Katastrophe in Birma:Ein Land im Sturm

Lesezeit: 3 min

Tausende Tote, Hunderttausende Obdachlose, zerstörte Häuser, überschwemmte Straßen: Erst langsam wird klar, mit welcher Wucht der Zyklon "Nargis" das ohnehin schon geschundene Birma getroffen hat.

Oliver Meiler

Ein gepeinigtes, verarmtes, ausgezehrtes Land zählt seine Toten. Diesmal sind es Tote einer Naturkatastrophe, nicht Opfer politischer Gewalt. Und mit jeder Stunde wird das Ausmaß dieser neuen Tragödie in Birma deutlicher.

Der Zyklon "Nargis" zerstörte Fischerboote, legte Elektrizitätsnetz und Telefonverbindungen in ganz Birma lahm. Ein genaues Ausmaß des Schadens liegt noch nicht vor. (Foto: Foto: AFP)

Das staatliche Fernsehen, sonst eine Propagandamaschine, die alles schönredet, auch das Hässliche, beschreibt am Montagabend eine einzige Katastrophe: Der tropische Wirbelsturm Nargis, der das Land am vergangenen Wochenende heimgesucht hatte, habe bis zu 4000 Menschen in den Tod gerissen, heißt es in den Nachrichten. Weitere 3000 Menschen würden noch vermisst. Hunderttausende seien obdachlos, und viele hätten keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Am Tag zuvor war man noch von einigen Hundert Opfern ausgegangen. Nun befürchtet der Außenminister Birmas, dass sogar mehr als 10.000 Menschen ihr Leben verloren haben.

Alles gekappt

Nargis hatte sich Ende letzter Woche über dem Golf von Bengalen formiert und zog am vergangenen Samstag mit horrenden Windgeschwindigkeiten und starkem Regen über das Delta des Flusses Irrawaddy im Südwesten Birmas. Der Sturm riss Häuser und Menschen mit, entwurzelte Bäume und Strommasten, verwüstete die Reisplantagen der Bauern. Er raste weiter, Richtung Nordosten, fegte über die frühere Hauptstadt Rangun, eine dicht besiedelte Fünf-Millionen-Metropole. Er riss auch dort alles mit, deckte Häuser ab, wirbelte die Wellblechhütten der Slums vor den Toren der Stadt in die Luft, verwüstete auch die Residenzen der Begüterten. Es hieß, selbst die Birmanen, die schon viele Stürme über ihr Land ziehen sahen, hätten noch nie einen Zyklon mit einer ähnlichen Wucht erlebt.

Nargis kappte alle Kommunikationslinien, die Stromversorgung, die Wasserleitungen. Alles. Rangun war auch am Montag noch größtenteils ohne Strom. Die Preise für Nahrungsmittel explodierten prompt. Auch jene für Wasser, für Benzin. Kerzen sind über Nacht dreimal teurer geworden. In den Straßen Ranguns sah man viele Mönche, die halfen, Trümmer und Baumstämme wegzuräumen. Sie arbeiteten Seite an Seite mit den Soldaten, die mit Äxten und Sägen die Wege freimachten. Noch vor einigen Monaten, im vergangenen Herbst, protestierten viele junge buddhistische Geistliche in denselben Straßen gegen die Militärjunta, die sie dafür von Soldaten verprügeln, verfolgen, verhaften ließ.

Das Regime wollte zunächst keine ausländischen Hilfsorganisationen ins Land bitten. Die Machthaber, die Birma seit 1962 mit eiserner Hand regieren und politisch abschotten, halten Ausländer grundsätzlich für potentielle Spione - zumal westliche Ausländer, auch Funktionäre und Emissäre der Vereinten Nationen, vielleicht vor allem jene.

Ein später Hilferuf

Das Militär stützt sich lieber auf seine Nachbarn China und Indien, die mehr an Öl und an Gas interessiert sind als an einem demokratischen Leumund. Als Dank für deren Gunst investieren die Generäle die Mittel, die sie aus dem Volk pressen, lieber in die Öl- und Gasförderung als in den Wohlstand der Gesellschaft und in die Infrastruktur des Landes.

Birma, einst eines von Südostasiens hoffnungs- und ressourcenreichen Ländern, ist heute das Armenhaus der Region. Und die Militärregierung ist unfähig, einen Notfall wie die Folgen dieses Sturms alleine zu bewältigen. Sie hat sich in der neuen Hauptstadt Naypyidaw (übersetzt "Sitz der Könige"), einer Retortenstadt 300 Kilometer nördlich von Rangun gelegen, verschanzt und den Bezug zur Realität des Landes offenbar völlig verloren.

In Bangkok versammelten sich große humanitäre Organisationen zu einem gemeinsamen Krisentreffen. Einige warteten den Hilferuf der Junta in Birma, der dann am Montagabend doch noch in verschlüsselter Form erfolgen sollte, gar nicht erst ab und schickten Inspektionsteams in den besonders betroffenen Süden des Landes. Von dort waren auch fast drei Tage nach dem Durchzug des Sturms noch immer keine klaren Angaben über das wahre Ausmaß der Katastrophe zu erhalten. Offenbar hatte der Zyklon auch eine gewaltige Welle verursacht, die das Delta geflutet hat. Eine vorgelagerte Insel soll fast ganz zerstört worden sein. In einigen Dörfern und Städten des Deltas sollen drei von vier Häusern zertrümmert worden sein.

In allen Details kennen die Birmanen aber die Härte dieses neuerlichen Unheils noch nicht, dieses Unglücks, dieser natürlichen Tragödie. Sie trifft sie doppelt, dreifach und härter, als befürchtet wurde. Und vielleicht sogar noch viel härter, als man am Montagabend noch dachte.

© SZ vom 06.05.2008/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: