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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