Italien:Wie ein Tsunami in der Schlucht

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Zehn Wanderer werden im Nationalpark Pollino in Kalabrien nach einem Unwetter in den Tod gerissen. Auch ein Guide ist unter den Opfern.

Von Max Sprick

Der Nationalpark Pollino in Kalabrien, im Süden Italiens, gilt als malerisch. Und die Schlucht Raganello mit ihren bis zu 400 Metern hohen Felswänden als sein Highlight. Man wandert los im Bergdorf Civita, wo die Straßenschilder noch zwei Sprachen aufweisen: Italienisch und Albanisch. Am Montag aber wurde aus der malerischen Wanderung eine für zehn Menschen tödliche.

Bergretter suchen an der Schlucht des Flusses Raganello nach Vermissten nahe Civita in Kalabrien. (Foto: Reuters)

Ein starkes Unwetter war über der Region niedergegangen, nicht unmittelbar über der Schlucht, erklärte Domenico Gioia, der Exkursionen durch Kalabrien führt. Womöglich merkten Ausflügler in der Schlucht nicht, wie viel Regen in den umliegenden Bergen fiel, und den "fast trockenen Bach", wie Gioia sagte, in einen reißenden Fluss verwandelte. "So eine Situation hatten wir hier seit 40, 50 Jahren nicht mehr." Die Sommer sind in Süditalien heiß und trocken, oft zu trocken. Die Ausflügler wurden von den Wassermassen überrascht und mitgerissen. Am Dienstag suchten Rettungskräfte weiter nach Vermissten. "Das Wasser hat alles mitgerissen, was es finden konnte, leider auch Menschen", sagte Gioia, der sich nahe der Einsatzstelle befand. 26 Menschen wurden gerettet, elf von ihnen liegen dem Zivilschutz zufolge noch im Krankenhaus.

Ums Leben gekommen sein soll auch ein Guide, der seit Jahren Exkursionen durch die Schlucht anleitet

Beim Eintreffen der Rettungskräfte spielten sich dramatische Szenen ab. "Wasser, Schlamm, Geröll. Und mittendrin die Körper der Ausflügler. Unsere Männer wussten sofort, dass hier etwas Schreckliches passiert ist", erzählte ein Bergretter dem Corriere della Sera. "Die enormen Wassermassen wurden in die Schlucht geleitet und kamen mit vernichtender Kraft." Weiter zitiert die Zeitung eine gerettete Italienerin: "Wir hörten ein Donnern, gleich danach stürzte eine Wassermauer hinunter, die uns wegriss." Sie sagte: "Ich habe es geschafft, (...) mich an einem Baum festzuhalten, aber ich sah Körper, die mit wahnsinniger Gewalt fortgespült wurden." Der Vizepräsident der kalabrischen Bergrettung, Giacomo Zanfei, sagte: "Die Sturzflut in den Schluchten von Raganello ist leibhaftig ein Tsunami gewesen." Das Erste, was man merke, sei ein Windstoß "und sofort danach eine Sturzwelle, die dich fortreißt", sagte Pierpaolo Pasqua, ebenfalls von der Bergrettung, der Zeitung La Stampa.

Die Raganello-Schlucht teilt sich in verschiedene Abschnitte. Der letzte, nahe Civita, sei der einfachste, sagte Pasqua. "Mit einem Guide und angemessener Umsicht und den richtigen Klamotten kann ihn jeder schaffen." Einige der Toten und Verletzten waren auch in zwei geführten Gruppen unterwegs. Ums Leben gekommen sein soll auch ein Guide, der seit Jahren Exkursionen durch die Schlucht anleitet. Nun stellt sich in Italien die Frage, ob die Tragödie vermeidbar gewesen wäre. Die Staatsanwaltschaft hat der Nachrichtenagentur Ansa zufolge Ermittlungen gegen unbekannt eingeleitet, unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. Doch Giacomo Zanfei von der Bergrettung warnt vor vorschnellen Schlüssen: Die Guides in der Raganello-Schlucht seien sehr erfahren und spezialisiert. "Deswegen wird hier niemand kriminalisiert. Das sind Ereignisse, die einmal in hundert Jahren passieren."

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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