Kindesmissbrauch:"Ich habe mir gewünscht, ich wäre tot"

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Pädophile müssen nicht männlich sein. Immer wieder stehen Mütter und Frauen vor Gericht, die Kinder missbraucht haben. Ihre Opfer leiden ein Leben lang.

Britta Schultejans

"Je mehr ich weinte, desto schlimmer wurde es. Wir hatten eine Rosen-Tapete und ich habe immer nur auf die Rosen gestarrt und mir gewünscht, ich wäre tot. Wie kann eine Mutter, die dich auf die Welt gebracht hat, dir nur solche Dinge antun?" - Susannah Faithfull war noch ganz klein, als ihre eigene Mutter begann, sie sexuell zu missbrauchen. Der Vater hatte die Familie gerade verlassen.

Bis sie mit 16 von Zuhause auszog, wurde sie von ihrer Mutter gezwungen, mit ihr das Schlafzimmer und das Bett zu teilen. In einem Radiointerview mit dem britischen Sender BBC erinnert sich die heute 54-Jährige an ihr unfassbares Schicksal, mit dem sie nicht allein ist. "Ich habe mich immer in einem Schrank unter der Treppe versteckt", sagt sie. "Wenn Mama von der Arbeit nach Hause kam, rief sie sofort nach mir." Als sie ihrem Vater von den Übergriffen erzählte, glaubte er ihr nicht.

Ein Gerichtsverfahren gegen zwei pädophile Frauen, die Kinder über lange Zeiträume missbraucht haben, hat in Großbritannien eine Diskussion um weibliche Kinderschänder ausgelöst. Schätzungen der britischen Kinderschutzorganisation Lucy Faithful Foundation (LFF) gehen von bis zu 64.000 weiblichen Pädophilen im Vereinten Königreich aus - jeder fünfte Kinderschänder wäre damit eine Frau. Auch in einschlägigen Chatrooms sind nach LFF-Angaben immer mehr Frauen zu finden.

"Einige der bösesten Handlungen"

Der Fall der 39-jährigen Vanessa George, einer pädophilen Kindergärtnerin aus dem südenglischen Plymouth, hat in ganz Großbritannien Abscheu und Entsetzen ausgelöst. In "Little Ted's Day Care Centre" missbrauchte die verheiratete Mutter von zwei Töchtern im Teenager-Alter mindestens sieben der 60 Kinder, die ihr anvertraut waren. Einige von ihnen waren gerade ein Jahr alt. Davon machte sie Fotos, die sie an einen Geschäftsmann aus Manchester schickte - und an Angela Allen, eine alleinerziehende Mutter aus Nottingham.

Die drei hatten sich über die Internetplattform Facebook kennengelernt und Tausende Nachrichten über ihre perversen Phantasien und Bilder, die alle drei beim Sex mit Kindern zeigten, ausgetauscht. Die Polizei sprach von "einigen der bösesten Handlungen, die man sich vorstellen kann". Unter anderem sollen sie auch geplant haben, gemeinsam ein Kind zu entführen. Jetzt stehen sie gemeinsam in Bristol vor Gericht, alle drei haben den Missbrauch gestanden. Das Urteil soll im November fallen

Während Meldungen über den Missbrauch von Männern an Kindern - selbst wenn es die eigenen sind - zum traurigen Alltag gehören, löst der Fall dieser pädophilien Frauen Abscheu und Entsetzen aus.

Dabei gibt es viel mehr Frauen, die Kinder missbrauchen, als gemeinhin angenommen - auch in Deutschland. 2007 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 277 Frauen wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt, 39 wurden deswegen verurteilt. Wie aus der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (BKA) hervorgeht, waren 7,1 Prozent der Täter, die Schutzbefohlene missbrauchten, Frauen. Bei sexuellem Missbrauch von Kindern lag die "Frauenquote" bei 3,9 Prozent, beim Besitz von Kinderpornos bei 6,8 Prozent. Die Dunkelziffer, da sind Experten sich einig, liegt weitaus höher.

"Es gibt mit Sicherheit ein großes Dunkelfeld", sagt der Kriminalpsychologe Adolf Gallwitz von der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen. "Es ist ein Tabuthema und keine Kriminalität, die häufig angezeigt wird." Außerdem werde Sexualität zwischen Frauen und Kindern in der Gesellschaft anders gesehen. "Es ist kein Problem, wenn eine Mutter mit ihrem 13-jährigen Sohn das Schlafzimmer teilt. Würde ein Vater das mit seiner Tochter tun, wäre das schon mehr als nur ein Anfangsverdacht."

"Ich habe es nicht zu meiner Befriedigung getan"

Missbraucht eine Frau ein Kind, bleibt das oft lange unentdeckt - wenn es überhaupt einmal ans Tageslicht kommt. Im September gestand eine 62 Jahre alte Frau vor dem Stuttgarter Landgericht, ihren vierjährigen Enkel über Jahre sexuell missbraucht zu haben. "Ich habe das nicht zu meiner Befriedigung getan", verteidigte sich die Großmutter in dem bizarr anmutenden Fall. Die Aktivitäten seien von dem Kind ausgegangen. Schließlich habe der Junge sie aufgefordert, sich auszuziehen.

"Ich glaubte damals, dass er seine Eltern einmal beim Sex beobachtet hatte und damit nicht klargekommen ist. Er wollte es wohl nachspielen, um das besser verarbeiten zu können." Erst nach langem Zögern hatten die Eltern des Jungen die Großmutter angezeigt. Ihr Sohn hatte ihnen erzählt, was passierte, wenn er sonntags bei Oma war.

In Augsburg wurde im vergangenen Jahr eine Mutter verurteilt, weil sie gemeinsam mit ihrer elfjährigen Tochter einen Pornofilm angesehen hatte. In Hamburg wurde eine 34-jährige Alleinerziehende 2006 zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie sich dreimal an ihrer damals zehnjährigen Tochter vergangen hatte. Im Jahr 2002 wurde eine Mutter in Berlin verurteilt, weil sie ihre zu Anfang der Übergriffe sieben Jahre alte Tochter zwei Jahre lang jeden Monat einmal zu sich und ihrem Lebensgefährten ins Bett geholt hatte. Die britische Polizei berichtet von Frauen, die Männer überhaupt nur in ihr Leben geholt haben, damit sie Sex mit ihren Kindern haben.

"Für die Kinder ist es genau so schlimm, von einer Frau missbraucht zu werden wie von einem Mann - vielleicht sogar noch schlimmer. Die psychischen Folgen sind in beiden Fällen verheerend", sagt der Psychologe Gallwitz. Ist die Frau allerdings die Mutter und damit die engste Bezugsperson, die ein Kind im Regelfall hat, kann das desaströse Folgen für die Opfer haben. "Von unseren Müttern erwarten wir Sicherheit und Fürsorge", sagt die britische Psychologin Diana Cant im BBC-Interview. "Wird diese Erwartung so bitter enttäuscht, zerbricht etwas. Das Kind wächst mit Angst und dem ständigen Gefühl der Bedrohung auf." Vergessen könne so eine Erfahrung niemand.

Susannah Faithfull wird jedes Mal an ihr jahrelanges Martyrium erinnert, wenn sie in den Spiegel blickt. Sie hat die strahlend blauen Augen ihrer Mutter geerbt.

© sueddeutsche.de mit Material von BBC/Reuters/AP/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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