Italienischer Modeunternehmer Missoni verschollen:Verloren in der Karibik

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Das italienische Familienunternehmen Missoni hat Modegeschichte geschrieben. Nun wird der Sohn des Gründers vermisst: Vittorio Missoni. Er leitet mittlerweile die Firma. Unterwegs war er in einem Flugzeug vor der Nordküste von Venezuela. Einziger Hoffnungsschimmer ist die SMS eines Mitreisenden.

Von Andrea Bachstein, Rom

Ein netter, kleiner Trip sollte es nur sein, den Vittorio Missoni mit seiner Frau und einem befreundeten Paar am vorletzten Tag des Weihnachtsurlaubs unternahm. Ein Katzensprung, die 150 Kilometer bis Caracas von Los Roques, einer der vielen Karibikinseln vor Venezuelas Nordküste. Mit einer kleinen Chartermaschine hoben sie ab, kein ungewöhnliches Transportmittel in diesen Breiten. Eine Dreiviertelstunde hätte der Flug dauern sollen, doch am Sonntag fehlte noch immer jede Spur von dem zweimotorigen Flugzeug und den insgesamt sechs Menschen an Bord.

Mit zwei Piloten und den vier Italienern war die "BN-2 Islander" um elf Uhr Ortszeit am Freitag gestartet. Beim letzten Funkkontakt kurz darauf flogen sie zehn Meilen südlich der Insel. Seither sucht die Küstenwache mit Schiffen, Flugzeugen und Hubschraubern das Meer ab, ein Gebiet von 300 Quadratmeilen und 42 Inselchen, es herrscht hoher Wellengang. Die Behörden vermuten, dass die Maschine ins Meer gestürzt ist und von der Strömung abgetrieben wurde. Das berichtete die Zeitung El Tiempo am Sonntag in ihrer Online-Ausgabe. Trotzdem will die Familie nicht aufgeben. "Wir hoffen noch", sagte Vittorio Missonis Schwester Angela der Zeitung La Repubblica. Aber mehr als Hoffnung haben sie nach drei Tagen nicht, auch nicht die Leute in Sumirago in der Lombardei.

Nicht nur fürs Marketing verantwortlich

Dort, ganz im Norden Italiens, nahe der Grenze zur Schweiz, hat das weltberühmte Modeunternehmen Missoni seinen Sitz, die Familie lebt in einer Villa ganz nah an der Firma. Und sie lebt mit den gut 6000 Einwohnern von Sumirago in selbstverständlicher Nachbarschaft. Vittorio Missoni kam vor zwei Wochen noch als Weihnachtsmann verkleidet in die eigene Firma, um die Kinder der Angestellten zu beschenken.

Vittorio Missoni mit seiner Frau Maurizia Castiglioni (Bild aus dem Jahr 2005). (Foto: AP)

Vittorio Missoni, Enkel eines Admirals, liebt das Meer und den Wassersport, Sport überhaupt und die Natur. Die Fähigkeit für die Lenkung des Unternehmens hat er von seinen Eltern, der Gründergeneration, geerbt. Der 58-Jährige ist als Generaldirektor von Missoni nicht nur fürs Marketing verantwortlich. Er ist der wichtigste Mann des Modeunternehmens, dessen Edelstrick in unendlichen Farbvariationen und Spielarten von Zickzack-, Wellen- und Streifenmustern seit den siebziger Jahren ein Faktor der Modewelt ist und dabei sogar Einzug gehalten hat in Design- und Kunstmuseen wie das MoMa in New York.

80 Prozent des Umsatzes von um 150 Millionen Euro macht Missoni heute außerhalb Italiens, und dass das Unternehmen trotz der italienischen Wirtschaftskrise wächst, ist wesentlich Vittorio Missoni zuzuschreiben. Er hat die Öffnung eigener Geschäfte in der ganzen Welt vorangetrieben, auch in China und Indonesien hat die Marke heute Exklusivläden. Längst geht es nicht mehr nur um Schals, Jacken, Kleider und Bikinis. Missoni hat eine Linie für Inneneinrichtung, es gibt durchgestylte Missoni-Hotels in Edinburg und Kuwait. Vittorios Schwester Angela, 55, leitet die Entwurfsabteilung, Bruder Luca, 53 ist der Technische Chef.

Sportlich und elegant, luxuriös und bequem

Und noch immer sind auch die Eltern da, die alles erfunden haben. 92 Jahre alt ist das Oberhaupt der Dynastie, Ottavio Missoni, der mit seiner Frau Rosita seit den 50er Jahren Mode entwickelt. Mit Sportkleidung aus Wolle hatte Ottavio Missoni angefangen, Italiens Olympiamannschaft trug 1948 in London seine Trainingsanzüge, er selbst startete als Leichtathlet. Die Familie seiner Frau stellte Schals her. Was sie seit Mitte der 60er Jahre produzierten, wurde als revolutionär aufgenommen: sportliche, aber vor allem elegante Kleidung, wie sie nie zuvor zu sehen war, luxuriös und bequem zugleich.

Die Firma bestrickte das Lebensgefühl einer Zeit, die sich befreite von Konventionen, in der es auf den Laufstegen immer lässiger zuging. In den 70er Jahren schließlich brachten alle wichtigen Modemedien der Welt dem Designer-Paar aus Sumirago Huldigungen dar, und ihre gezackten Maschenwerke zogen in Hallen ein, die bis dahin der Kunst vorbehalten waren. Soweit die glanzvolle Familiengeschichte.

In diesen Tagen nun warten in Sumirago alle bang auf Nachrichten aus der Karibik. Er gibt zwar eine SMS-Botschaft von dem mitfliegenden Freund der Missonis: Er sei nun wieder erreichbar, teilte dieser seinem jüngsten Sohn mit - und zwar zu einem Zeitpunkt, als das Flugzeug schon vermisst war. Allerdings weiß niemand, mit welcher Verzögerung die SMS übermittelt wurde. Und für die auf dieser Mitteilung beruhende Spekulation, vielleicht sei auch eine Entführung im Gange, gibt es bisher keine weitere Indizien, außer der, dass die Inselgegend auch zum Operationsgebiet von Drogenhändlern gehört. Dann gibt es noch die Aussage eines anderen Piloten, der gesehen haben will, dass Missonis Maschine plötzlich einfach in den Wolken verschwand - nur wohin, das weiß keiner.

© SZ vom 07.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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