Italien: Asbest-Opfer klagen an:Mörderische Fasern

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Zwei ehemalige Top-Manager des Unternehmens Eternit stehen wegen 2800 asbestbedingter Krankheits- und Todesfälle in Turin vor Gericht. Mittlerweile sind weitere Menschen an der Vergiftung gestorben.

Für viele Asbest-Geschädigte kommt der Prozess in Italien zu spät. Sie sind tot, Opfer der mörderischen, inzwischen EU-weit verbotenen Brandschutzfaser. Wegen 2056 asbestbedingter Todesfälle und 833 registrierter Krankheitsfälle müssen sich seit Donnerstag der Schweizer Milliardär Stephan Schmidheiny und sein belgischer Kollege Jean-Louis de Cartier - ehemals Verantwortliche für vier Asbest-Fabriken der Eternit AG in Italien - vor Gericht in Turin verantworten.

Angehörige von Opfern im Gerichtssaal in Turin: Hoffnung auf Genugtuung in einem "exemplarischen Prozess". (Foto: Foto: dpa)

Die Staatsanwaltschaft unter Leitung von Raffaele Guariniello wirft den beiden Angeklagten vor, zwischen 1966 und 1986 Sicherheitsvorkehrungen im Umgang mit dem bekannt schädlichen und krebserregenden Stoff Asbest vernachlässigt zu haben. Und dadurch Tod und Krankheit in den italienischen Eternit-Fabriken und in deren Umgebung bewusst in Kauf genommen zu haben.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen der größten Prozesse in Sachen Umwelt und Gesundheit in Europa. Die Verteidigung verwies dagegen auf die damals weite Verbreitung von Asbest. "Man kann den Einzelnen nicht für die Geschichte verantwortlich machen, sondern nur für das, was er getan hat", sagte Anwalt Astolfo di Amato.

Für die Betroffenen ist der Prozess als solcher schon ein Sieg. Das Angebot Schmidheinys, bei Einstellung des Verfahrens Entschädigungen zu zahlen, hatten sie im Juli empört zurückgewiesen. Den Managern drohen Haftstrafen zwischen drei und zwölf Jahren sowie hohe Entschädigungszahlungen.

Als Zivilklägerin trat unter anderem auch Italiens Arbeitsversicherungsanstalt Inail auf. Sie allein verlangt 245 Millionen Euro als Rückerstattung für bereits gezahlte Summen an erkrankte Eternit-Arbeitnehmer.

"Großoperation im Namen der Wahrheit" Die italienische Eternit war 1986 pleitegegangen - sechs Jahre, bevor im Land Asbest verboten wurde. "Es handelt sich um eine einmalige Gelegenheit, eine Großoperation im Namen der Wahrheit", erklärte Bruno Pesce, Anwalt der mit 1350 Asbesttoten am stärksten betroffenen italienischen Gemeinde Casale Monferrato. Dort war die größte der vier italienischen Eternit-Fabriken. Pesce hofft auf internationale Beachtung, auch weil der gefährliche Stoff vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern weiter verwendet werde.

Zum Prozessbeginn waren auch Vertreter französischer, schweizerischer und belgischer Asbest-Opfer-Verbände gekommen. Attilio Manerin von der französischen Nationalen Vereinigung zur Verteidigung der Asbest-Opfer (Andeva) sprach von einem "exemplarischen Verfahren".

Dem italienischen Beispiel folgend werde jetzt auch in Frankreich gegen den Besitzer der Eternit-Frankreich ermittelt, so Manerin. Nach seinen Schätzungen könnte die Zahl der Todesopfer in Frankreich bis 2025 auf 100 000 steigen. Auch in Italien wird es nach Ansicht der Präsidentin des italienischen Verbands der Angehörigen der Asbest-Geschädigten, Romana Blasotti Pavesi, vermutlich weitere Opfer geben. Krebs und Staublunge infolge von Asbest könnten auch noch Jahrzehnte nach dem Einatmen der Fasern ausbrechen. "Manche kämpfen seit 20 Jahren, viele sind inzwischen gestorben", erzählt Blasotti. In dem Turiner Verfahren geht es nur um registrierte Fälle bis Februar 2008.

Inzwischen starben weitere 257 Menschen an den Folgen von Asbest, 107 erkrankten, berichteten Medien. Bei 220.000 Seiten Anklageschrift, mehr als 500 Zeugen allein aus den Eternit-Fabriken und etwa 4000 Nebenklägern scheint ein schneller Ablauf des Verfahrens fraglich. Die Staatsanwaltschaft hofft, dass der Prozess in 18 Monaten abgeschlossen ist. Experten gehen dagegen von Jahren aus.

© Katie Kahle, dpa/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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