Kirche:Wieder vereinigt

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Der Papst empfängt Martin Luther. Allein das ist spektakulär. Und dann ist da noch die Frage: Hat Franziskus dem Reformator tatsächlich zugezwinkert? (Foto: Giorgio Onorati/dpa)

Was führt fast 1000 Pilger aus Sachsen-Anhalt, dem Kernland der Reformation, zum Papst in den Vatikan? Sie haben ihm jemanden mitgebracht.

Von Matthias Drobinski, Rom

Streng guckt er, der Herr Doktor. Seinem Gegenüber hält er die Bibel entgegen: Lies! Martin Luther hat es geschafft. Keine fünf Meter vom Papst entfernt steht er nun, in der Audienzhalle im Vatikan, im Zentrum der Papstbegeisterung, und kein Schweizergardist schmeißt ihn raus. Hat der Papst ihm zugezwinkert? Schwer zu erkennen. Ist jetzt ja auch ein bisschen spät, die Geschichte neu schreiben zu wollen, 499 Jahre nach dem legendären Thesenanschlag in Wittenberg, der als Beginn der Reformation gilt. Martin Luther ist heute eine hüfthohe, purpurfarbene Plastik-Statue. Und der Papst heißt nicht mehr Leo, sondern Franziskus.

Zwei Dutzend Busse, 1000 evangelische und katholische Pilger, ein Ziel

Vorn, in der ersten Reihe, sitzt Helene Heidt aus Magdeburg; zur Feier des Tages hat sie die weiße Bluse angezogen, ihr blondes Haar wallt über die Schulter, gar nicht so einfach hinzukriegen auf dem Campingplatz. Sie ist auch als Evangelische aufgeregt, mit 15 Jahren sowieso. Gestern ist das Los auf sie gefallen, sie soll vorne in der ersten Reihe sitzen, wohin manchmal der Papst die Stufen hinuntersteigt, um Hände zu schütteln. Schon komisch, erzählt sie. Ihre Eltern interessieren sich nicht sehr für Religion, sie ist über eine Freundin zur Jungen Gemeinde am Magdeburger Dom gekommen und fand es gut dort. Als es hieß, dass es nach Rom geht, ist sie mit. Und jetzt das. Sie hat gleich zu Hause angerufen und gefragt, wie man das macht, dem Papst die Hand schütteln. "Woher soll ich das wissen?", hat der Vater geantwortet.

Mit Luther zum Papst. Zwei Dutzend Busse haben fast 1000 Pilger aus Sachsen-Anhalt, dem Kernland der Reformation, nach Rom gebracht. Katholiken wie Protestanten, die Hälfte unter 30 Jahre alt, was ein kleines Wunder ist, wenn man bedenkt, dass in Sachsen-Anhalt keine 20 Prozent Christen leben, dass die Kirchen hier sehr bescheidene Etats verwalten. Nicht ganz so wunderbar ist das Wetter - ausgerechnet am Tag der Papstaudienz pfeift ein fieser kalter Wind höhnisch auf die Vorhersage der Wetter-App, die Sonnenschein prophezeit hatte.

Aber warum soll es den Pilgern 2016 besser gehen als Martin Luther im Jahr 1510? Der kämpfte sich durch Novembersturm und Dezemberschnee, damals noch ein Augustinermönch, der Streit innerhalb des Ordens in Rom klären lassen wollte. Beim Anblick der Ewigen Stadt kniete er ergriffen nieder, besuchte die sieben Hauptkirchen Roms samt ihrer Reliquien und sammelte eifrig Ablässe. Erst im Rückblick kritisierte er: "Wer nach Rom kam und brachte Geld, der kriegte Vergebung der Sünden. Ich, als ein Narr, trug auch Zwiebeln nach Rom und brachte Knoblauch wieder" - was damals als schlechtes Geschäft galt.

