Krawalle in Kreuzberg:Kleinkriege im Kiez

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Nach einem umstrittenen Polizeieinsatz diskutiert Berlin über die Sicherheit des Wrangelviertels.

Constanze von Bullion

Der Wrangelkiez in Berlin-Kreuzberg ist so ein Stadtteil, der die Phantasie anregt. Vor allen die von Menschen, die nicht dort leben.

Warten, dass der Tag rumgeht: Jugendliche in Berlin-Kreuzberg. (Foto: Foto: ddp)

Die Mietshäuser des Viertels sind wenig vornehm und auf den Straßen liegt öfters Müll, der Gemüseladen gehört Türken, der Apotheker spricht arabisch, den Bioladen betreiben Schwaben und an den Straßenecken stehen meistens ein paar junge Leute, die nicht allzu gut deutsch sprechen und abwarten, dass der Tag vorübergeht.

Ein Ghetto, ein Rattenloch, eine Brutstätte des Verbrechens haben besorgte Politiker den Wrangelkiez schon vor Jahren genannt - und bei den Anwohnern für Belustigung gesorgt.

"Abziehen" als Freizeitbeschäftigung

Denn die Lebenswirklichkeit im Viertel ist meist so unspektakulär, dass manche sich fast zu freuen scheinen, wenn es endlich mal kracht. So geschehen diese Woche, als zwei zwölfjährige Jungs einen 15-Jährigen im Wrangelkiez "abziehen" wollten.

Abziehen, das hieß in diesem Fall einen MP3-Player klauen. Die Polizei griff ein und war offenbar binnen Minuten von überwiegend türkisch- und arabischstämmgien Anwohnern umringt.

"Eine Ansammlung von 80 bis 100 Jugendlichen ging massiv gegen Polizeibeamte vor", hieß es zunächst bei der Polizei. Die Beamten seien angegriffen und verletzt worden. Ein 23-Jähriger habe versucht, die Festgenommenen aus dem Funkwagen zu befreien und durch Tritte ihren Abtransport zu verhindern.

Die Geschichte von der Randale im Wrangelkiez hat Wellen geschlagen in Berlin, wo die Öffentlichkeit zunehmend gereizt auf Gepöbel auf den Straßen reagiert. Schon war von "Massenattacken" auf die Polizei die Rede, die Gewerkschaft der Polizei warnte vor "polizeifreien Zonen", also No-Go-Areas für Sicherheitskräfte.

Vorwürfe gegen die Polizei

Bis ein gewisser Mehmet S. sich zu Wort meldete: mit verschwollenem Gesicht, sichtlich vom Kampf gezeichnet und in Halskrause gab er Reportern zu Protokoll, die Polizei sei unverhältnismäßig hart gegen die beiden Zwölfjährigen vorgegangen und habe sie wie Terroristen in Handschellen an die Wand gedrückt. Als er nachgefragt habe, ob das sein müsse, hätten sie geantwortet, er solle sich zurück in seine Heimat scheren, dann habe man ihn im Polizeiauto geschlagen.

Nun könnte man annehmen, dass sich da einer hinter fragwürdigen Schutzbehauptungen verschanzt - wäre Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch nicht vorsichtig zurückgerudert.

Nicht 100 Jugendliche hätten die Polizei angegriffen, heißt es nun, sondern "einige wenige". Gegen die Beamten, die sich rassistisch geäußert haben sollen, hat das LKA ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, auch wegen des Verdachts der Körperverletzung.

Dass es an Respekt fehlt, und zwar auf beiden Seiten, beklagen nun Quartiersmanager und Politiker, die sich seit Jahren und keineswegs nur erfolglos versuchen, im Wrangelkiez, wo 30 Prozent ohne Arbeit sind und ein großer Teil der nicht-deutschen Jugendlichen ohne Lehrstelle, miteinander in Gespräch zu kommen.

Auch die Polizei bemüht sich nun, die Wogen zu glätten. Nicht zuletzt, weil man weiß, dass die Legende vom bösen Staat, der seine ungeliebten Zuwanderer nicht schützt, solche Konflikte kräftig befeuert. So starb vor einem Jahr hier ein türkischer Lottohändler bei einem Brand. Die Feuerwehr konnte ihn nicht retten, weil die Tür verriegelt war, seither geht die Fama, man habe ihn nicht retten wollen, weil er ja nur ein Türke war.

Solchen Mythen ist es wohl auch zu verdanken, dass es diesen Oktober im gleichen Viertel zum Handgemenge mit der Feuerwehr kam. Anwohner behinderten die Rettungskräfte bei einem Wohnungsbrand und behaupteten, es würde nicht schnell genug gelöscht - mal wieder. Die Polizei musste massive Verstärkung anfordern, um aufgebrachte Nachbarn zurückzudrängen.

Vermummt in den Unterricht

Und die Liste lässt sich noch verlängern. Diesen Donnerstag, während die Stadt noch darüber stritt, was eigentlich passiert war bei der Festnahme der beiden Zwölfjährigen, stürmten türkischstämmige Jugendliche mit Skimützen vermummt in den Physikunterricht einer Hauptschule an der Wrangelstraße.

Sie fuchtelten mit Besenstielen, jagten einen Schüler ins Nebenzimmer und stachen ihm mit dem Messer ins Gesäß. Warum, weiß keiner. Geholfen hat auch keiner. Die Täter entkamen unerkannt.

Wer nun glaubt, der Wrangelkiez sei eben doch der übelste Moloch von Berlin, der irrt sich. Der Polizeipräsident warnte am Freitag vor Verallgemeinerung und erklärte, es gebe keine polizeifreien Räume in der Stadt.

Auch Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz nahm das Viertel in Schutz, in dem er seit 15 Jahren wohnt. Er kenne viel schlimmere, stagnierendere Bezirke. Er hatte das kaum gesagt, da wurde bekannt, dass eine wütende Menge im Bezirk Tiergarten die Bergung eines fünfjährigen, türkischen Unfallopfers behinderte. Der Unfallfahrer, auch er ein Türke, musste vor dem Volkszorn in eine Polizeiwache flüchten.

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