Kriminalität:Arme Schlucker

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Der Zoll schnappt immer mehr deutsche Drogenkuriere.

Detlef Esslinger

Niemandem steht ins Gesicht geschrieben, ob er ehrlich oder kriminell ist, aber zumindest diese Straftat hatten Fachleute ihnen nicht zugetraut. Karin F. und ihre Schwester Evelin M. stammen aus Seelze bei Hannover, sie haben beide blondes langes Haar, rosa Backen auf einem nach der U-Haft blassen Gesicht und eine etwas dickliche Figur; zwei Frauen vom Land, 24 und 33 Jahre alt.

Auch der Gastwirt Mario E., 34, aus Bad Wildungen in Nordhessen entspricht mit seiner Designerbrille und dem schulterlangen, hinter die Ohren gelegten Haar dem Gegenteil dessen, wie Ermittler sich seinesgleichen vorstellen. Schon allein deshalb, weil er so deutsch aussieht, wie auch die beiden Frauen. Und Deutsche machen so etwas nicht. Weil sie es nicht nötig haben. Aber vielleicht ändert sich daran zurzeit etwas.

Eigentlich perfekt organisiert

Vor dem Landgericht Frankfurt am Main beginnt an diesem Dienstag der Prozess gegen neun Männer und Frauen, deren Kokaingeschäfte eigentlich perfekt organisiert waren. Weil die Fahnder vom Zoll wissen, dass viele Schmuggler das Rauschgift inzwischen in Säckchen im eigenen Magen transportieren, werden die Passagiere von Linienflügen aus der Karibik und Südamerika an den deutschen Flughäfen scharf kontrolliert.

Normalerweise aber fixieren die Beamten vor allem die Lateinamerikaner unter den Ankömmlingen - junge, arme Menschen, die mit nur einem Einsatz als Kurier mehr verdienen, als sie es sich legal jemals erhoffen könnten. Doch nun haben Zollfahndungsamt und Staatsanwaltschaft zwei Banden gesprengt, bei denen unter den Kurieren erstmals Deutsche waren.

36 Männer und Frauen wurden seit März 2005 festgenommen, noch am vergangenen Freitag wurden im Frankfurter Bahnhofsviertel Wohn- und Geschäftsräume durchsucht. 21 Männer und Frauen, überwiegend Kuriere, sind bereits verurteilt. Der jetzige Prozess ist bis Mai terminiert.

Der Staatsanwalt Peter Liebscher erinnert sich noch immer voll des Staunens, das auch den Fachmann gelegentlich überkommt, was eine junge Frau nach der Festnahme ihm berichtete: "Ich hab' die Schule besucht, war 18, und von irgendwas muss der Mensch doch leben. Die Sozialhilfe war zu wenig, also dachte ich, am leichtesten verdienst du Geld auf dem Strich. Aber meine Freundin hat gesagt, es gibt noch etwas Leichteres: Mach' den Drogenkurier." Am Tag vor Prozessbeginn schildert Liebscher zusammen mit den Ermittlern vom Zollfahndungsamt, wie die Bande vorging. Sie buchte ihren Kurieren einen Zwei-Wochen-Urlaub in der Dominikanischen Republik, all inclusive. Nach der Ankunft wurden die Kuriere zur so genannten Schluckerschule gebracht.

Waren sie imstande, eine Karotte oder Pflaume im Ganzen zu schlucken, durften sie anschließend unbehelligt Urlaub machen; falls nicht, wurde geübt. Der Einsatz begann am Tag vor dem Heimflug. Bis zu einem Kilogramm Kokain mussten die Kuriere schlucken, verteilt auf 100 Gummisäckchen zu 8 oder 10 Gramm. Über die Qualität von Kurieren sagte ein Händler später dem Staatsanwalt: "Hast du einen Dunkelhäutigen, ist es russisches Roulette. Hast du einen weißen Deutschen, ist es ein Sechser im Lotto."

Besseren Stoff

Bisher dachten deutsche Zöllner nämlich nicht, dass sich Deutsche für diesen Job hergeben. Im Erfolgsfall lassen sich damit zwar 5000 Euro verdienen, pro Tour. Platzt aber eines der Säckchen, stirbt der Kurier innerhalb von fünf Minuten. Ende 2004 ist dies einem Dominikaner während des Flugs nach Deutschland passiert. Die beiden Frankfurter Banden flogen durch einen Zufall auf.

Der Gastwirt aus Bad Wildungen soll seit längerem mit Koks gehandelt haben. Die Frankfurter versprachen ihm besseren Stoff, sollte er sie künftig als Lieferanten wählen; zum Einstieg aber musste er selber mal den Kurier machen. Das war sein Motiv.

Über die sozial Schwachen hingegen, die es riskieren, sagt ein Zollfahnder: "Sie machen es, weil der Sozialstaat nicht mehr das leistet, wofür er einmal geschaffen wurde." Seit kurzem werden nun auch die Charterflüge aus der Karibik kontrolliert, mit den angeblichen deutschen Urlaubern an Bord.

© SZ vom 1. Februar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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