Kanalinsel Jersey:Leichen im zugemauerten Keller

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Auf der Kanalinsel Jersey sollen jahrzehntelang Kinder sexuell missbraucht und getötet worden sein. Ein früheres Mitglied des Regierungsrates erhob unterdessen Vertuschungsvorwürfe.

Alexander Menden

Ein einladendes Haus war Haut de la Garenne sicher nie. Aber vielleicht wirkte das bräunliche Natursteingebäude mit seinen schmalen Fenstern und spitzen Giebeln nicht ganz so sinister, würde nicht immer klarer, welche Gräuel sich über Jahrzehnte hinter seinen Mauern abgespielt haben müssen.

Die Polizei sucht rund um das ehemalige Heim Haut de la Garenne nach den Überresten von Kindern, die hier getötet wurden. (Foto: Foto: Reuters)

Seit seiner Gründung im Jahre 1867 als Internat für Kinder aus unterprivilegierten Familien hat das Haus im Örtchen St. Martin auf der Kanalinsel Jersey verschiedensten Zwecken gedient: Deutsche Besatzer nutzten es im Zweiten Weltkrieg als Funkstation, später war es Schauplatz einer Fernsehserie, seit 2004 ist es eine Jugendherberge. Die längste Zeit, von 1945 bis 1986, diente es als Kinderheim. Jetzt aber gilt Haut de la Garenne vor allem als Tatort.

Am vergangenen Samstag entdeckten Leichenspürhunde unter einem Betonboden in der Jugendherberge das Skelett eines Kindes. Daneben wurden Stoffreste, ein Knopf und eine Haarspange ausgegraben. Der Fund ist mittlerweile zur forensischen Untersuchung aufs britische Festland gebracht worden. Die Polizei prüft derzeit weitere verdächtige Stellen auf dem Gelände. Im Fokus steht vor allem ein vermauerter Kellerraum. Lenny Harper, Leiter der Ermittlungen auf Jersey, sagt, es stehe zu befürchten, dass "sechs oder mehr Körper im Haus und seiner Umgebung verscharrt sind".

Der Fund der Kinderleiche ist das bisher spektakulärste Ergebnis einer umfassenden Untersuchung wegen Kindesmissbrauchs auf Jersey, die 2006 als verdeckte Ermittlung begann. In deren Verlauf wurden bis zu 40 Verdächtige identifiziert, die alle mit Haut de la Garenne in Verbindung standen. So hat sich herausgestellt, dass der berüchtigte Sexualverbrecher Edward Paisnel in den sechziger Jahren oft als Weihnachtsmann verkleidet im Kinderheim von St. Martin zu Gast war.

Paisnel, die sogenannte "Bestie von Jersey", wurde 1971 wegen langjährigen Missbrauchs von Kindern und Frauen zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt und ist mittlerweile gestorben. Bisher ist erst ein Verdächtiger in Folge der neuen Untersuchung verhaftet worden: Einem Mann, der in den sechziger und siebziger Jahren als Aufseher im Kinderheim angestellt war, wird Missbrauch von Minderjährigen in drei Fällen vorgeworfen. Eine direkte Verbindung zum Leichenfund bestehe jedoch nicht, erklärte die Polizei.

Im November 2007 wurde die Untersuchung öffentlich gemacht. Daraufhin meldeten sich mehr als 140 Menschen, die angaben, als Kinder auf Jersey physisch, sexuell oder emotional missbraucht worden oder dort Zeugen von Missbrauch gewesen zu sein. So berichtete Frank Lewis, ein ehemaliger Bewohner des Hauses, der Direktor der Einrichtung sei besonders gewalttätig gewesen: "In der Woche nach meiner Ankunft hatte er mich schon bis aufs Blut durchgeprügelt und einem Jungen den Finger mit einem Stock abgeschlagen", so Lewis zur Zeitung Jersey Evening News.

Laut Lenny Harper sei immer deutlicher geworden, dass sich möglicherweise noch Schlimmeres in dem ehemaligen Kinderheim abgespielt habe: "Wir erhielten drei separate Hinweise darauf, dass sich sterbliche Überreste von Menschen hier befinden könnten", so der Ermittler. Ein Mann, der in den sechziger Jahren in Haut de la Garenne wohnte, berichtete der Times, er könne sich an zwei Fälle erinnern, in denen Jungen verschwunden seien. "Man sagte uns, sie seien zurück nach Hause gegangen", so der ehemalige Bewohner. "Aber jetzt habe ich da meine Zweifel."

Bauarbeiter fanden bereits 2003 unter dem fraglichen Korridor diverse Knochen, als das Gebäude beim Umbau in eine Jugendherberge saniert wurde. Diese Überreste wurden damals jedoch für Tierknochen gehalten. Angesichts der sich nun anbahnenden Untersuchung wegen Mordes versucht die Polizei, diese Knochen wiederzufinden.

Ein früheres Mitglied des Regierungsrates von Jersey erhob unterdessen Vertuschungsvorwürfe. Stuart Syvret, der 2007 als Gesundheitsminister der Vogtei Jersey entlassen wurde, sagte laut Daily Telegraph, er sei kaltgestellt worden, nachdem er versucht hatte, den "systematischen Kindesmissbrauch" auf Jersey öffentlich zu thematisieren.

Lenny Harper wird hingegen mit der Aussage zitiert, es gebe derzeit keine Hinweise auf eine bewusste Vertuschung. Die Untersuchungen auf dem Gelände von Haut de la Garenne werden voraussichtlich noch mindestens eine Woche dauern.

© SZ vom 27.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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