Kinderschänder Christoph G.:Am Ende hat es fast jeder geahnt

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"Immer mit Kindern unterwegs": Gerüchte gab es schon lange über den mutmaßlichen Päderasten Christoph G. - doch nachzuweisen war ihm zunächst nichts.

Christoph Hickmann und Katja Riedel

Aus dem Stand in den Spagat, kein Problem war das für diesen hervorragenden Turner, eine der leichtesten Übungen des Christoph G., heute 37, geboren in Leipzig, später aus Thüringen zugezogen in die Eifelstadt Mayen.

Das Wohnhaus des mutmaßlichen Kinderschänders (Foto: Foto: dpa)

Nicht wegen seiner sportlichen Fähigkeiten allerdings wird dort am Freitag über ihn gesprochen, sondern weil erwiesen zu sein scheint, was mancher schon lang vermutet haben will: Dass Christoph G. sich an Kindern vergangen hat.

Spektakuläre Fahndung

Und nicht nur in Mayen wird am Freitag über den Fall geredet, er bewegt die Öffentlichkeit weit über die Eifel hinaus - schließlich hat sich G. nach einer äußerst aufsehenerregenden, geradezu spektakulären Fahndung der Polizei gestellt.

Seit einigen Tagen hatte das Bundeskriminalamt (BKA) mit Videoausschnitten und Stimmproben nach ihm gefahndet, weil er sich auf 42 Videofilmen dabei zeigte, wie er kleine Jungen missbrauchte. Nachdem der Fall zudem am Mittwoch in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" öffentlich wurde, hatten die Ermittler zahlreiche Hinweise erhalten. Gemeinsam mit einem Anwalt stellte sich G. am Donnerstagmittag in Sonthofen, Allgäu, der Polizei. Er hatte sich dort als Kellner verdingt.

Schon vor Jahren hatte sich der Vorstand des Mayener Turn- und Sportvereins Sorgen gemacht, als immer mehr Kinder nicht mehr zum Kinderturnen gehen wollten, seit mehr als zehn Jahren geleitet von Christoph G. - erst in Mayen, später auch im nahen Kaisersesch, wo er Jungen im Geräteturnen unterwies.

Die Mayener kamen überein, die Gruppe aufzulösen und Christoph G. nicht weiter als Übungsleiter zu beschäftigen, erinnert sich ein Vorstandsmitglied. ,,Es gab schon damals Gerüchte, aber im Turnen ist es immer so eine Sache: Da muss man Kinder anfassen, um ihnen Hilfestellung bei den Übungen zu geben.''

Das war 2003, und 2006 ermittelte die Trierer Staatsanwaltschaft, nachdem es Missbrauchsvorwürfe gegen G. gegeben hatte. "Die Kinder, um die es ging, haben die Vorwürfe damals nicht bestätigt", sagt Ingo Hromada, stellvertretender Leiter der Behörde. Bei den nun identifizierten missbrauchten Kindern handele es sich aber "offenbar wenigstens zum Teil um diejenigen, die 2006 nicht aussagen wollten", sagt er.

Und wer weiß, wie lange G. noch unentdeckt geblieben wäre, hätte die Polizei nicht vor einigen Monaten bei einer Razzia in Thüringen zwei Videos gefunden, die G. jeweils mit zwei Jungen zeigten.

Ein Journalist (zu dessen Identität die Ermittler nichts sagen wollen) erfährt von dem Fall, recherchiert und stößt im Internet auf 40 weitere selbstgedrehte Videos, die er der Polizei übergibt.

Da die Ermittler G. nicht identifizieren können, entschließen sie sich, über die Öffentlichkeit nach ihm zu fahnden. "Etwas anderes ging hier nicht mehr", sagt der Gießener Oberstaatsanwalt Reinhard Hübner.

Die Gießener Behörde, sagt Hübner, wurde eingeschaltet, "da zunächst noch kein Tatort feststand". Er erinnert sich an fünf Fälle, in denen die Fahndung über die Öffentlichkeit Erfolg brachte - "immer sehr zeitnah".

Im vergangenen Jahr hätten die Gießener Ermittler sogar das Bild eines potentiellen Opfers veröffentlicht, um es vor Missbrauch zu schützen. Es hatte sich laut Hübner in einem Internet-Chatroom mit einem Mann verabredet.

Noch bevor es zu dem Treffen kam, veröffentlichten die Ermittler ein Bild des Mädchens, woraufhin sich die Mutter meldete. Bei dem Mann, sagt Hübner, habe es sich um einen "bekannten Sexualstraftäter" gehandelt.

G. hingegen war den Fahndern nicht bekannt - umso sorgloser präsentierte er sich in den Filmen. Es sei sehr selten, dass jemand sein Gesicht derart offen zeige, heißt es in Ermittlerkreisen.

So beschränkten Täter die Kameraperspektive häufig auf wenige Körperteile oder verfremdeten ihr Gesicht, wenn sie es denn zeigten - so wie jener Kanadier, dessen Porträtfoto im Oktober 2007 mittels einer speziellen Technik des BKA wiederhergestellt werden konnte.

Zudem ist G.s Stimme in den Filmen zu hören, auch sie hatte er nicht verfremdet; ebensowenig hatte er den Ton aus jener Sequenz gelöscht, in der ein Kind ihn beim Vornamen nennt.

Die Filme hatte G. auf einer norwegischen Plattform veröffentlicht und dann einem geschlossenen Pädophilen-Netzwerk zugänglich gemacht. Dass er keine deutsche Plattform verwendete, ist für Ermittler durchaus üblich. Einerseits sind sich Straftäter bewusst, dass sie gegen geltende Gesetze verstoßen und versuchen, ihren Weg zu verschleiern.

Zudem bieten ohnehin nur sehr wenige Firmen sogenannten Webspace in Deutschland an, die meisten Server sind dort zu finden, wo die Gesetze am wenigsten restriktiv sind, vor allem in asiatischen Staaten und in Russland.

Seine Ehe blieb kinderlos

Dass G. seine Filme ausgerechnet in Norwegen hochlud, mag allerdings Zufall sein: Dort ist die Gesetzgebung so streng wie in Deutschland.

Inzwischen sind mehrere Opfer identifiziert; offen ist, ob es weitere gibt. Diejenigen, die Christoph G. kennen, beschreiben ihn als "anhänglich". Ein junger Mann, der vor mehr als zehn Jahren bei ihm als 13-Jähriger trainiert hat, beschreibt ihn als freundlich, vielleicht sogar zu freundlich.

"Er hat uns mit dem Auto abgeholt, zum Sport gefahren oder in seinen Partykeller. Dort durften wir alles, was wir sonst eigentlich noch nicht durften: rauchen, Alkohol trinken." Sie hätten sich aber immer gefragt, warum G. sich nicht mit Gleichaltrigen abgab.

"Der Christoph war immer mit Kindern unterwegs", sagt eine Frau. "Und er hatte ein breites Feld, in dem er an Kinder herankam." In der Jugendfeuerwehr engagierte er sich, in der Tanzgruppe, im Angelverein.

Im Mayener Ortsteil Bätzing, wo er bei seiner Großmutter gelebt haben soll, hatte er einst eine kleine Kneipe, die aber nicht gut lief. Seine Ehe blieb kinderlos, sie wurde geschieden.

In Kempten eröffnete der Haftrichter ihm am Freitag den Haftbefehl wegen schwerer sexueller Nötigung von Kindern und Verbreitung kinderpornografischer Schriften. In Mayen hat der Turnverein an diesem Samstag Wandertag.

© SZ vom 8. 8. 2009/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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