Jessica Watson: Buchpräsentation:Mit 567 Schokoriegeln auf See

Lesezeit: 5 min

In ihrer Heimat Australien wurde die 16-jährige Weltumseglerin Jessica Watson so euphorisch empfangen wie der Papst. Bei der Vorstellung ihres Buches in Deutschand musste sich nun auch ihre Mutter Fragen gefallen lassen.

M. Zips

Grob gesagt läuft das Leben 16-jähriger Mädchen so: Wenn sie nicht gerade telefonieren oder vor dem Computer sitzen, so studieren sie Fett-Tabellen oder sind traurig, weil sich ihre Lieblingsband getrennt hat. Sie teilen sich ihr Bett mit Stofftieren, schmieren sich Nutella aufs Brot oder glotzen merkwürdige Fernsehserien. Sie finden etwas entweder total eklig oder total süß, mögen die Farbe Rosa, entdecken ihren vermissten iPod erst nach Wochen beim Aufräumen wieder. Sie entdecken ihn unter dem Bett, auf dem sie mit einem Jungen gerade zum ersten Mal Sex hatten. Das ist das Leben 16-jähriger Mädchen.

Derzeit umrundet Jessica Watson wegen diverser Buchpräsentationen die Welt: Nach Australien, USA, China, Südkorea und Frankreich ist jetzt der deutsche Markt an der Reihe. (Foto: dpa)

So sehen das im Groben auch die beiden pensionierten Pädagogen, die man im Maritimen Museum Hamburg trifft. Der eine, Chemielehrer, heißt Horst mit Nachnamen. Sein Freund, der Biologielehrer, heißt Horst mit Vornamen und segelte früher in seiner Freizeit an der dänischen Küste entlang. Von jungen Frauen, noch dazu auf Segelschiffen, halten sie nicht viel. "Das hat man ja auf der Gorch Fock gesehen, was alles passieren kann", sagt der Vornamen-Horst. Und Jessica Watson? Dieses australische Mädchen? Wie alt war die noch mal bei ihrer Weltumseglung? 16? Die hat jetzt ein Buch geschrieben? "Völlig uninteressant, so etwas zu lesen", weiß der Nachnamen-Horst. "Wenn die wenigstens irgendwo an Land gegangen wäre." Dann poltern die Männer weiter durchs Museum. Schwer beeindruckt umkreisen sie den "Übungstorpedo der Kaiserlichen Marine" von 1906.

In Australien liebt jedes Kind Jessica. Als sie am 15. Mai 2010 nach 210 Tagen auf See im Hafen von Sydney erstmals wieder an Land ging, machte Down Under einen auf Papstbesuch: Das Fernsehen übertrug live, Zehntausende jubelten Jessica vor der Oper zu. Ein Pilot schrieb ihren Namen in den Himmel.

Dieser Tage benutzt Jessica Watson lieber Flugzeuge als Boote - sie möchte ihr Buch schnell und weltweit an den Leser bringen. Australien, USA, China, Korea, Frankreich. Und jetzt Deutschland. Im rosa Baumwollhemdchen und mit schwarzem Schal nimmt die blonde Watson, nunmehr 17 und in Begleitung ihrer Mutter, im Restaurant des Hotels Hafen Hamburg mit Blick auf die Landungsbrücken Platz. In Australien büffele sie gerade für den Autoführerschein, sagt sie.

Es ist ja so: Wenn dein Vater Heizungsbauer und deine Mutter Ergotherapeutin ist, dann kannst du als Zwölfjähriger denen hundertmal sagen, dass du jetzt die Welt umsegeln magst. Da gibt es weder ein Entschuldigungsschreiben für die Schule, noch ein Schiff. "Aber Jessica hat plötzlich überallhin Mails geschrieben und sich selbst um Sponsoren und Unterstützer gekümmert", wundert sich Mutter Julie heute noch.

Die Mutter! Die ist ja die eigentliche Geschichte! Wie konnte sie das nur zulassen? "Hören Sie", sagt die Ergotherapeutin, eine kräftige Frau mit kantiger Brille. "Ich würde meine Tochter in dem Alter doch nie nachts um elf in irgendwelche Hafenkneipen schicken. Aber allein auf See? Was soll da schon passieren?"

Julie hat vier Kinder. Jessica, die Nummer zwei, war immer sehr speziell. Sie litt unter einer schweren Leseschwäche. In der Volksschule konnte sie kaum bis zehn zählen. Dann: Feriensegelkurs im Southport-Yacht-Club Hollywell, gemeinsam mit der großen Schwester. Jessica beginnt sich Poster mit Meereswellen und Schiffen über das Bett zu hängen. Mit dem Lesen klappt es plötzlich auch viel besser. Das Buch des Australiers Jesse Martin, der 1999 als bis dato jüngster Mensch mit 18 die Erde allein umsegelte, fasziniert sie. Das kann ich auch, denkt das zwölfjährige Kind. Mit dem Geld von drei Dutzend Sponsoren kaufen die Watsons ihrer Tochter ein altes Boot, machen es wieder seetüchtig und deponieren dort drei Tonnen sehr haltbare Nahrung sowie Kleidung für sieben Monate.

