Italien:Zwei Mamas

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Rom ist bunt, das war Botschaft der Teilnehmer der "Gay Pride" vor eineinhalb Wochen in Rom. Das nun gefällte Urteil ist ein Meilenstein für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. (Foto: imago)

In Italien fällt das oberste Gericht ein womöglich wegweisendes Urteil: Eine lesbische Frau darf das Kind ihrer Partnerin adoptieren. Damit nutzt es ein Fenster in einem neuen Gesetz - wenn auch ein sehr kleines Fenster.

Von Oliver Meiler, Rom

Laura ist sieben, eine Primarschülerin aus Rom. Die Klassenkameraden, so erzählen es ihre Eltern, hänseln sie nicht, wie das bei anderen Kindern wie ihr oft passiert. Es kursierten halt viele Vorurteile, sagen sie. Laura ist nun allen Italienern ein Begriff, obschon es keine Bilder von ihr gibt. Laura ist ein Fantasiename, und von ihren Eltern kennen die Italiener auch nur einige summarische Angaben aus dem Lebenslauf: Sie kommen aus Rom, sind zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, beide selbständig erwerbend, schon lange ein Paar. Und sie sind Frauen. Die Anonymität ist bewusst gewählt. Sie soll Schutz bieten, allen dreien. Sie sind jetzt eine glückliche Familie. Und ihr Glück, so finden sie, kann im Schatten besser gedeihen als im grellen Scheinwerferlicht.

Der römische Kassationshof, Italiens höchstes Gericht, hat in einem wegweisenden Urteil beschlossen, dass beide Partnerinnen Lauras Eltern sein dürfen, nicht nur die leibliche Mutter. Die Lebenspartnerin darf Laura adoptieren, und das obschon das neue Gesetz zu den Lebenspartnerschaften diese sogenannte "Stiefkind-Adoption" für homosexuelle Paare ausschließt. Als Begründung führten die Richter das "übergeordnete Interesse" des Kindes an. Ihr Entscheid überholt also die Gesetzgebung, zeigt deren juristische Lücke auf: Ein Kind, das von zwei Frauen oder von zwei Männern aufgezogen wird, soll die gleichen Rechte haben wie ein Kind, das in einem heterosexuellen Haushalt lebt. Doch natürlich befeuert das Urteil die politische Debatte neu.

Laura kam in Spanien zur Welt, wo die Gesetze trotz katholischer Tradition schon lange fortschrittlicher sind und wo ihre Eltern geheiratet hatten. Schwanger wurde ihre Mutter durch künstliche Befruchtung; ihr Vater ist ein anonymer Samenspender. Vor zweieinhalb Jahren begannen die beiden Frauen den Gang durch die italienischen Gerichte, um sich in der Heimat ihr Recht zu erstreiten, eine Familie zu sein. Als Grundlage diente das italienische Adoptionsgesetz aus dem Jahr 1983. Es sieht vor, dass jedes Kind das Recht hat, eine Familie zu haben. Das Prozedere ist aber nicht automatisch: Gerichte für Minderjährige prüfen in jedem Fall, ob Stiefvater oder Stiefmutter für die Elternschaft geeignet ist. Bis 2007 galt die Regel nur für verheiratete Paare, seither auch für unverheiratete - aber nicht für homosexuelle.

Lauras Eltern stritten um ihr Recht ausgerechnet in einer Zeit, da sich das Parlament polemisch und mit heftigen Voten mit dem Gesetz zu den "Unioni civili" abmühte, der italienischen Version der eingetragenen Lebenspartnerschaften. Premier Matteo Renzi und seine linke Mehrheit hatten es eingebracht. Für Renzi bot sich damit die willkommene Gelegenheit, mal eine Reform auf den Weg zu bringen, die auch dem linken Flügel in seiner Partei gefallen würde. Von Homo-Ehe war zwar nie die Rede. In der ursprünglichen Gesetzesvorlage aber war die "Stepchild adoption" für homosexuelle Paare enthalten, wie es sie mittlerweile auch in Großbritannien, Frankreich, Spanien und Griechenland gibt.

Doch die katholische Kirche stemmte sich mit Macht dagegen. Bischöfe traten im Fernsehen auf und erklärten dem Volk, halb belehrend und halb drohend, was eine wahre Familie sei und was nicht. Sekundiert wurde ihnen von christdemokratischen Parlamentariern und von konservativ-katholischen Vereinigungen. Als dann auch die Protestbewegung Cinque Stelle kundtat, sie würde gegen die Vorlage stimmen, zog Renzi die "Stiefkind-Adoption" zurück, um wenigstens einen Teil des Gesetzes durchzubringen. Heraus kam ein Kompromisstext, der dem deutschen Gesetz recht ähnlich sieht. Er beruhigte die Gemüter, zunächst jedenfalls.

Das Gesetz hatte nämlich ein kleines Fenster offengelassen, das den Richtern das letzte Befinden bei Stiefkind-Adoptionen zuspricht - auch bei homosexuellen Stiefeltern. So kam es, dass die römischen Kassationsrichter nun das Urteil von zwei untergeordneten Instanzen bestätigte und die beiden Römerinnen im hohen Interesse des Kindes zu gleichberechtigten Eltern Lauras erklärten. Nach zweieinhalb Jahren Kampf. Wäre der Entscheid negativ ausgefallen, hätten die Klägerinnen noch die Möglichkeit gehabt, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen. Und das wäre Italien wohl peinlich gewesen.

Nun machen die Kritiker wieder Lärm. Einer ihrer Wortführer, der Präsident der Vereinigung "Difendiamo i nostri figli" (Verteidigen wir unsere Kinder), Massimo Gandolfini, sieht im Urteil eine Aufforderung des Gerichts zur "barbarischen Praxis der Leihmutterschaft". Gemäßigtere Kreise laden dazu ein, das Urteil zu respektieren, wie Gerichtsurteile nun mal immer respektiert gehörten. Selbst wenn es Präzedenzcharakter haben könnte. Und dann gibt es noch jene Leute, die enttäuscht waren vom Kompromiss. Sie fordern jetzt das Parlament auf, so viel Mut zu zeigen wie das Gericht und Klarheit zu schaffen. Auch in den Gesetzen.

© SZ vom 24.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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