Junges Regieren in den USA:"Es wird hart, na klar"

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In Hillsdale regiert der jüngste Bürgermeister, den es in den Vereinigten Staaten je gab: Michael Sessions ist 18 Jahre alt und geht noch zur Schule.

Christian Wernicke

Die Karriere des jungen Michael Sessions erinnert an den alten amerikanischen Traum. Vom Tellerwäscher zum Millionär hat es der 18-jährige Schlacks aus dem 8.200-Seelen-Ort Hillsdale noch nicht gebracht. Aber immerhin ist der High-School-Junge mit den kurzen braunen Locken und dem verschmitzten Lächeln binnen weniger Wochen vom Süßwarenverkäufer zum wohl jüngsten Bürgermeister aufgestiegen, den es in den USA jemals gab:

Am Montagabend hat er im Rathaus seiner Heimatstadt im Süden des Bundesstaates Michigan den Amtseid geleistet. Und einer wie er glaubt natürlich, dass er das hinkriegt, irgendwie: "Es wird hart, na klar - aber ich kann das schaffen", sagte Sessions, "ich habe jeden Tag mehr Zuversicht."

Sein Amtsvorgänger, der Besitzer der örtlichen Rollschuhbahn, Douglas Ingles, 51, hat sich mit seiner Niederlage gegen den Frischling abgefunden. Nun preist er Sessions als "Symbol der Hoffnung" - nicht nur für Hillsdale, sondern "für junge Menschen auf der ganzen Welt." Seit Sessions' Wahlsieg nämlich trudeln E-Mails und Briefe aus Japan und Korea, Russland, Israel und Westeuropa im Rathaus ein.

"Vielleicht wird er ja mal Präsident"

Stadtdirektor Tim Vagle muss am Telefon Journalisten aus dem ganzen Land abwimmeln: Nein, der Junge habe noch kein eigenes Handy, auch sei er eh gerade nicht da: Mal in New York, mal in Los Angeles hockt Sessions dieser Tage in Talkshows. Erzählt von sich, von Hillsdale, von der Demokratie an sich. "Wer weiß", sagt Vagle, "vielleicht wird er ja mal Präsident."

Vielleicht. Vorerst will Sessions nur noch seine Ruhe haben. "Ich bin froh, wenn der ganze Rummel vorbei ist", sagte er in einem Radiointerview. Noch immer steckten ihm die Strapazen des Wahlkampfs in den Knochen. Da zog er allabendlich von Haus zu Haus, um sich den Hillsdalern vorzustellen. Weil er nicht auf Mutter Lorrie hörte und beim Klinkenputzen den Mantel vergaß, lag er kurz vorm Urnengang mit einer Bronchitis danieder.

Michael gab eben alles, jede freie Minute. Und sämtliche 700 Dollar, die er sich im Sommer mit dem Verkauf von Karamelläpfeln und anderem Süßkram verdient hatte. Von dem Geld ließ er Visitenkarten drucken und 50 blaue Pappschilder anfertigen, die in den Vorgärten sympathisierender Nachbarn "Michael Sessions for Mayor" auslobten.

Hillsdale sollte lernen, seinen Namen zu buchstabieren - nur so hatte er eine Chance: Weil er erst am 22. September, seinem 18. Geburtstag, das Rennen offiziell aufnehmen durfte, tauchte sein Name nicht auf dem Wahlzettel auf - wer Michael wollte, musste "Sessions" aufs Papier kritzeln. Oder wenigstens "Michael". Das taten 670 Bürger, derweil Amtsinhaber Ingles nur 668 Kreuze ergatterte.

Sessions führt nun ein Doppelleben. Jeden Tag muss er morgens ab zehn vor acht die Schulbank drücken: "Bis 14.30 Uhr bin ich Schüler, von drei bis sechs dann Bürgermeister", erklärte er. Das wird mindestens bis zum nächsten Frühsommer so bleiben.

Die vierte Planstelle brachte den Sieg

Dann kommt das Examen, anschließend will Sessions Politik studieren, streng nach Lehrplan auf dem Hillsdale College am Stadtrand. Die Rolle als Stadtoberhaupt bleibt reine Ehrensache: Sessions hat im Gemeinderat nur eine von neun Stimmen und Anspruch auf 3000 Dollar Aufwandsentschädigung. Im Jahr.

Hillsdale erwartet viel von seinem jungen Bürgermeister. Schließlich verkündete der, er wolle neue Jobs herbeizaubern. Vier Betriebe im Ort machten zuletzt dicht, Hunderte Arbeitsplätze gingen verloren - auch Michaels Vater stand plötzlich auf der Straße.

Weil es den Sohn "nervte, wie die Leute immer nur klagen und meckern", raffte sich Michael zur Kandidatur auf. Nun sucht er einen Investor für seine Idee, in einer alten Werkshalle eine Fabrik für Biodiesel anzusiedeln. Und wenigstens einen Job muss er sofort schaffen: Das Versprechen, der Ortsfeuerwehr eine vierte Planstelle zu schenken, hatte ihm die Sympathie der Brandmänner gesichert. Und den Sieg.

© SZ vom 23.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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