Warum nicht Luthers Reise wiederholen? Ausgerechnet der katholische Jugendseelsorger des Bistums Magdeburg hatte die Idee. Christoph Tekaath saß vor drei Jahren mit seinen evangelischen Jugendarbeits-Kollegen der Region zusammen, man wollte was gemeinsam zum Reformationsjahr machen, spannend und doch anspruchsvoll. Hürden gab es viele, finanzielle, organisatorische, auch mentale: "Es gab durchaus Katholiken, die sagten: Ah, Rom, schön - aber warum mit Luther? Und Protestanten, die sagten: Ah, Luther, natürlich - aber warum nach Rom?" Doch die Idee war zu gut, um zu scheitern. Annette Schavan, die Botschafterin beim Heiligen Stuhl, wurde Schirmherrin, immer mehr Türen öffneten sich - und dann, unverhofft, sagte Franziskus eine Privataudienz für die Pilger zu. Die Idee muss auch ihm gefallen haben.

Und so sind sie im großen Pulk Luthers Pilgerweg nachgegangen, ein bisschen verändert, zum Beispiel über den Martin-Luther-Platz in Rom, den es nun nach langen Debatten gibt. Sie haben mit Kardinal Koch gesungen und gebetet, dem Ökumene-Minister des Papstes, und der gestrenge Kardinal hat seinen Bischofsstuhl vom Podest heruntergehoben, dass er auf gleicher Höhe sitze wie die anderen. Sie haben sich vorm Kolosseum die Beine in den Bauch gestanden, abends Taizé-Lieder gesungen oder über Vorurteile diskutiert, gegenüber der anderen Konfession, Fremden, Flüchtlingen. Wer mit Luther zum Papst fährt, gehört zu den Menschen im Osten, denen "Ausländer raus"-Parolen ein Gräuel sind. "Da sind wir als Christen gefragt," sagt Tekaath, "wenn wir uns da zuerst als Katholiken oder Protestanten definieren, nimmt uns keiner hier ernst."

Nun also das Date mit dem Papst. Die Pilger haben eine Weltkugel mitgebracht, es soll ja die Welt gerettet werden, und eigene Thesen, die zusammengefasst sagen: Wenn die Christen eine gemeinsame Taufe haben, warum gehen dann die Kirchen nicht mutiger aufeinander zu? "Stimmt es, dass Katholiken und Protestanten einander nicht heiraten sollten?" fragt Helene Heidt, die Schülerin aus Magdeburg. Welch eine fremde Zeit das war.

Der Papst ist fast 65 Jahre älter als Helene aus Magdeburg - "aber er bewegt mich"

Dann ist er da, der Papst. Er wirkt unkonzentriert, nuschelt. Die ersten schlafmangelschweren Köpfe sinken nach unten. Vier junge Frauen und ein junger Mann können nun Fragen vortragen. Wie ist das, wenn die Freunde keine Christen sind: Muss man die missionieren? Was sagt er, wenn Leute das Abendland retten wollen, indem sie Flüchtlinge abweisen? Wie geht es weiter mit der Ökumene? Da nun hört Franziskus zu, macht sich Notizen. Die Freunde bedrängen sei "das letzte, was du tun sollst", sagt er; gezielte Abwerbungen seien "das größte Gift gegen die Ökumene". Nächste Antwort: "Es ist ein Widerspruch, wenn man das Christentum im Westen verteidigen will, aber gegen Flüchtlinge und andere Religionen ist." Man könne nicht "Christ sein, ohne als Christ zu leben", das sei Heuchelei. Und dann hat der Papst eine Frage: "Wer ist besser: Katholiken oder Protestanten?" Lachen. Die Antwort gibt er auf Deutsch: "Besser sind alle zusammen."

Beeindruckend, sagt Helene Heidt, da ist ein Mann, Katholik, fast 65 Jahre älter als sie, "und er redet so, dass es mich bewegt." Am Ausgang gibt es einen Papst-Schlüsselanhänger. Helene und ihre Freundinnen haben es eilig. Der Papst ist großartig. Aber Shoppen in Rom ist auch nicht zu verachten.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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