Wirtschaftswachstum:Gemeindetagspräsident: Politik muss Prioritäten setzen

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Energiekrise, Corona, Flüchtlinge, Digitalisierung und Klimawandel: Gemeinden, Städte und Landkreise im Südwesten stehen vor vielen Herausforderungen. Beim Kommunalforum des Sparkassenverbandes ging es darum, wie die Politik damit umgeht und was das für Bürger bedeutet.

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Baden-Baden (dpa/lsw) - In Zeiten von Krieg und Krisen muss die Politik aus Sicht des baden-württembergischen Gemeindetagspräsidenten Steffen Jäger das Vertrauen der Menschen in den Staat und seine Institutionen stabilisieren. „Gerade in einer solchen Vielfach-Krise ist das Vertrauen der Bevölkerung in das politische Handeln des Staates von besonderer Bedeutung“, sagte Jäger laut Verband am Mittwoch beim Kommunalforum des Sparkassenverbands Baden-Württemberg in Baden-Baden. „Vertrauen wird dadurch begründet, dass der Staat liefert, was er zusagt“, sagte Jäger und betonte: „Bei ehrlicher Betrachtung müssen wir feststellen, dass die Summe der politischen Versprechen und Zusagen in der Summe nicht mehr erfüllbar ist.“

Jäger verwies auf den „BaWü-Check“, den das Institut für Demoskopie Allensbach regelmäßig im Auftrag der Tageszeitungen im Südwesten durchführt: Nach den jüngsten Ergebnissen aus dem August sieht nur ein Fünftel der Menschen im Land den kommenden zwölf Monaten mit Hoffnungen entgegen - so wenige wie bei keinem „BaWü-Check“ zuvor. Knapp jeder Dritte blicke mit ausgeprägten Befürchtungen auf die nächsten Monate, ebenso viele mit Skepsis, machte Jäger deutlich.

„Deutschland erlebt eine Vielzahl von Krisen in einem Ausmaß, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht hatten und nicht erleben mussten“, sagte der Gemeindetagspräsident. So forderten zum Beispiel die Gewährleistung der Energiesicherheit, die Aufnahme von mehr als 130.000 geflüchteten Menschen, die soziale Bewältigung der Inflation, die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland und die Klimakrise den Staat „bis an die Grenzen des Leistbaren“, sagte Jäger.

Ohne Prioritätensetzung, ohne klare Fokussierung auf das Wesentliche werde das nicht gelingen. „Die vielzitierte Zeitenwende hat die Welt verändert“, sagte er. „Wir brauchen eine Schwerpunktsetzung auf die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.“

Der Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, Peter Schneider, warnte derweil, die Gleichung „höhere Schulden gleich höheres Wachstum und Wohlstand“ gehe nicht auf. Lieferkettenprobleme, Energieknappheit und explodierende Preise nach Corona und durch den Krieg, aber auch Dauerbrenner wie Digitalisierung, Klimawandel und Demografie träfen vor allem die kommunale Ebene. „Denn Kommunen sind immer am nächsten dran“, sagte Schneider laut Redemanuskript vor Hunderten Kommunalvertretern. „Für Sie in den Kommunen sind es Herausforderungen mit einer immensen Sprengkraft vor Ort.“ Städte, Gemeinden und Kreise müssten etwa den existenziellen Betrieb von Kliniken, Pflegeheimen, Schulen und Kitas gewährleisten.

„Leichter hat es die Kommune, die möglichst geringe Schulden hat, denn dann besteht jetzt eine höhere Handlungsfähigkeit“, sagte Schneider. Da seien die Kommunen in Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Ländern ganz gut aufgestellt. „Zumal der Erhalt von Schuldentragfähigkeit ein wichtiger Teil nachhaltigen Handelns ist.“

Ein großes Manko sieht Schneider bei der Digitalisierung: „Wir reden in Deutschland viel über Digitalisierung, über autonomes Fahren und künstliche Intelligenz. Wir haben aber immer noch die gleichen Funklöcher wie vor 20 Jahren.“ Hier gebe es noch viel Luft nach oben.

Infolge von Energiekrise und Inflation könnten viele Menschen kein Geld mehr beiseitelegen. „Über 40 Prozent der Haushalte sind jetzt schon nicht mehr sparfähig - mit stark steigender Tendenz“, betonte der Präsident. „In der Breite erodiert die Sparfähigkeit angesichts nie dagewesener Inflationsraten von inzwischen zehn Prozent in der Bundesrepublik.“ Die Nachfrage nach privaten Immobilienkrediten habe in den letzten Monaten merklich nachgelassen und sei in den vergangenen Tagen teilweise fast zum Stillstand gekommen.

„Wir stehen nicht nur mit einem, sondern bereits mit beiden Beinen in einer Rezession“, sagte Schneider und verwies auf eine Prognose der Landesbank Baden-Württemberg, nach der das Bruttoinlandsprodukt im Südwesten in diesem Jahr noch um 0,9 Prozent wachsen soll, im kommenden Jahr aber um 1,9 Prozent schrumpfen. Das Minus wäre damit deutlich größer als deutschlandweit (0,9 Prozent).

„Der Mittelstand wie Großunternehmen, aber auch die Stadtwerke, jedes Unternehmen, das auf Energie angewiesen ist, ist betroffen“, machte er deutlich. Gleiches gelte für den Handel über den Konsum. „Und wir müssen uns darauf einstellen, dass wir wohl noch weit tiefer fallen können“, so Schneider. „Entscheidend wird sein, wie lange das geht.“

© dpa-infocom, dpa:221005-99-11559/3

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