Köln:Staatsanwalt ermittelt nach ICE-Unfall

Lesezeit: 2 min

Nach dem ICE-Unglück in Köln hat die dortige Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Insgesamt sechs Zeugen berichten von ungewöhnlichen Geräuschen vor dem Unfall, fünf von ihnen informierten das Zugpersonal - und wurden zunächst ignoriert.

Hans Leyendecker und Daniela Kuhr, Köln und Berlin

Nach dem ICE-Unfall in Köln vom Mittwoch hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Gefährdung des Bahnverkehrs aufgenommen. Die Bahn rief am Freitag 61 ICE-Züge in die Werkstätten, nur sechs, die erst kürzlich überprüft worden waren, fuhren weiter. Für Zehntausende Reisende kam es zu Verspätungen. Auch in den nächsten Tagen ist mit Behinderungen zu rechnen.

Entgleister ICE in Köln: "Klappergeräusche" und eine Notbremsung (Foto: Foto: dpa)

Die Kölner Staatsanwaltschaft leitete die Ermittlungen gegen noch unbekannte Mitarbeiter der Bahn ein. Den Strafverfolgern liegen insgesamt sechs Zeugenaussagen von Reisenden vor. Fünf von ihnen hatten angeblich am Mittwochnachmittag das Zugpersonal des ICE 518, der auf der Fahrt von München nach Dortmund war, kurz nach dem Verlassen des Bahnhofs Frankfurt-Flughafen auf "Klappergeräusche" aufmerksam gemacht.

Die Reisenden saßen in Wagen 23, der später verunglückte. Sie hatten sich gleich nach dem Unfall in Köln bei der Bundespolizei gemeldet. Nach ihren Darstellungen soll ein Zugbegleiter ihnen gesagt haben, die Geräusche seien "normal". Der Zug fuhr dann auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Köln und erreichte Geschwindigkeiten von mehr als 300 Stundenkilometern.

Ein sechster Zeuge hat sich erst später bei der Polizei gemeldet. Er war in Siegburg ausgestiegen und hatte den Zugbegleiter auf die Geräusche aufmerksam gemacht. Seine Warnung wurde offenkundig ernst genommen.

Wie aus Bahn-Kreisen verlautete, hat das Zugpersonal auf der Fahrt nach Köln dann nach der Ursache der Geräusche gesucht. Bei der Ausfahrt aus dem Kölner Hauptbahnhof zog dann ein Zugbegleiter kurz vor dem Einschwenken auf die Hohenzollernbrücke die Notbremse. Wagen 23 sprang aus den Schienen, die Radsatzwelle war defekt.

Behinderungen für Zehntausende Reisende

Die Staatsanwaltschaft will jetzt weitere Zeugen vernehmen und einen Gutachter damit beauftragen, den Unfallhergang zu rekonstruieren. Für die weiteren Ermittlungen wird entscheidend sein, ob die Geräusche typisch oder untypisch für Probleme mit der Radsatzwelle des Zuges waren. Nach Angaben der Bahn hat es einen solchen Unfall bislang noch nicht gegeben.

Vor zehn Jahren sind durch den Bruch eines Radreifens nahe Eschede 101 Reisende ums Leben gekommen. Knapp zwei Minuten vor dem Unglück war ein Zugbegleiter von einem Passagier auf merkwürdige Geräusche angesprochen worden. Ein Gutachter hat ihn später von dem Vorwurf befreit, er habe nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen.

Für Zehntausende Reisende kam es am Freitag zu Behinderungen. Auch am Wochenende sei noch mit Verspätungen und Ausfällen zu rechnen, sagte eine Sprecherin der Bahn. "Erst am Montag werden wieder so gut wie alle Verbindungen regulär fahren." Der Ausfall trifft die Bahn mitten in der Hauptreisezeit; in fünf Bundesländern beginnen an diesem Wochenende die Sommerferien.

Die Überprüfung eines einzigen Zuges dauert laut Bahn etwa acht Stunden. Der ICE 3 ist seit dem Jahr 2000 in Betrieb. Bislang habe es noch nie Probleme mit den Radsätzen gegeben, so die Bahn. Der Hersteller des Zuges, der Siemens-Konzern, schickte ein Krisenteam nach Köln, um die Ursache für den Bruch der Achse zu finden. Siemens hat mehr als 60 Züge des Typs ICE 3 in seinem Krefelder Werk gebaut. Derzeit hat der Konzern Großaufträge für eine Weiterentwicklung des Zuges aus China, Russland und Spanien vorliegen. Siemens will angeblich prüfen, ob die Panne auch Auswirkungen auf die neuen Züge habe, hieß es in Branchenkreisen.

© SZ vom 12.07.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: