Katastrophe in Brasilien:Das Inferno von São Paulo

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Beim wohl schwersten Flugzeugunglück in der Geschichte Brasiliens sind bis zu 200 Menschen ums Leben gekommen. Kriminelle Zustände am Flughafen und Geldgier könnten den Tod von 200 Menschen mitverursacht haben.

Peter Burghardt

Wie ein Mahnmal ragt das rote Leitwerk des Airbus A320 aus den brennenden Trümmern. TAM steht in weißen Buchstaben darauf, das Kürzel der größten Fluggesellschaft Brasiliens. Fast sieht es so aus, als gehöre es hier hin - was für eine grausige Ironie.

Der Flug Nummer 3054 der TAM von Porto Alegre nach São Paulo endete in einem dreistöckigen Gebäude der TAM hinter dem Stadtflughafen Congonhas, neben einer Tankstelle, alles zusammen ging nach dem Aufprall in haushohen Flammen auf. Stundenlang drangen an diesem schrecklichen Dienstagabend kaum verlässliche Nachrichten durch den schwarzen Qualm des Feuers und den hellen Schaum der Löschmannschaften.

Alle Passagiere sind tot

Am frühen Mittwoch war dann klar, dass in diesem Inferno kaum jemand überlebt haben konnte. Als Erster sprach es der Chef der Feuerwehr aus. "Wir haben hier ungefähr 200 Tote", sagte Antonio da Silva. Unter den Opfern sind alle 186 Passagiere des Fluges, die Besatzung und mindestens zwei Menschen am Boden. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, bislang gebe es keine Hinweise auf deutsche Opfer.

Es war die schlimmste Tragödie in der brasilianischen Fluggeschichte, Präsident Luiz Inácio Lula da Silva rief drei Tage Staatstrauer aus, er sei "konsterniert". Die Leichen werden erst allmählich geborgen und identifiziert, in dem Wrack herrschen Temperaturen von bis zu 1000 Grad. Augenzeugen berichten, dass die Maschine nach der Landung nicht auf der Bahn zum Stehen kam, abdriftete und über den Flughafen und eine Hauptstraße hinaus raste. Warum?

Knapp zwei Stunden nach dem Start im Süden des Landes hatte das Flugzeug pünktlich gegen 19 Uhr São Paulo erreicht, es regnete in Strömen, auf dem Asphalt stand das Wasser. Offenbar versuchte der Pilot vergeblich, im letzten Moment durchzustarten. Im Kontrollturm wurden noch Hilferufe vernommen. Experten vermuten, er habe zu spät aufgesetzt, auch könnten Bremsen und Hydraulik versagt haben.

Weitere Aufschlüsse soll die bereits gefundene Black Box geben, der Flugschreiber. Als mitverantwortlich allerdings gilt Pfusch der Behörden. "Es war zu erwarten, dass so etwas passieren würde", schimpft Carlos Camacho, der Sicherheitsbeauftragte der nationalen Luftfahrtgesellschaft, in der Zeitung O Estado de São Paulo. "Jetzt müssen wir die Toten begraben." Seiner Meinung nach hätte der 1936 eröffnete Stadtflughafen Congonhas zuletzt geschlossen werden müssen, die Probleme waren längst bekannt.

Brasiliens meistbenutzter Airport ist mit jährlich 18 Millionen Passagieren und 231.000 Flügen chronisch überlastet, obwohl die meisten internationalen Verbindungen in der Vorstadt Guarulhos starten und landen. Vor allem liegt die Anlage mitten in der gewaltigen Metropole, umgeben vom wohlhabenden Viertel Moema mit seinen Geschäftsleuten.

Flugzeuge streifen beim Anflug fast die Hochhäuser. Den Anwohnern gefällt die Nähe zum einen, weil es den weiten Weg nach Guarulhos erspart, andererseits gibt es keinen Sicherheitsabstand. Außerdem gilt die Piste als ungepflegt und ist für schlechtes Wetter gefährlich kurz.

Zuletzt klagten Piloten öfters über seifigen Untergrund. Erst an diesem Montag brach ein TAM-Kommandant eines A320 die erste Landung ab, eine Turboprop-Maschine der Linie Pantanal geriet ins Schleudern. Im Februar hatte ein Richter den Airport für große Jets gesperrt, der Bann wurde aber schnell wieder aufgehoben - ohne Congonhas ist der Inlandsverkehr in dem Riesenreich trotz allem kaum vorstellbar. Der Asphalt wurde teilweise erneuert, aber ohne Regenrinnen gegen Aquaplaning. Wegen der Anfang Juli begonnenen Ferien hatte man es eilig.

Gewerkschafter Camacho wirft Firmen Gewinnsucht vor und der Luftaufsicht Inkompetenz. Es ist der traurige Höhepunkt einer monatelangen Diskussion. Die Finanzschwierigkeiten der Linie Varig erschweren die Bedingungen weiter.

"Kriminelle Zustände"

"Kriminell" seien die Zustände auf den Flughäfen, klagt die Tourismusbranche, die am Tag der Congonhas-Katastrophe tagte. Erst im September 2006 hatte Brasilien sein bis dahin größtes Flugunglück erlebt - 154 Menschen starben. Die vom Militär geleitete Flugsicherung wird seither beschuldigt, nicht ausreichend gewarnt zu haben, tatsächlich sprechen manche brasilianische Lotsen nicht einmal vernünftig Englisch.

Die Aufsicht begann danach für bessere Gehälter und Bedingungen zu streiken, es kam ständig zu stundenlangen Verzögerungen, teilweise brach Chaos aus. Vor zwei Wochen rief Staatschef Lula die Armeemitglieder zur Räson und ließ Querulanten entlassen, ansonsten predigte seine Regierung Entspannung. Jetzt bildete Lula einen Krisenstab und ist das Ziel neuer Wut. Ein führender Oppositionspolitiker attackierte ihn in einem offenen Brief sogar direkt - ein Parteifreund saß im TAM-Airbus.

Glückliche Geschichten gab es auch, wenige. Die Fußballmannschaft von Gremio Porto Alegre buchte im letzten Moment um. Und auf der Avenida Washington Luis hinter der Landebahn erlebte ein Taxifahrer Unglaubliches. "Das Flugzeug kam direkt auf mich zu", berichtet Paulo Carol, doch es schoss über die viel befahrene Straße hinweg und explodierte hinter ihm. "Ich bin neu geboren."

Die Internationale Vereinigung der Verkehrspiloten-Verbände (Ifalpa) mit Sitz in Großbritannien forderte nach dem Unglück die Flugsicherheitsbehörden weltweit auf, am Ende von Rollbahnen lange Sicherheitsstreifen einzurichten, um derartige Unglücke künftig zu verhindern.

© SZ vom 19.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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