Klagen gegen Tabakkonzerne:Die Folgen der Spätfolgen

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In den USA drohen den Tabakkonzernen Millionenklagen von 8000 Familien, die Angehörige durch Lungenkrebs verloren haben.

Christian Wernicke

Der Fall kann sich noch 350 Mal wiederholen. Mindestens. Denn allein Jeffrey Streitfeld - jener so asketisch dreinschauende Richter, den sie in Fort Lauderdale längst nur noch "Tobacco Judge" rufen - hat noch 350 Dossiers zwischen Aktendeckeln in seinem Büro liegen, die exakt demselben Muster folgen wie der Fall Hess: Nachfahren und Angehörige von oft schon vor Jahren an Lungenkrebs gestorbenen Rauchern ziehen vor Richter Streitfelds Stuhl, werfen der Zigarettenindustrie widerrechtliche Tötung vor und verlangen Entschädigung und Strafen in Millionenhöhe.

Führten gerade einen Musterprozess: Elaine Hess und ihr Anwalt. (Foto: Foto: AP)

Elaine Hess, die Witwe des vor knapp zwölf Jahren verstorbenen Kettenrauchers Stuart Hess, statuierte das Exempel: Ihr und ihrem Sohn David wurden Mitte vergangener Woche acht Millionen Dollar zugesprochen. Beide erklärten hernach unter Tränen, ihr Sieg möge "all den Tausenden Familien helfen, die so leiden wie wir".

Nicht nur in Fort Lauderdale, in ganz Florida ziehen Hinterbliebene von verstorbenen Nikotinsüchtigen vor den Kadi. Bis zu 8000 Prozesse drohen den Tabakkonzernen. So viele Familien hatten im US-Sonnenstaat vor 15 Jahren jenes spektakuläre Verfahren begonnen, in dem die Zigaretten-Hersteller im Jahr 2000 zur weltweiten Rekordsumme von 145 Milliarden Dollar Schadensersatz verdonnert wurden. Zwar annullierte Floridas Oberster Gerichtshof 2006 das Sammelurteil - aber die Richter ließen ausdrücklich zu, dass die 8000 Familien einzeln ihre Rechtsansprüche verfolgen.

Das tun sie jetzt, und Elaine und David Hess machten den Anfang: 40 Jahre lang, so erzählten sie im Gerichtsaal, habe Stuart Hess geraucht. Jeden Tag, von 15 bis 55, habe der brave Schlosser und Familienvater seine zwei Packungen "Benson & Hedges" benötigt. Aufgeben konnte er nicht, weder mit Akupunktur noch mit Nikotinkaugummi. Auch 1997, während der Chemotherapie, habe Hess weiter qualmen müssen.

Schuld sei Philip Morris, der Hersteller von B&H: Der Konzern habe die gefährlichen Folgen des Rauchens jahrelang vertuscht und die Sucht des Familienvaters mit diversen Zusatzstoffen im Tabak nur potenziert. Nach neun Stunden Beratung sahen das auch die sechs Geschworenen so. Genau genommen sprach die Jury den Tabakkonzern nur zu 42 Prozent schuldig, 58 Prozent der Schuld treffe Hess selbst. Doch weil Philip Morris "absichtlich und rücksichtslos" tödliche Informationen unterschlagen habe, treffe den Konzern letztlich die ganze Schuld. Also soll das Unternehmen nun fünf Millionen Dollar Strafgeld sowie zwei Millionen Dollar Entschädigung an die Witwe sowie eine Million an den Sohn bezahlen.

Damit blieb das Gericht zwar massiv unter den ursprünglichen Ansprüchen der Hess-Familie in Höhe von 131 Millionen. Dennoch, Philip Morris ficht das Urteil an: Kein Strafgeld, und maximal 42 Prozent der Schuld, also bestenfalls 1,26 Millionen Dollar Schmerzensgeld. Notfalls will das Unternehmen bis vor den U.S. Supreme Court ziehen.

Dort kämpfen die Konzernanwälte bereits gegen einen anderen Sucht-Schuldspruch aus dem US-Bundesstaat Oregon, diesmal geht es um 79,5 Millionen Dollar. Am Freitag ereilten den Tabakkonzern zwei weitere Rückschläge. Sein Heimatstaat Virginia, vor 400 Jahren von den ersten englischen Siedlern gleichsam auf Tabak gegründet, verfügte ein Rauchverbot in Bars und Restaurants. Und in Fort Lauderdale suchte "Judge Tobacco" alias Jeffrey Streitfeld sich gerade neue Geschworene. Für den nächsten Prozess.

© SZ vom 23.02.2009/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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