Nach 23.000 zurückgelegten Seemeilen kam Watson am 15. Mai 2010 mit ihrer Yacht Ella's Pink Lady im Hafen von Sydney an - und wurde von einer jubelnden Menge begrüßt. Auch Australiens damaliger Premierminister Kevin Rudd gehörte zu den Gratulanten. (Foto: dpa)

Weltweites Entsetzen! Drehen die Australier jetzt völlig durch?

"Wir haben Jessica nicht aus dem Schlafzimmer gezerrt", rechtfertigt sich die Mutter. "Es war das geringere Übel", hat auch der Vater schon betont. Als Jessica während der Vorbereitungen mit einem Tanker kollidiert, raten ihr selbst diejenigen von dem Vorhaben ab, die sie bisher unterstützten. Sie macht trotzdem weiter.

"Es wird eine Zeit kommen, die das Meer, den Gürtel der Erde, ausweiten und den Menschen eine ungeheuer große, unbekannte Erde enthüllen wird", meinte im 2. Jahrhundert Claudius Ptolemäus, der Vater aller Kartographen. Im Jahr 2011, das kann man sicher sagen, hat die Erde keinen Gürtel mehr. Dank technischer Hilfen sind ihre Meere selbst für Teenager bezwingbar. Magellan, Sir Francis Drake, Jessica Watson. Wann fliegt der erste Pubertierende zum Mond?

Die Reise selbst ist, bis auf ein paar hohe Wellen, erstaunlich ereignislos. "Dienstag, 3. November 2009. Gestern überkam mich ein großes Verlangen nach Käse, doch ich konnte keinen finden. Also rief ich meine Mutter an, um sie zu fragen, ob sie wüsste, wo er versteckt sein könnte." Gut, dass es das Handy gibt. "Ich höre Musik und verschicke einige E-Mails"; "ich bin gerade mit einem Becher Kaffee und einem Glas Nutella zurück an Deck gekommen"; "ich habe auch eine DVD der Fernsehserie Bones dabei". Ich, ich, ich. So geht das 373 Seiten lang. Kolumbus suchte wenigstens zwischendurch nach Gold.

Aber so ist eben der Alltag an Bord des (rosaroten) Teenie-Schiffs Pink Lady zwischen Australien, Kap Hoorn und dem Kap der Guten Hoffnung: Jessica telefoniert viel, sitzt vor dem Computer, studiert Fett-Tabellen oder ist traurig, zum Beispiel weil sich ihre Lieblingsband gerade getrennt hat. Sie findet etwas entweder total eklig (tote Tintenfische) oder total süß (lebende Vögel) und entdeckt ihren vermissten iPod erst nach Wochen beim Aufräumen wieder.

Ihr Bett teilt sie sich mit Stofftieren. Nur einen Jungen gibt es nicht. Der Autopilot steuert recht zuverlässig, während sie "Forever young" hört und einen von 576 Schokoriegeln an Bord vernascht. Manchmal denkt sie darüber nach, warum ihr Vorbild Jesse Martin so gerne nackt segelt: "Was, bitteschön, ist so falsch an Kleidung?" Kicher. In Hamburg bestellt sie Kuchen. Mutter: "Jessica, kannst du dich noch erinnern, dass ich dir die Dokumentation über Sir Edmund Hillary gezeigt habe?" Tochter: "Ja, Mama. Die Teletubbies wären besser für mich gewesen."

Gerade ist die 15-jährige Niederländerin Laura Dekker dabei, Jessicas Altersrekord noch ein paar Tage zu unterbieten. So lange der Autopilot funktioniert und jemand weiß, wo sie den Käse findet, bleibt sie im Rennen. Offiziell ist Jessicas Rekord übrigens kein Rekord. Der Weltsegelverband hat nämlich die Kategorie "Jüngster Weltumsegler" mittlerweile abgeschafft. Eine Art Jugendschutzmaßnahme. In Hamburg ist Jessica das wurscht: "Ich habe meine Reise doch nicht für ein Stück Papier gemacht."

Da muss man noch einmal an den Vornamen-Horst und seinen Freund, den Nachnamen-Horst aus dem Maritimen Museum denken. 40 Jahre lang haben die beiden Männer an derselben Schule unterrichtet. Das Stück Papier, das sie ihren Schülern am Ende des Jahres als Zeugnis in die Hand drückten, sollte richtungsweisend sein. "Die jungen Leute haben bei uns erst einmal was fürs Leben gelernt", weiß der Vornamen-Horst.

Ach, lass die alten Männer doch reden.

Julie und Jessica schwärmen gerade von Kay Cottee, der ersten Non-Stop-Weltumseglerin. Einmal, erzählt Mutter Watson, habe so ein ehrgeiziger Vater bei Jessica um ein paar Segeltipps für seine Tochter angefragt. Daraufhin habe Jessica zu der Tochter gesagt: "Die wichtigste Regel lautet: Schmeiß den Daddy über Bord." Und jetzt mag das Gekicher so gar nicht mehr enden.

© SZ vom 26.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: