Kriegsmunition:See, ungeheuer

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SZ-Karte; Quelle: Expertenkreis Munition im Meer (Foto: munitionimmeer)

Auf dem Grund der deutschen Meere schlummert bis heute Kriegsmunition. Experten gehen von 1,6 Millionen Tonnen des gefährlichen Mülls aus. Ein Roboter soll diesen nun aufspüren und unschädlich machen.

Von Thomas Hahn, Kiel

Nach der Pressekonferenz zum Thema Munition im Meer gab es am Dienstag in Kiel noch ein paar Bilder mit Bombe. Robert Habeck, Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister, dessen Wirtschafts-Kollege Reinhard Meyer (SPD) und Peter Herzig, Direktor des Kieler Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung "Geomar", posierten mit einer schwedischen Ankertaumine von 1912, einem bauchigen Kriegsrelikt aus heimischen Gewässern. Die Männer zeigten die Mine, so wie Angler einen stolzen Fang präsentieren. Später schraubte Habeck noch versonnen an einer 1,5-Kilo-Sprenggranate herum. Entschärfte Waffen sind gute Waffen, das war die Botschaft der kleinen Show, die auch direkt zum ernsten Aspekt der Veranstaltung führte: Denn in den deutschen Meeren ruht auch 71 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch viel zu viel Kriegsgerät, das nicht entschärft ist.

Die Experten schätzen, dass in Nord- und Ostsee noch 1,6 Millionen Tonnen Munition liegen

Munition im Meer. Das ist eine versunkene Gefahr, die in ihrer ganzen Tragweite noch gar nicht richtig erfasst ist. Das neue Geomar-Projekt, das Habeck, Meyer und Herzig nun vorstellten, soll die wahre Dimension des Problems erschließen und damit die Vorlage liefern für eine Revolution bei der Entsorgung der Bomben. Schätzungsweise 1,6 Millionen Tonnen Munition liegen auf dem Grund von Nord- und Ostsee. Immer wieder finden Touristen alte Sprengkörper am Strand oder halten Bombenfunde See-Bauarbeiten auf. Und auch wenn keiner Panik schüren will: Das Zeug muss raus aus dem Meer. Wegen der giftigen Sprengstoffe, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen im Dienste von Häfen, Windparks und Tourismus.

Seit Oktober läuft deshalb schon ein anderes Projekt, bei dem ein Entwicklungsverbund aus Industrie und Forschung mit 3,5 Millionen Euro Bundesmitteln einen Roboter bauen will, der die Bomben im Meer ortet und schließlich den Sprengstoff aus deren Stahlkörpern absaugt. Voraussetzung dafür ist Kenntnis über die Auswirkungen der rostenden Munition auf die Umwelt. Um die wiederum geht es beim Geomar-Projekt, in das 1,6 Millionen Euro Bundesmittel fließen: Ein Monitoringsystem ist in Arbeit, das aufzeigen soll, wo die Belastungen durch Blei, Quecksilber oder TNT aus dem Kriegsgerät wie hoch sind. Dabei hilft nicht nur die Technologie, sondern auch die Natur. "Wir nutzen Muscheln als Indikatoren für den Zustand des Meeres", sagt Herzig. In den Weichtieren lassen sich die Giftstoffe messen.

Auf drei Jahre ist das Projekt angelegt. Seine Ergebnisse könnten weitreichende Folgen haben, wenn sich etwa herausstellt, dass Fischgründe zu hoch belastet sind. Umweltminister Habeck glaubt ohnehin, dass sich die Politik aus Angst vor der Wahrheit lange kaum für den explosiven Müll interessiert hat: "Das Problem wurde mit spitzen Fingern oder gar nicht angefasst, weil es so groß ist." Was man nicht weiß, kann man nicht beheben - das ist praktisch und billig. Allerdings macht es die Welt nicht besser, und betroffen vom Problem der Kriegsaltlasten sind tatsächlich alle Meere. Viele Nationen interessieren sich deshalb jetzt für die Kieler Projekte zur Entschärfung der See. Zum Beispiel Italien, wo das versenkte Kriegserbe noch eine andere Gefahr birgt: Mit dem Sprengstoff aus der Tiefe hat die Mafia schon mehrere Anschläge verübt.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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