Italien:Ganz eigene Methoden

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In einer Mailänder Krippe wurden Kinder misshandelt. Es ist nicht der erste Fall. Nun soll es ein neues Gesetz geben.

Von Oliver Meiler, Rom

Eine Szene aus einer Kinderkrippe zerreißt den Italienern derzeit das Herz. Aufgenommen hat sie die Polizei mit einer versteckten Kamera. Die kurze Sequenz zeigt, wie eine Frau einem kleinen Kind aufträgt, eine Wasserflasche auf einen Tisch zu stellen. Das Kind, gerade erst zwei Jahre alt, stellt die Flasche auf den Tisch. Doch die Erzieherin ist nicht zufrieden, sie verlangt, dass es das noch einmal macht und brüllt "Demente!", "Depp!" Sie zieht das Kind an den Ohren, dann beugt sie sich vornüber und beißt es in die Wange.

Die Carabinieri, die live zugeschaut hatten, schritten ein, ohne die Erlaubnis des Richters abzuwarten. Die Bisswunde war noch frisch, als sie in der "Baby World" ankamen, einer privaten Kindertagesstätte in Mailand Bicocca, einem Viertel in der nördlichen Peripherie der Stadt. Die Einrichtung wurde sofort geschlossen, der Eingang versiegelt. Der Betreiber, ein 35-jähriger Soziologe, wurde verhaftet und mit einem Berufsverbot von einem Jahr belegt. Seine 34-jährige Verlobte, von den Kindern "Milly" genannt, steht wegen des Verdachts auf wiederholte, schwere Misshandlungen von Minderjährigen unter Hausarrest. Es ist dies ein dringender Verdacht, belegt durch mindestens 26 gefilmte Gewalttaten während dreier Monate.

Den Kindern in der "Baby World" wurde das Essen schon mal mit Gewalt in den Rachen gestopft. Es kam vor, dass die Zwei- und Dreijährigen stundenlang ins dunkle Badezimmer gesperrt oder mit Gurten an ihre kleinen Stühle gefesselt wurden, wenn sie nicht spurten. "Milly", die Studienabschlüsse in Erziehungswissenschaften und Literaturwissenschaften führt, verlor schnell die Geduld, beschimpfte und schlug die Kinder. Einmal herrschte sie die Kinder an, sie mögen sofort still sein: "Sonst werde ich kriminell."

Die Kameras hatte die Polizei heimlich installiert, nachdem zwei ehemalige Mitarbeiter der Krippe schwere Vorwürfe gegen das Paar erhoben hatten. Die Eltern fragen sich nun, warum die Carabinieri drei Monate lang warteten, bis zum Biss, bevor sie die Kinder endlich erlösten. Die Betreiber der "Baby World" wiederum halten sich für Opfer einer Medienkampagne: "Ich werde wie ein Monster beschrieben", beklagte sich der Mann. Sie hätten Fehler gemacht, doch der Fall werde übertrieben dargestellt. "Milly" beteuert, die Kinder hätten sie gern gehabt, auch wenn sie "eigene Methoden" habe.

Im Fernsehen treten nun Psychologen auf und erklären, dass Kinder dieses Alters nach solchen Erlebnissen oft an Schlafstörungen, Angstzuständen und Appetitlosigkeit leiden. Die Eltern hatten so etwas bisher offenbar nicht festgestellt oder auf die Krippe zurückgeführt. Wenn sie nach den Blutergüssen oder Wunden ihrer Kinder fragten, hatte "Milly" ihnen stets erklärt, die Kleinen hätten sich gebalgt.

Gefordert wird nun aber auch die Politik. Italien hat zwar einen guten Ruf in Sachen Kleinkindbetreuung. Doch zuletzt häuften sich verstörende Vorfälle. Seit 2009 gab es 65 Verfahren wegen Misshandlungen. Eines der Probleme ist erkannt: Etliche Regionen haben bisher keine Gesetze erlassen, welche die Anforderungen an Tagesstätten regeln. Nun plant die Regierung in Rom ein eigenes Gesetz. Die Krippenjahre sollen künftig zur Vorschule gehören und mehr öffentliche Mittel erhalten. So sollen die ganz Kleinen besser geschützt werden vor Erwachsenen und ihren speziellen Methoden.

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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